„Lucrezia Borgia“ am Aalto-Theater Vier Solisten retten musikalisch herausragende Premiere

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Bei den Schlussproben ereilte das Aalto-Theater in der letzten Woche fast so etwas wie ein „Borgia-Fluch“: Gleich vier Solisten aus dem eigenen Ensemble wurden krank, darunter mit Jessica Muirhead sogar die Sängerin der Lucrezia Borgia.

Doch fanden sich für die Donizetti-Oper glücklicherweise versierte Ersatzkräfte.

Dreiecksgeschichte

Eine simple Dreiecksgeschichte

Die Oper erzählt im Kern eine simple Dreiecksgeschichte. Protagonisten sind die als Giftmischerin gefürchtete Lucrezia aus der mächtigen, heute nicht zuletzt aus einer umfangreichen Fernsehserie bekannten Renaissance-Dynastie der Borgia, ihr Sohn Gennaro, der von der verwandtschaftlichen Beziehung zu ihr nichts weiß, und ihr Mann Don Alfonso, der Gennaro für ihren Liebhaber hält.

Regisseur Ben Baur reicht das aber nicht. Er möchte mehr historischen Kontext in die legendenhaft verbrämte Story hineinbringen, die er in einem düsteren, renaissancehaften Einheitsraum ausbreitet.

Den ersten vergifteten Wein lässt der Herzog (Davide Giangregorio, l.) von Kardinälen reichen, Lucrezia (Marta Torbidoni, r.) muss servieren.
Den ersten vergifteten Wein lässt der Herzog (Davide Giangregorio, l.) von Kardinälen reichen, Lucrezia (Marta Torbidoni, r.) muss servieren. © Bettina Stöß

Nach dem Drama von Victor Hugo

Weil die echte Lucrezia die Tochter eines Papstes war und mehrere früh verstorbene Kinder hatte, treten neben einem Klerus aus Mönchen, Kardinälen und einem Papst an zentralen Stellen auch fünf geisterhaft gezeichnete Kinderstatisten auf.

Des Weiteren begeisterte Baur allerdings auch der Schluss des „Lucrezia Borgia“-Dramas von Victor Hugo, der wiederum bloße Erfindung ist und sich zudem in der Donizetti-Oper so nicht findet.

Tausendmal wird das Herz verwundet

Bei Hugo vermag die Titelheldin dem Sohn ihre Mutterschaft erst zu erklären, nachdem dieser einen Dolch in sie gerammt hat. In der Oper hingegen klagt die verzweifelte Lucrezia im Duett mit dem irrtümlich vergifteten Gennaro an dieser Stelle lediglich: „Tausendmal am Tag sterbe ich, tausendmal wird mein Herz verwundet“.

Diesen Satz stellt Ben Baur nicht nur als Motto seiner Inszenierung voran, sondern er lässt seine Heldin im Laufe des Abends auch mehrfach in surrealer Manier erdolcht zu Boden sinken.

Fünf Tänzer beleben das Fest

All diese Regiezutaten beleben zwar die Oper, erschweren aber das Verständnis ihrer Handlung, wo die doch eigentlich so klar und eingängig ist wie Donizettis Musik. Sehr schön realisiert werden die Szenenwechsel.

Einen visuellen Höhepunkt bildet das um fünf Tänzer des Aalto-Balletts bereicherte Fest im zweiten Akt.

Die Musik selbst liegt bei Andrea Sanguineti in besten Händen. Der Italiener, ab nächster Spielzeit Generalmusikdirektor in Essen, breitet mit den Philharmonikern für die Sänger einen ebenso leichten und transparenten wie farbenreichen Klangteppich aus.

Ein tolles Sängerensemble

Marta Torbidoni, erst seit der Generalprobe mit von der Partie, singt die Lucrezia in ihrer Auftrittsarie noch unterkühlt, gewinnt aber an Wärme und steigert sich ohne Ermüdungserscheinungen bis zum virtuosen, atemberaubenden Finale.

Gennaro findet in Francesco Castoro eine Idealbesetzung mit eleganter, wendiger Belcanto-Stimme und tenoralem Schmelz. Weil er als Muttersöhnchen gezeichnet wird, passt es sehr gut, dass sein Freund Orsini (klangvoll und mit androgynem Timbre: Na’ama Goldman) beim gemeinsamen Duett als zweite Lucrezia daherkommt.

Davide Giangregorio singt den Herzog mit nuancenreichem Bariton.

Ab Mittwoch soll in Essen die ursprünglich geplante Premierenbesetzung zu erleben sein. Dann ist von den Genannten nur noch der großartige Francesco Castoro als Gennaro dabei.

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Termine: 30.11., 4.12., 5. / 14. 1., 4. / 15.2., 10.3.; Karten: Tel. (0201) 812 22 00.

www.theater-essen.de