Nicht traurig, dass wir keinen Superstar haben
Roggisch im Interview
Am Freitag, 12. Januar, beginnt die Handball-EM in Kroatien. Weltmeister als Spieler 2007, Europameister als Teammanager 2016: Oliver Roggisch weiß, wie man Titel gewinnt. Deutschlands Teammanager gibt vorab einen tiefen Einblick ins DHB-Team. Im Interview verrät er, warum er Deutschland bei der EM in Kroatien viel zutraut.

Auf dem Sprung zur Europameisterschaft: Kreisläufer Hendrik Pekeler (l.) gehört für Deutschlands Teammanager Oliver Roggisch zur Weltklasse. © imago
So kurz vor dem Start der EM: Was ist Ihr Eindruck von der deutschen Mannschaft?
Wir haben optimale Voraussetzungen, weil bisher keine Spieler verletzt ausgefallen sind. Die besten Jungs sind also dabei. Die beiden Siege in den Tests gegen Island waren gut, aber die haben aktuell kein Top-Niveau. Auch wir können uns noch steigern.
Der Konkurrenzkampf war nie größer, oder?
20 Spieler, die in den Kader drängen, und zehn weitere in der Hinterhand, die alle problemlos nachrücken könnten, das ist schon eine komfortable und unglaublich gute Situation. Der Trainer musste da harte Entscheidungen treffen bei seiner Nominierung.
Hat Bundestrainer Christian Prokop die richtigen Spieler ausgewählt?
Das werden wir nach dem Turnier sehen. Ich kenne keinen Bundestrainer, der so viele Liga-Spiele gesehen hat wie er, er hatte auch die Eindrücke aus den Lehrgängen. Einige Entscheidungen, etwa ohne die drei Europameister Finn Lemke, Fabian Wiede und Rune Dahmke anzureisen, mögen die Fans überraschen. Ich bin aber sicher zuversichtlich, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat. Er muss sich an dieser Auswahl messen lassen.
Bundestrainer Christian Prokop hat sich entschieden: Mit diesen 1⃣6⃣ #BadBoys starten wir am Samstag gegen Montenegro in die @EHFEURO #aufgehtsDHB #ehfeuro2018
— DHB_Nationalteams (@DHB_Teams) 7. Januar 2018
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Wie würden Sie Christian Prokop beschreiben?
Er ist ein sehr akribischer Arbeiter, der sich selbst auf jede Trainingseinheit sehr intensiv vorbereitet. Er setzt viel und gezielt Videosequenzen ein. In seiner Ansprache ist er sehr direkt und klar, da findet er immer die richtigen Worte. Auf der Bank kann er zwei Gesichter zeigen: sein ruhiges, analytisches, aber er kann auch impulsiv sein.
Es ist sein erstes großes Turnier, da haben ihm die meisten Spieler einiges voraus.
Er ist nur auf den ersten Blick unerfahren, weil er eben erst 39 Jahre alt ist. Aber er hat mehr als 15 Jahre Erfahrung als Trainer. Das spürt man. Er wirkt unglaublich sicher in allem, was er tut. Er weiß genau, was er will. Prokop ist jung, modern - und dass er sehr viel auf dem Kasten hat, das hat er in den vergangenen Jahren in Leipzig bewiesen.
Noch ist er recht unbekannt, aber vor der EM in Polen suchten die Kameras auch vergeblich nach Stars in der Nationalmannschaft.
Es wird ja immer mal wieder bedauert, dass wir im deutschen Handball keine Superstars hätten, dass es zu wenig Typen gäbe. Ich weiß gar nicht, ob das ein Nachteil ist: Gerade unsere Handball-Nationalmannschaft hat ja gezeigt, dass sie als Team funktioniert und auch ohne einen Star Großes erreichen kann. Rein sportlich ist Uwe Gensheimer für mich der beste Außenspieler der Welt. Dass er nicht im Rückraum spielt, mag dazu beitragen, dass er nicht ganz so im Fokus steht. Wir haben durchaus Typen in der Mannschaft. Dass die sich nicht vor jede Kamera stellen und nicht ganz so heiß auf Presse sind, halte ich nicht für einen Nachteil.
Torhüter Andreas Wolff war nach dem EM-Sieg 2016 sehr populär.
Ja, der hatte mal sechs spannende Monate, als er in vielen TV-Shows zu sehen war. Ich bin aber nicht sicher, ob jeder Spieler dafür gemacht ist und parallel dazu sportliche Bestleistungen bringen kann. Im Endeffekt bin ich nicht traurig darum, dass wir nicht diesen einen Superstar haben.
Ist eine gewisse Uneitelkeit, diese Harmonie und Ausgeglichenheit, nicht auch ein Schlüssel für den Erfolg der „Bad Boys“, die ja eigentlich ganz lieb sind?
Harmonie ist relativ. Vor der Nominierung haben wir schon bemerkt, dass wir großen Konkurrenzkampf im Team haben. Da hat jeder den Anspruch, die Nummer eins auf seiner Position zu sein, da sind auch nicht alle die besten Freunde. Trotzdem wissen alle, dass wir nur als Team erfolgreich sein können.
In überragender Verfassung befindet sich Kreisläufer Hendrik Pekeler, den Sie bei den Rhein-Neckar Löwen permanent vor Augen haben. Kann er, in Abwesenheit des nicht nominierten Finn Lemke, der neue Abwehrchef werden?
Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek, aber auch Bastian Roscheck, der neu dazu kommt, werden sich die Rolle als Abwehrchef teilen. Pekeler ist für mich einer der besten Abwehrspieler der Welt. Er ist groß, stark im Block, schnell auf den Beinen, er kann mit seinen langen Armen auch in der 5:1-Deckung vor der Abwehr spielen. Er hat in den letzten drei Jahren eine Wahnsinns-Entwicklung durchlaufen und ist ein wichtiger Faktor für die Abwehr.
Wer könnte der Spieler des Turniers werden?
Unsere beiden Torhüter Andreas Wolff und Silvio Heinevetter sind beide sehr gut drauf. Auf dieser Position müssen wir uns keine Sorgen machen. Ich glaube, dass Uwe Gensheimer ein großartiges Turnier spielen wird. Er hat seit seinem Wechsel zu Paris Saint-Germain vor eineinhalb Jahren nochmal an Persönlichkeit zugelegt, und er ist noch abgezockter geworden auf der Platte. Er spielt seit vielen Jahren auf Top-Niveau.
Welche vier Mannschaften kommen ins Halbfinale?
Im Idealfall gehören wir dazu. Dann erwarte ich die Kroaten mit ihrem Heimvorteil dort. Die Dänen schätze ich stark ein, Frankreich gehört immer zu den Favoriten.
Am kommenden Freitag, 12. Januar, beginnt die Handball-Europameisterschaft in Kroatien. Die deutsche Mannschaft trifft in ihrer Vorrundengruppe in Zagreb auf die Balkan-Länder Montenegro (Samstag, 17.15 Uhr), Slowenien (Montag, 18.15 Uhr) und Mazedonien (Mittwoch, 18.15 Uhr). „Das werden drei Auswärtsspiele für uns“, erwartet Teammanager Oliver Roggisch eine hitzige Atmosphäre. „Da muss man auch über die Emotionen kommen und nicht nur über die Taktik.“ Alle Spiele der DHB-Auswahl werden live in ARD und ZDF zu sehen sein. Andreas Wolff, überragender Torhüter beim EM-Triumph vor zwei Jahren, hält nichts vom Blick zurück: „Wir leben in der Gegenwart, da nützt es überhaupt nichts, wenn wir uns daran erinnern, wie schön es vor zwei Jahren war.“ Ein „Polen-Gefühl“ brauche er ohnehin nicht. „Denn wir spielen jetzt in Kroatien.“