Lisbeth Gruwez gibt dem Tanz neue Impulse

Pumpenhaus

Drei Tänzerinnen und zwei Tänzer stehen auf der Bühne des Pumpenhauses – jeder für sich, jeder eine Insel. Dann bewegen sie sich in extremer Zeitlupe aufeinander zu. Gleichzeitig setzt ein Schütteln aller Gliedmaßen ein, als wären die Protagonisten von Parkinson befallen.

MÜNSTER

von Von Helmut Jasny

, 19.10.2014, 20:11 Uhr / Lesedauer: 1 min
Tanztheater im Pumpenhaus, das sich vom Begriff Tanztheater löst: Lisbeth Gruwez zeigte »AH|HA«.

Tanztheater im Pumpenhaus, das sich vom Begriff Tanztheater löst: Lisbeth Gruwez zeigte »AH|HA«.

Was die belgische Choreografin Lisbeth Gruwez zusammen mit vier Tänzern der Kompanie Voetvolk hier aufführt, hat mit konventionellem Tanztheater nicht mehr viel zu tun. Eher erinnert ihr Stück „AH|HA“ an eine lange Rave-Nacht, die sie auf eine Stunde komprimiert hat, um die unterschiedlichen physischen und psychischen Dynamiken deutlicher herauszuarbeiten. Für die Protagonisten gestaltet sich diese Versuchsanordnung extrem schweißtreibend, während das Publikum mit einer völlig neuen, Aufsehen erregenden Tanzästhetik konfrontiert wird. Im Prinzip handelt es sich bei der Choreografie um einen einzigen Trip. Getrieben von künstlichen Stimulanzien und dem alles bestimmenden Rhythmus der Musik versuchen die Tänzer eigene Bewegungsmuster herauszuarbeiten, die darauf abzielen, soziale Kontakte herzustellen. Ansatzweise scheint das zu gelingen, wenn sie sich in einer kurzen Ruhephase zur Gruppe formieren und in befreiendes Gelächter ausbrechen.

Doch dann wird das Gelächter immer gewollter und künstlicher, bis es sich schließlich in eine Furcht erregende Grimasse verwandelt. Das Individuum ist erneut seines Ichs beraubt, und aus der vermeintlichen Gemeinschaft ist wieder eine Masse anonymer Körper geworden, die irgendwann erschöpft zu Boden stürzt – bis die Musik sie wieder aufscheucht und das ganze Spektakel von vorne beginnt. Gruwez arbeitet in „AH|HA“ mit den Mitteln der Verfremdung und der Gleichzeitigkeit gegensätzlicher emotionaler Zustände. Furcht und Freude, Ästhetik und Grauen liegen hier so nahe beieinander, dass sie als zwei Erscheinungsformen ein und derselben Sache gelesen werden können und der Zuschauer nicht mehr zu unterscheiden vermag, was Ursache und was Wirkung ist. Ein gelungenes Experiment, das dem zeitgenössischen Tanz neue Impulse gibt.