Den ganzen Sommer über war das Thema Corona fast nur noch eine unwirtliche Erinnerung. Seit einigen Wochen aber steigen die Corona-Zahlen wieder. Und dann taucht vor wenigen Tagen eine neue Variante auf namens BA.2.86. Die ist inzwischen in zahlreichen Ländern dieser Erde entdeckt worden.
Was bedeutet diese neue Variante? Was kommt da auf uns zu? Wie soll ich mich jetzt verhalten? Erleben jetzt Masken- oder Testpflicht, vielleicht sogar ein Lockdown eine Neuauflage? Prof. Dr. Carsten Watzl, Professor an der Uni Dortmund und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, klärt auf.
1. Wie ist die aktuelle Corona-Lage einzuschätzen?
„Ja, es gibt aktuell wieder mehr Infektionen“, sagt Watzl. Allerdings liege man bei den Inzidenzen (Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen) noch immer im niedrigen einstelligen Bereich. Allerdings sei diese Zahl mit Vorsicht zu genießen, da ja auch nicht mehr getestet werde.
Auch die Zahl der Menschen, die mit Corona im Krankenhaus behandelt werden müsse, sei leicht gestiegen. Gleichwohl gelte: „Gerade bei den schweren Erkrankungen befinden wir uns immer noch – das sagt auch das Robert-Koch-Institut – auf einem Sommerniveau. Die Zahl der Menschen, die mit Corona im Krankenhaus liegen, ist deutlich niedriger als vor einem Jahr“, sagt Watzl.
2. Was erwartet uns im Herbst und Winter?
„Die Zahl der schweren Erkrankungen haben wir im Moment noch gut im Griff, auch wenn die Zahlen leicht steigen“, sagt Watzl. Der Anstieg spiele sich auf sehr geringem Niveau ab, daher sei er momentan noch „komplett entspannt“. Auch er könne nicht in die Zukunft gucken, sagt Watzl, aber: „Natürlich wird es so sein, dass im Herbst und Winter die Infektionszahlen wieder nach oben gehen.“ Das Virus habe es dann einfacher haben sich auszubreiten.
3. Sind steigende Infektionszahlen im Herbst ein Grund zur Sorge?
Watzl gibt eine differenzierte Antwort. Man müsse unterscheiden zwischen der reinen Infektion, also der Ansteckung mit dem Virus, und einer dadurch ausgelösten schweren Erkrankung: „Das Ziel sollte im Moment sein, gar nicht so sehr die reine Infektion zu verhindern, sondern die schwere Erkrankung.“
Und da sei man gut aufgestellt, sagt Watzl: „Das schaffen wir aktuell immer noch sehr gut durch die Grundimmunität, die wir in der Bevölkerung durch Impfung und durchgemachten Infektionen erreicht haben. Und deshalb stehen wir jetzt sogar besser da als vor einem Jahr, weil in diesem Jahr die Leute durch Infektionen ihre Immunität weiter verstärkt haben.“
4. Wie gefährlich ist die neue Variante BA.2.86?
Zunächst ist sie für Watzl „interessant“, da sie sich in ihren Spike-Proteinen (damit dringt das Virus in eine Körperzelle ein) relativ deutlich von ihren Vorgängerinnen unterscheide. „Sie hat über 30 Mutationen im Spike-Protein. Und wenn ein Virus so viele Mutationen in sich trägt, dann wissen wir: Viele der Antikörper, die wir in uns haben, passen auf dieses Spike-Protein nicht mehr“, erklärt Watzl.
Die Folge: Der Infektionsschutz könne geringer sein, weil diese Variante den Immunschutz etwas unterlaufe, also den Körper austrickse.
„Aber“, schränkt Watzl ein, „wir haben ja zwei Abwehrmechanismen. Das eine sind die Antikörper, das andere die T-Zellen. Und für die T-Zellen sieht auch das veränderte Virus noch zu 90 Prozent so aus wie das Ursprungsvirus. Daher haben wir immer noch eine Grundimmunität, die uns vielleicht nicht so sehr vor der Infektion, aber immer noch vor der Erkrankung schützt.“
5. Was wissen wir bisher über BA.2.86?
Noch nicht besonders viel, sagt Watzl: „Im Moment ist es eine Variante, die man unter Beobachtung hat, einfach weil sie so viele Veränderungen hat, aber: Es kann durchaus sein, dass sich diese Variante nie durchsetzen wird.“ Man habe sie zwar in vielen Ländern gefunden, aber weltweit gebe es erst eine Handvoll von Sequenzierungen.
In Deutschland sei das Virus BA.2.86 noch gar nicht gefunden worden, was aber nicht heiße, dass es nicht hier sei, meint Watzl. Es werde halt auch kaum noch getestet. „Im Moment ist bei dieser Variante noch nicht einmal der erste Schritt gegeben, dass wir sehen, dass sie sich überhaupt durchsetzen kann gegen die andern Varianten. Um sich durchsetzen zu können, muss so eine Variante ja auch infektiöser oder ansteckender sein. Das hat sie im Moment noch nicht gezeigt. Und selbst wenn sie das zeigen würde, wäre die zweite Frage immer noch: Ist sie dann auch krankmachender?“, stellt Watzl klar.
6. Welche Corona-Variante grassiert bei uns im Moment?
Seit langem breiten sich bei uns nur Omikron-Varianten aus. „Seit Frühjahr dominiert die XBB.1.5-Variante. Gegen die sind jetzt auch die angepassten Impfstoffe gemacht“, erläutert Watzl.
Aktuell breite sich die Variante EG.5 aus und werde sich wohl durchsetzen, da sie aktuell schon die Hälfte aller Infektionen ausmache. „Die sieht aber so ähnlich aus wie die XBB.1.5-Variante, da gibt es nur eine Mutation. Die angepassten Wirkstoffe werden daher auch gegen diese Variante EG.5 sehr gut wirken.“ Und krankmachender als die bisherigen Omikron-Varianten sei EG.5 auch nicht.
7. Wie gut wäre unser Immunitätsschutz, sollte sich BA.2.86 durchsetzen?
„Die hybride Immunität, die die meisten von uns haben – also die Immunität aus Impfung und Infektion – schützt dauerhaft und sehr gut vor einem schweren Verlauf“, sagt Watzl. „Nach über einem Jahr liegt dieser Schutz vor einer schweren Erkrankung noch immer bei über 90 Prozent.“
8. Sollte man sich vorsichtshalber vor dem Herbst impfen lassen?
„Alle, die sonst gesund und unter 60 sind, brauchen noch keine Auffrischungsimpfung, sagt auch die Stiko, die Ständige Impfkommission“, sagt Watzl. „Ihr Schutz vor einer schweren Erkrankung ist noch sehr hoch.“ Der Schutz vor der reinen Ansteckung dagegen liege – wenn die letzte Impfung ein Jahr her ist – jetzt nur noch bei 50 Prozent oder darunter. „Das heißt: Ich kann mich im Herbst wieder anstecken, würde dann aber nicht schwer krank“, erklärt Watzl. Da rate die Stiko nicht zu einer Impfung.
9. Was ist mit den stärker gefährdeten Menschen?
„Da sagt die Stiko: Alle über 60 – wobei ein 60-Jähriger ein viel geringeres Risiko hat als ein 80-Jähriger, da gibt es schon noch Abstufungen – und Leute mit Vorerkrankungen, also chronischen Erkrankungen, Krebserkrankungen, also Krankheiten, bei denen auch das Immunsystem betroffen ist, sollten ihre Impfung noch einmal auffrischen“, erläutert Watzl.
10. Wann ist die richtige Zeit, dass sich ältere und besonders gefährdete Menschen impfen lassen?
„Es reicht, wenn man das im Herbst macht“, sagt Watzl. Noch gebe es die an die neuen Omikron-Varianten angepassten Impfstoffe gar nicht. „Die kommen erst im September, Oktober. Es reicht, dass man sich dann im Oktober impfen lässt – für diese Gruppen.“
Für einen gesunden 50-Jährigen dagegen sei die Impfung zwar nicht gefährlich oder schädlich, aber er brauche sie halt nicht. Und selbst für die Risikogruppen gelte: Wenn deren Impfung oder eine Infektion weniger als ein Jahr her ist, dann sei eine neue Impfung nicht nötig, da der Schutz vor einerr schweren Erkrankung mindestens ein Jahr halte.
11. Wenn im Herbst die Zahlen doch stark wieder steigen sollten, was ist mit Maskenpflicht und anderen Vorsorgemaßnahmen?
Watzl hat hier eine klare Position: „Wenn sich die Leute Sorgen machen und fragen: Kommt wieder eine Maskenpflicht, ein Lockdown oder so was, dann sage ich Nein. Wir haben die ganzen Hygienemaßnahmen und diesen Lockdown nur gemacht, um uns Zeit zu kaufen, dass wir die Impfstoffe entwickeln konnten und die Leute alle impfen konnten. Jetzt, wo wir das Virus mit der Impfung kontrollieren können, brauchen wir die anderen Maßnahmen nicht mehr.“
12. Also grundsätzlich keine Maske mehr?
Nein aber, es sei dennoch „eine schöne Idee, wenn jemand, der gerade eine Atemwegsinfektion hat – egal, ob das Corona, eine Grippe oder ein anderer Virus ist und der Symptome hat, ruhig mal drei bis fünf Tage zu Hause bleibt. Um jetzt nicht das Virus fahrlässig weiterzuverbreiten“, mein Watzl.
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