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Polizei fasst Geldautomaten-Bomber aus den Niederlanden – aber die Sprengungen gehen weiter
Geldautomaten-Sprengungen
Die niederländische Polizei hat zwei Männer gefasst, die 17 Mal in Deutschland Geldautomaten gesprengt haben sollen. Doch das wird nicht viel bringen. Der Fehler liegt im System.
Es klingt nach einem durchschlagenden Erfolg im Kampf gegen die Seuche von Bankautomaten-Sprengungen, den das Bundeskriminalamt (BKA) am Donnerstag (12. Mai) vermeldete. Die niederländische Polizei habe zwei Männer aus dem Raum Enschede festgenommen, die Geldautomaten-Sprengern in mindestens 17 Fällen ein Auto vermietet haben sollen.
Sie hätten unter anderem Sprengungen in Gelsenkirchen, Dortmund und Wesel, aber auch in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen und im Saarland verübt. Dabei hätten sie knapp eine Million Euro erbeutet und Schäden in Höhe von knapp zwei Millionen Euro verursacht, berichtete das BKA. Man habe unter anderem fünf Häuser, Wohnungen, Büros und Geschäftsobjekte in Gronau und in Enschede durchsucht.
Dass mit dieser Festnahme die seit langem grassierende Serie an Sprengungen von Bankautomaten gestoppt ist, ist allerdings kaum zu erwarten. Allein in der Nacht zu Donnerstag (12. Mai) gab es in Nordrhein-Westfalen drei weitere Geldautomaten-Sprengungen: in Schwerte, in Rödinghausen im Kreis Herford und in Aachen.
Harsche Vorwürfe gegen die Banken und die Niederlande
Erst im Herbst hatte das Landeskriminalamt NRW (LKA) gegenüber unserer Redaktion ein düsteres Bild gezeichnet, wenn es um gesprengte Geldautomaten geht. Harsche Vorwürfe richten sich gegen die Banken selbst, aber auch gegen die Niederlande.
Noch immer vergeht kaum eine Woche vergeht, ohne dass irgendwo in Nordrhein-Westfalen Verbrecher mitten in der Nacht einen Geldautomaten sprengen. Im Jahr 2021 kam es in Nordrhein-Westfalen in 152 Fällen zur Sprengung von Geldautomaten. Das sind zwar 24 weniger als im Jahr zuvor, doch ein Ende ist nicht in Sicht, denn auch in diesem Jahr gab es schon wieder 73 Sprengungen in NRW (Stand: 4. Mai). NRW-Innenminister Herbert Reul hatte daher in der ersten Maiwoche die Gründung einer fünfköpfigen Sonderkommission angekündigt.
Die Aufklärungsquote der Straftaten mag sich durch die jetzt festgenommenen Verdächtigen leicht erhöht haben, aber zufriedenstellend ist sie mit Sicherheit noch immer nicht. Im Herbst berichtete das LKA von einer Aufklärungsquote von unter 20 Prozent.
Viel Hoffnung auf eine durchgreifend bessere Aufklärungsquote machte das LKA schon vor Monaten nicht und nahm dabei zum einen die hiesigen Banken und Geldinstitute, zum anderen aber auch die Behörden bei unseren Nachbarn in den Niederlanden ins Visier. Hauptverantwortlich für die Geldautomatensprengungen in NRW sind nämlich nach Erkenntnissen des LKA etwa 500 in Utrecht und Amsterdam lebende Täter mit marokkanischen Wurzeln.
Die Täter sind kaum in die normale Gesellschaft zu integrieren
„Diese stammen zum Teil generationsübergreifend aus einem subkulturellen Umfeld und sind nur schwer oder gar nicht in das normierte gesellschaftliche Umfeld zu integrieren“, berichtet ein Sprecher des LKA gegenüber unserer Redaktion von den Erkenntnissen der Ermittlungskommission „Heat“. Diese beschäftigt sich seit 2015 mit der Aufklärung von Geldautomaten-Aufbrüchen in NRW.
Diese 500 Täter agieren laut LKA nicht in festen Clan-Strukturen, sondern in sogenannten „fluiden Netzwerken“, das heißt: Von Fall zu Fall, von Tat zu Tat wechselt die Zusammensetzung der Tätergruppe. Dass sie sich vor allem in Nordrhein-Westfalen Ziele aussuchen, dafür führt der LKA-Sprecher – neben der räumlichen Nähe zu den Niederlanden und den sehr guten Verkehrsverbindungen mit schnellen Fluchtmöglichkeiten – vor allem drei Gründe an:
Niederlande schützt seine Automaten besser und hat viel weniger als NRW
1. In den Niederlanden seien die Vorbeugemaßnahmen zum Schutz der Geldautomaten wesentlich höher als in Deutschland. Anders ausgedrückt wird ein Vorwurf an die deutschen Geldinstitute daraus: „Die Banken haben noch nicht alle Präventionsmaßnahmen der Polizei umgesetzt“, sagt der LKA-Sprecher und: „Insbesondere wird der Ab- und Rückbau nicht als priorisiertes Ziel der Banken angenommen.“
Ein ausschließlich auf Sicherung der Automaten ausgerichtetes Konzept werde die Zahl der Taten nur verringern, wenn die Beute z.B. durch Geldeinfärbe- oder Verklebesysteme unbrauchbar gemacht werde. Aber bis heute seien nicht einmal alle Geldautomaten mit Farbpatronen gesichert.
Daher müsse man davon ausgehen, dass die Täter sich „auf die aktuellen Sicherungsvorkehrungen eingestellt haben“. Daher erlangten sie „in immer mehr Fällen Beute“. Das wiederum stelle einen großen Anreiz dar, weitere Taten zu begehen, so der LKA-Experte. Da nütze es wenig, wenn Automaten punktuell gut gesichert seien, weil die Täter in diesen Fällen einfach ausweichen würden.
„Solange Automaten in einer solchen Vielzahl aufgestellt sind, wird es derartige Taten geben. Ein Ansatz wäre, dass die Banken gemeinschaftlich deutlich weniger Geräte betreiben und diese dann herausragend gesichert und unter Umständen auch an für die Täter unattraktiven Orten aufgestellt sind“, sagt der LKA-Sprecher. Bei derzeit 10.000 Geldautomaten in NRW – von bundesweit 60.000 – sei Nordrhein-Westfalen einfach ein höchst attraktives Ziel.
Niederlande lösen zwei Ermittlerteams auf
2. Weil es in Deutschland einfacher ist, Geldautomaten zu knacken als in den Niederlanden, sind in unserem Nachbarland die Fallzahlen deutlich gesunken, erläutert der LKA-Sprecher. Das habe eine für nordrhein-westfälischen Ermittlerteams unangenehme Folge: Die Niederlande haben zwei der drei Ermittlerteams für die Aufklärung von Automaten-Sprengungen aufgelöst, mit denen die deutsche Polizei kooperiert habe.
Das habe drastische Konsequenzen, berichtet das LKA: „Begrenzte Ressourcen führen dazu, dass wesentlich weniger gemeinsame Ermittlungsverfahren geführt werden können und somit faktisch zu einer deutlichen Verschlechterung der Bekämpfungssituation in NRW. Gemeinsame verdeckte Verfahren waren in der Vergangenheit der Schlüssel zu vielen Ermittlungserfolgen und Festnahmen sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden. Das wird in diesem Umfang in Zukunft nicht mehr möglich sein“, prophezeit der LKA-Sprecher.
Das Vorgehen der niederländischen Justiz ärgert das LKA
3. Als dritten Faktor dafür, dass NRW attraktiv für solche Verbrecher ist, hat das LKA die niederländische Justiz ausgemacht. Die Justiz in Deutschland und den Niederlanden sei „nicht homogen“, sagt der LKA-Sprecher und verdeutlicht die Folgen an einem konkreten Beispiel.
So hätten Täter in Deutschland mit unterschiedlichsten Strafen zu rechnen, die von Bewährungsstrafen bis hin zu mehr als zehn Jahren Haft reichen könnten. Aufgrund europäischer Regeln werde ein Täter nach seiner Verurteilung in Deutschland in der Regel in die Niederlande überstellt, um dort seine Strafe abzusitzen.
Und das sei durchaus problematisch, erläutert der LKA-Sprecher: „Dort erhalten viele Täter zeitnah Hafturlaub oder werden unter Auflagen zur Bewährung entlassen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Täter unmittelbar wieder Geldautomatensprengungen in Deutschland durchführen und sich von den Strafen nur unwesentlich oder gar nicht beeindrucken lassen.“
Was mit den gefassten Tatverdächtigen geschehen ist
Dass zudem die Zahl der gefassten und verurteilten Gelautomaten-Bomber durchaus überschaubar ist, zeigt ein Blick auf die vom LKA auf Anfrage genannten Daten. Demnach wurden seit Januar 2020 bis heute 45 Tatverdächtige gefasst.
In den Fällen, in denen das LKA als Ermittlungsbehörde eingeschaltet war – was nicht immer der Fall war – gebe es derzeit folgende Bilanz: Insgesamt fünf Täter seien zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden, einer zu zweieinhalb Jahren, einer zu vier Jahren und einer zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft.
Ein Tatverdächtiger befinde sich in den Niederlanden in Untersuchungshaft. Er solle für das Gerichtsverfahren nach NRW überstellt werden, so das LKA. Zwei weitere Tatverdächtige seien in den Niederlanden festgenommen worden. Ob sie sich noch in Haft befinden, wisse man nicht, so das LKA.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
