Nein-Sager im Bundestag stimmen gegen die Impfpflicht: eine erbärmliche Entscheidung

© Ulrich Breulmann

Nein-Sager im Bundestag stimmen gegen die Impfpflicht: eine erbärmliche Entscheidung

rnMeinung

Der Bundestag hat gegen die Einführung einer Impfpflicht gegen das Coronavirus entschieden. Eine ebenso mutlose wie verantwortungslose Entscheidung, sagt unser Kommentator.

NRW

, 08.04.2022, 04:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Wenn jemand zu etwas gezwungen werden soll, von dem er nicht überzeugt ist, ist das immer eine heikle Angelegenheit. Das gilt für alle Bereiche des menschlichen Lebens und ganz besonders, wenn der Staat mich einer Regel unterwerfen will, die ich für falsch halte. Ich kann verstehen, dass Betroffene sich dann aufregen, protestieren und alles daran setzen, dass es nicht zu einer Pflicht kommt.

Das ist die menschliche, die individuelle Seite. Die kann ich akzeptieren. Trotzdem ist das Aufstellen von Regeln, die nicht allen passen, aber an die sich dennoch alle halten müssen, von elementarer Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens und damit für das Wohl letztlich aller.

„Keine Vorschrift der Gängelung“

Das war schon bei der Einführung und späteren, schrittweisen Absenkung der Promillegrenze für Autofahrer so. Das war so bei der Einführung der Gurtpflicht. Das war bei der Rauchmelder-Pflicht so. Das war auch so – und damit nähern wir uns dem aktuellen Anlass für diese Zeilen – bei der Einführung der Pflichtimpfung gegen Masern im Jahr 2020.

Diese und viele andere Vorschriften im Lande wurde nicht erlassen, um jemanden zu gängeln, sondern immer ging es um das Wohl aller in diesem Staat. Und genau um diesen Punkt ging es auch im Bundestag, der am Donnerstag mit seiner Mehrheit eine Impfpflicht in welcher Form auch immer abgelehnt hat. Aus meiner Sicht eine schlimme, durch nichts zu rechtfertigende Entscheidung.

Die Argumente für eine Impfpflicht gegen das Coronavirus sind überwältigend. Seit zwei Jahren bewegen wir uns von einer Welle zur nächsten. Die zur Verfügung stehenden Impfstoffe weisen eine – auch verglichen mit anderen Impfungen – extrem gute Wirksamkeit und zugleich eine gleich gute Verträglichkeit auf. Wer etwas anderes behauptet, fabuliert sich aus Einzelfällen eine pauschale Ablehnung zusammen.

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Zugleich haben wir durch zwei Jahre Pandemie gelernt, dass immer neue Varianten auftreten, die gefährlicher sein können als die vorherigen. Sollte das passieren, drohen erneut massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Es drohen – wenn nichts anderes mehr hilft – erneut Schul- und Kitaschließungen, ein Lockdown für Freizeit und Kultur, für den Einzelhandel und den Sport. Die Folgen wären nicht nur eine wirtschaftliche Katastrophe, sondern auch ein soziales, pädagogisches und gesellschaftliches Desaster.

Nur eine möglichst hohe Impfquote kann wirksam verhindern, dass es im nächsten Herbst zu einem solchen Desaster kommt. Und die Impfquote ist derzeit noch immer mit 76 Prozent zweifach Geimpfter im Vergleich zu anderen Ländern geradezu lächerlich niedrig.

„Einige Menschen kann man nicht überzeugen“

Die verschwindend geringen Zahlen der Menschen, die sich derzeit das erste Mal impfen lassen, zeigen, dass man auch nach mehr als 15 Monaten, seit Impfungen möglich sind, einen gewissen Prozentsatz der Menschen auch mit den besten Argumenten nicht überzeugen kann, sondern zwingen muss.

Nicht nur zu ihrem eigenen Schutz, sondern auch zum Schutz derer, die trotz Impfung besonders gefährdet sind, und derer, die sich nicht impfen lassen dürfen oder bei denen eine Impfung nicht wirkt. Nicht zu vergessen, die große Mehrheit derer, die sich haben impfen lassen und somit sich und andere schützen. Es ist einfach nicht in Ordnung, dass weiterhin eine uneinsichtige Minderheit letztlich darüber entscheidet, was die große Mehrheit an Einschränkungen auf sich nehmen muss. Es reicht.

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Ja, der Staat muss die Menschen dazu zwingen, sich im Interesse und zum Wohl aller anderen impfen zu lassen, auch wenn sie das nicht wollen. Tut er das nicht, hat er versagt.

Ich kann mir das Nein im Bundestag nur damit erklären, dass die aktuellen Zahlen von Corona-Patienten in den Kliniken trotz vieler Neuinfektionen niedrig sind. Das ist das eigentlich Gute und dennoch letztlich Fatale der aktuellen Omikron-Variante. Aus diesen Zahlen lässt sich nicht plakativ ein sofortiger Handlungsbedarf erklären. Aber wer garantiert, dass die nächste Variante genauso „harmlos“ ist – wobei „harmlos“ relativ gemeint ist?

Dabei wird der entscheidende Punkt übersehen: Es geht gar nicht um heute und die nächsten Monate, sondern um den Herbst und Winter. Das Virus wird nicht aus unserem Leben verschwinden. Mit jedem einzelnen neuen Infektionsfall steigt die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo auf der Welt eine gefährliche Mutation auftaucht. Die wäre von jedem Winkel der Welt aus innerhalb weniger Wochen auch bei uns. Und dann?

„Dann ist es zu spät für eine Impfung“

Dann ist es zu spät für eine Impfung. Deshalb muss der Staat vorausschauend handeln, damit im Herbst wirkt, was jetzt gesät wurde. Aber natürlich ist die Einführung einer Impfpflicht nichts, womit eine Politikerin oder ein Politiker punkten könnte. Das ist unpopulär, damit fängt man keine Wählerstimmen.

Aber: Wir haben unsere Politiker nicht gewählt, damit sie populistisch bei jedem Gegenwind umfallen, sondern damit sie das Wohl aller in unserem Staat im Auge haben, und dabei nicht kurzfristig, sondern langfristig denken. Und wenn Politikerinnen und Politiker dem ein oder der anderen auf die Füße treten müssen, ist das bedauerlich, aber nicht zu vermeiden.

Eine Impfpflicht für alle ab 18 wäre daher die richtige Entscheidung gewesen. Die Menschen, die im Bundestag mit Nein gestimmt haben, haben sich ein Zeugnis der Mutlosig-, Kurzsichtig- und Verantwortungslosigkeit ausgestellt. Erbärmlich.

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