Lustlosigkeit und Pornosucht? Wie die Corona-Pandemie unser Sexleben beeinflusst

Gesellschaft

Die Corona-Pandemie verändert seit mehr als einem Jahr den Alltag – und damit auch unser Liebesleben. Paartherapeuten und Psychologen geben Singles und Paaren Tipps für den sexuellen Anreiz.

Hannover

von Jessica Orlowicz

, 07.04.2021, 20:30 Uhr / Lesedauer: 3 min
Die Corona-Krise wirkt sich auf verschiedene Bereiche unseres Lebens aus. Auch das Sex- und Liebesleben ist betroffen.

Die Corona-Krise wirkt sich auf verschiedene Bereiche unseres Lebens aus. Auch das Sex- und Liebesleben ist betroffen. © picture alliance / Jan-Philipp Strobel/dpa

Es gab Zeiten, da konkurrierte das romantische Dinner am Abend mit der aufregenden Hotelübernachtung in den Bergen. Die Dessous in den Schaufenstern der Stadt verführten zum Kauf, eine kurze Bewegung mit dem Daumen entschied über das nächste Date.

Seit rund einem Jahr ist nichts, wie es mal war: Der Alltag befindet sich durch die Corona-Pandemie im Wandel, das Sex- und Liebesleben passt sich an. Für die einen ist das ein Fluch, für die anderen ein Segen.

Bei vielen steigt die Lust auf Sex in Zeiten der Pandemie

„Grundsätzlich ist es so, dass mehr miteinander geschlafen wird“, sagt der Berliner Psychotherapeut Wolfgang Krüger, der ein Buch zum Thema „Die erfüllte Sexualität“ geschrieben hat. „In Krisenzeiten ist immer eine Intensivierung von Liebesbeziehungen zu beobachten.“ Denn Liebe und Sexualität seien Möglichkeiten, ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen.

Zum Beleg verweist Krüger auf das Kaufverhalten der Deutschen: „Es gibt zwei Dinge, die in der Lockdownzeit besonders begehrt sind: Das eine ist Toilettenpapier und das andere sind Präservative – und witzigerweise auch Sexspielzeug.“

Das bestätigt auch der Erotikversandhandel: „In den Zeiten der Isolation und der räumlichen Trennung haben wir bei Amorelie in der Tat einen Anstieg der Bestellungen verzeichnet“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. „Im zweiten Lockdown noch stärker als im ersten.“ Im November und Dezember 2020 seien 170 Prozent mehr Produkte verkauft worden als noch im April und Mai.

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Und auch wer allein ist, ist in Pandemiezeiten nicht zwingend einsam – obwohl viele Möglichkeiten, jemanden offline kennenzulernen, wegfallen. „Datingportale sind aktuell gut besucht“, sagt die Münchner Neurologin und Sexualtherapeutin Heike Melzer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Zwar seien die Übernachtung im Hotel, das Dinner und der Barbesuch nicht mehr möglich, allerdings verlagere sich das anfängliche Dating ins Netz. Das bestätigt ein aktueller Report der Dating-App Tinder: Demnach verabredete sich fast die Hälfte der Nutzer schon zu einem Treffen vor dem Bildschirm. Zwei Fünftel planen, auch nach der Pandemie weiter digitale Dates zu haben.

„Das hilft auch, sich Ruhe zu nehmen und nicht ganz so schnell von einer Person zur nächsten zu springen. Ein Jägertyp investiert so vielleicht mehr in die Tiefe einer Bindung“, sagt Melzer. Dazu raten die Experten der Initiative Liebesleben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) ohnehin: Sie empfehlen, die Anzahl der Sexpartner in der Krise zu verringern, etwa durch feste Vereinbarungen.

Kommen sich zwei Menschen doch näher, spielen nicht nur sexuelle Erkrankungen und Verhütung vor dem Geschlechtsverkehr eine Rolle, sagt Melzer. „Auch mögliche Corona-Infektionen werden thematisiert und Schnell- oder Selbsttests gemacht.“

Auch der Pornografiekonsum nimmt in der Corona-Krise zu

Doch auch andere Auffälligkeiten über unsere Sexualität tun sich auf: Laut Melzer steigt das Interesse an Webcamsexangeboten und pornografischen Filmen. Branchenriese Pornhub sammelte im ersten Lockdown zwischen März und Juli 2020 nach eigenen Angaben täglich bis zu 26 Prozent mehr Klicks aus Deutschland als in der Zeit vor der Pandemie.

Die Sucht nach Internetpornografie wird aus Expertensicht zu einem immer größeren Problem für die Gesellschaft: Laut Studien beträgt der Anteil der Betroffenen in der Bevölkerung zwischen 5 und 8 Prozent.

„Sexualität lässt sich in drei Rubriken unterteilen: Wir haben Sex zur Fortpflanzung, aus Liebe und als Trieb“, sagt Melzer. „Wer sich die aktuelle Situation ansieht, stellt fest: Um die Liebe ist es einsamer geworden.

Viele haben verlernt, auf Verbindlichkeiten einzugehen.“ Sowohl Männer als auch Frauen seien heute viel autonomer hinsichtlich ihrer triebhaften Seite. Außerdem fehle es dem Hirn durch die eingeschränkten Freizeitaktivitäten an Belohnung.

Das Resultat: Männer widmen sich oftmals Pornos, Frauen greifen für einen schnellen, effizienten Orgasmus zum vibrierenden Sexspielzeug. „Das ist erst mal nichts Schlechtes, aber ein bisschen wie Fast Food essen: ein kurzes Highlight, aber langfristig vielleicht nicht die beste Wahl“, sagt Melzer.

Wenn die Corona-Pandemie die Lust auf Sex hemmt

Virtuelle Alternativen zum Sex treffen in der Corona-Pandemie auf Homeoffice und eingeschränkte Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Im Zweifelsfall hemmt das die Lust auf Sex.

„Normalerweise gibt es ein bestimmtes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz in einer Partnerschaft“, erklärt Diplompsychologin und Paartherapeutin Christine Geschke dem RND. „In der Krise entsteht aber eine Disbalance: Der Partner wird zur permanenten Routine.“ Dadurch entstehe eine hohe Berechenbarkeit, Aufmerksamkeit und Spannung nähmen ab.

Ein Zeichen dafür, die Beziehung grundsätzlich infrage zu stellen, ist das der Expertin nach nicht. Sie empfiehlt Paaren, offen zu kommunizieren und sich des Einflusses der Umstände bewusst zu sein: „Manchmal hilft es, sich einzugestehen: Wir sind ein bisschen coronageschädigt, denn wir haben sonst mehr Optionen, ein eigenes Individuum zu sein.“ Andersherum sei es auch denkbar, dass die aktuellen Bedingungen als Möglichkeit dienen, die Beziehung grundsätzlich zu überdenken. Auch in einer Trennung liege womöglich eine Chance.

Doch was hilft, das Sexleben nach einem Tief wieder aufzupäppeln? „Wer gemeinsam mit seinem Partner neue Spielvarianten entdeckt, nimmt ihn nicht mehr als Routine wahr, sondern als jemanden, der etwas Neues anzubieten hat“, sagt Geschke. „Dann ist das Gehirn wieder voll da.“ Und dazu eignet sich der derzeitige Stillstand eigentlich gut.

„Zu mir kommen einige Paare, die sagen: ‚Wir waren jahrelang ruh- und rastlos, jetzt ist es an der Zeit, mal eine Tantraanleitung zu lesen und das bei Kerzenlicht auszuprobieren‘“, berichtet Melzer. Die Expertin rät bei einer Corona-Flaute im Bett außerdem dazu, die Sinnlichkeit zu schulen, zum Beispiel in Form von romantischen Ausflügen zu umliegenden Seen oder einem gemeinsamen Pornografiegenuss.

Die Sexualität als einen Kontext zu betrachten, der mit etwas Neuem gefüllt werden kann, erhält die Spannung laut Paartherapeutin Geschke nicht nur – es trägt auch dazu bei, sie zu steigern.

RND