
Landwirt Friedrich Steinmann war mehr als 25 Jahre lang Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Recklinghausen. © Peter Leßmann
Landwirt Friedrich Steinmann: „Wir sind hier nicht in Bullerbü“
Interview
Mehr als 25 Jahre war Friedrich Steinmann die Stimme der Landwirte im Vest. Er sah sich immer als Lobbyist und versteht nicht, warum manche das als Schimpfwort interpretieren.
Mehr als 25 Jahre war Friedrich Steinmann Kreisverbandsvorsitzender der Landwirte im Vest. Kämpfte sich mit kühlem Kopf, Sachverstand, Beharrlichkeit und vor allem Argumenten durch manche Krise. Für sein Engagement erhielt der 68-Jährige Familienvater, der selbst Landwirt mit Milchviehhaltung, Schweinmast und Biogasanlage war und inzwischen als Rentner seinem Sohn unter die Arme greift, jetzt die Schorlemer Plakette in Gold aus den Händen des Präsidenten des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, Hubertus Beringmeier. Mit Ina Fischer sprach Steinmann über Milchkrise, Pflanzenschutzmittelverordnung und sogenanntes Tierwohl-Fleisch als Ladenhüter in heutigen Zeiten.
Über 25 Jahre Vorsitzender des Kreisverbandes der Landwirte im Vest – erinnern Sie sich noch an die Anfänge?
Damals hatte ich das Amt nicht auf dem Schirm und war erschrocken, als die Berufskollegen die Bitte an mich herangetragen haben. Meine erste Reaktion war: Das könnt ihr vergessen. Aber sie blieben hartnäckig und wie das so ist, irgendwann zählt man nicht mehr die Jahre, sondern macht einfach die Aufgaben, die mit diesem Amt anfallen.
Ihre Maxime dabei?
Ich bin kein Verfechter von Bastapolitik. Ich möchte überzeugen durch Interessenarbeit im jeweiligen Aufgabenbereich.
Was waren das vorrangig für Aufgaben?
Intensive agrarpolitische Diskussionen auf Landesebene zu führen. Genauer: Auf Kreisebene ein Meinungsbild herauszufiltern und auf Landesebene die Interessenlage der hiesigen Landwirte so einzubringen, dass sie sich in Gesetzesvorhaben wiederfinden. Wie typische Lobbyarbeit eben. Wobei: Lobbyarbeit ist in meinen Augen etwas Notwendiges und Normales. Politik ist immer auch Lobbyarbeit und wird gesteuert und gemacht von Interessengruppen. Ich habe mich immer für einen Lobbyisten gehalten und war stellenweise verwundert, wie manche das als Schimpfwort interpretierten.
Gab es Themen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind, an deren Stellschrauben Sie mitgedreht haben?
Ja, die Milchmarktkrise mit der damaligen BDM-Bewegung (Bundesverband Deutscher Milchviehhändler). Wegen sinkender Milchpreise steckten viele Landwirte damals in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und rangen um den richtigen Weg in der Milchmarktpolitik. Viele wollten radikale Produktionseinschränkungen auf nationaler Ebene durchsetzen, aber ich habe immer an dem Erfolg gezweifelt und mich da auch klar positioniert. Was interessiert den Weltmarkt, ob wir die Produktion hier um 30 Prozent einschränken? Das Thema war nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig. Aber Gott sei Dank hat sich die Bewegung in den Folgejahren beruhigt.

Kreisverbandstag der Landwirte am 2. September in Dorsten-Lembeck: Friedrich Steinmann (l.) erhält für seine Verdienste um die heimische Landwirtschaft die Schorlemer Plakette in Gold aus den Händen des Präsidenten des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands e.V., Hubertus Beringmeier. Es ist die höchste Auszeichnung, die der WLV zu vergeben hat. © WLV
Aufregerthemen gab und gibt es aber weiterhin, oder? Strichwort : Pflanzenschutzanwendungsverordnung.
Ich bin überzeugt, dass in der Politik zu viel Ideologie und zu wenig Sachkenntnis vorherrschen. Die Ideologie ist klar: Mehr Biodiversität, Schutz der Insekten durch Verbote glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel. Aber wo fehlt die Sachkenntnis? Zum Beispiel bei der Frage, warum Pflanzenschutzmittel grundsätzlich schädlich für Insekten sein sollen. Meiner Meinung nach ist das nicht automatisch der Fall, und es werden viele Kampfbegriffe ohne Hintergrundwissen benutzt. Ohne die Konsequenzen zu durchleuchten. Wenn wir den Pflanzenschutzmitteleinsatz reduzieren, bedeutet das gleichzeitig eine radikale Senkung der Produktion von Agrarrohstoffen, sprich: Lebensmittel. Das ist ein Problem, gerade heute im Angesicht von Krieg und steigenden Energiepreisen. Unser Kühlschrank ist morgen noch voll. Ihrer auch, aber in unserer globalisierten Welt sind viele, die am Ende hinten runterfallen. Komplexe Themen müssen demnach mit allen Facetten von Fachleuten durchgespielt werden. Alles andere ist dekadent. Weiteres Beispiel: Weniger hochwertige Lebensmittel, die über deutsche Grenzen gar nicht ins Land kommen dürften…
Sie spielten eben kurz auf die Energiekrise an. Sie selbst haben 20 Jahre lang eine Biogasanlage betrieben, die nun aber stillgelegt ist. Der Grund?
Damals, im Jahr 2000 war das Thema erneuerbare Energien schon einmal hoch aufgehängt, aber als 20 Jahre später die EEG-Umlage, die Energiepreisvergütung wegfiel, stimmte der wirtschaftliche Rahmen nicht mehr. Zudem liegt unser Hof in einer Lage, in der der Transport von den riesigen Rohstoffmengen und den Gärresten eine logistische Herausforderung ist. Ja, inzwischen hat sich die Situation wieder geändert, erneuerbare Energien werden gebraucht wie nie, aber es gibt zu wenig Planungssicherheit und zu viel unternehmerisches Risiko. Außerdem hat mein Sohn den Hof inzwischen übernommen und sein Herz an die Milchviehhaltung gehängt, sie um 30 Prozent gesteigert. Und auch die Schweinemast ist ja arbeitsintensiv.
Auch in der Schweinemast gibt es Diskussionen, etwa um das Tierwohl. Was halten Sie davon?
Über Tierwohl lässt sich lange diskutieren. Wie hält man die Schweine besser? Geben wir ihnen mehr Platz, mehr Spielzeug, mehr Tageslicht? Wobei Schweine lieber den Schatten und das Halbdunkel suchen. Viele Forderungen haben wir umgesetzt, aber das hat Kosten verursacht, über die man nicht hinwegtäuschen darf. Wir sind ja hier nicht in Bullerbü. Wenn Mehrkosten in Kauf genommen werden sollen, funktioniert das nur, wenn der Markt diese am Ende auch bezahlt. Aber gerade im letzten halben Jahr hat sich das Einkaufsverhalten der Menschen wieder geändert. Jetzt steht wieder mehr der Preis im Fokus als die Frage, wie produziert wurde. Die Leute müssen sparen. Und wo Preissteigerungen brutal zuschlagen, ist hochwertiges Tierwohl-Fleisch nicht mehr gefragt, wird sogar zum Ladenhüter.
Kann da ein Amt als Kreisverbandsvorsitzender der Landwirte im Vest überhaupt noch reizen?
Wir brauchen die Diskussion in der Demokratie. Sie ist zwar eine anstrengende Staatsform, aber die beste, die ich kenne.
Zugezogen aus dem hohe Norden und geblieben – schon während des Journalistik-Studiums in Dortmund in die Schönheit des Ruhrgebiets ebenso verliebt wie in den Vater der gemeinsame kleinen Tochter. Deshalb: Nie wieder weg hier. Seit über 20 Jahren inzwischen freiberuflich für das Medienhaus Bauer und die Ruhr Nachrichten unterwegs – vor allem in Sachen Freizeit, Kultur und Gesundheit. Wichtiges Anliegen: Medizinische Themen gut und verständlich zu erklären.