Macht und Sex im alten Rom

Monolog "Aggripina"

MÜNSTER Als Erziehungsbeistand wich Seneca über Jahre nicht von Neros Seite. Der Kaiser jedoch war es schließlich, der seinen Lehrer zum Tode durch Selbsttötung verurteilte. Der Überlieferung nach kam Seneca dem Todesbefehl ohne Zögern nach. Im U2 des Theaters Münster schickte er am Donnerstag seinem Ende zunächst einen abendfüllenden Monolog voraus.

05.04.2013, 18:41 Uhr / Lesedauer: 2 min
Philosoph in Unterwäsche: Hartmut Lange als Seneca.

Philosoph in Unterwäsche: Hartmut Lange als Seneca.

„Wer in Ruhe lebt, der kann auch in Ruhe sterben“, spricht der Verurteilte mit wachem Blick. „Nicht also um mich selbst, Nero, bin ich in Sorge oder auch nur aufgeregt.“ Und doch könne er das Urteil so nicht akzeptieren, bricht es schon wenige Minuten später aus ihm heraus. Ein kurzer Moment, in dem er schlicht die Fassung zu verlieren scheint. Doch tut er dies wirklich? Minutiös geplant, vollzieht Seneca in der Folgezeit seine Selbstpräparation, macht sich bereit zum Suizid. Schritt für Schritt verwandelt er sich selbst vom Todeskandidaten in Baumwollunterwäsche zum selbstverliebten Bräutigam in feinem Zwirn. Sogar im Todeskampf wird dieser noch die Kontrolle über sich behalten.

Im Bühnen-Provisorium aus Baufolie und kartonierten Wänden taucht Lange tief ein in die Historie rund um Senecas Schützling Nero und berichtet, wie im römischen Reich das Zepter der Macht auch einstmals Agrippinas Hände streifte. Als totes Requisit stets an seiner Seite: die Kaisermutter als abgehalftertes Haupt einer Sexpuppe. Zum Gebrauchswesen degradiert, hat die Silikondame bei Hofe nichts mehr zu melden. Eines wird klar in all dem historischen Wirrwarr um Politik und Herrschaft: Macht und Sexualität sind in diesem Staate nicht zu trennen. Wer das Sagen hat, der nimmt sich, was er will und wen er will. Nicht die vom realen Philosophen Seneca in einer Denkschrift geforderte Milde, sondern ungezügelte Geilheit ist es, die hier das römische Geschick bestimmt. Für weitere menschliche Befindlichkeiten gibt es dort keinen Platz.

Sein Recht auf Trauer habe Nero verspielt, behauptet Seneca mit Hinweis auf den Muttermord. Dem Trauernden gehe es stets um den eigenen Schmerz, nicht um das Leiden des Verstorbenen. Das „Zähneklappern vor unserem eigenen Tod“ sei es, dass uns zeige, wie wir unser Leben verplempern, spricht der weise Mann. So sehr er sich bemüht, auch ihm gelingt es nicht, im Angesicht des Todes souverän zu bleiben und seine Angst zu verbergen. Mit vielen Stimmen seziert Lange den über Strecken zähen Text und macht dabei vor allem eines spürbar: die unterdrückte Wut eines gekränkten Mannes.