Kulturhauptstadt präsentiert sechsmal «Odyssee»

Mit sage und schreibe sechs Uraufführungen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen glänzte die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 am Wochenende.

Essen (dpa)

von von Ulrich Fischer, dpa

, 01.03.2010, 15:17 Uhr / Lesedauer: 2 min

Christoph Ransmayrs «odysseus, verbrecher. schauspiel einer heimkehr» in Dortmund stand am Sonntagabend am Ende des Theatermarathons, für den eine Dramatikerin aus der Türkei und Dramatiker aus Polen, Irland, Ungarn, Österreich und Deutschland Stücke zum Thema «Odyssee» geschrieben hatten. Das Publikum war angetan, teilweise begeistert - an Beifall wurde nicht gespart.

So unterschiedlich die Kommentare, Neuaneignungen, Stellungnahmen und Travestien auch ausfielen, in einem stimmten die europäischen Stückeschreiber überein, wie schon Ransmayrs Titel «odysseus, verbrecher» nahelegt: Während Homer den Krieg um Troja und die griechischen Fürsten als Helden verherrlichte, rechnen Homers Kollegen im 21. Jahrhundert gnadenlos mit den «Städteverwüstern» ab: sie verurteilen den Krieg einmütig - die Friedenssehnsucht ist schließlich ein Grundstein der europäischen Einigung.

Die Zuschauer selbst begaben sich mit dem Projekt auf eine Odyssee durch das Ruhrgebiet. Sie begann in Essen; zwischen den Vorstellungen - drei am Samstag, drei am Sonntag - gab es viele Möglichkeiten, mit Reisegefährten zu reden. Thema war fast immer das Theater. Es gab eine Fülle interessanter, tiefgründiger, auch kontroverser Gespräche - genau das Gegenteil der Kriege, die Jahrhunderte Europa verheert haben. Ein Höhepunkt war eine nächtliche Fahrt auf dem Rhein-Herne Kanal.

Künstlerisch schoss Enda Walsh mit seiner Farce «Penelope» den Vogel ab - allerdings überforderte der irische Dramatiker mit seinem geistfunkelnden Witz und Volkstheaterton das Ensemble in Oberhausen. Die Schauspieler in Bochum glänzten weit heller, Roland Schimmelpfennig hätte sich für sein neues Stück «Der elfte Gesang» kaum eine bessere Uraufführung wünschen können - Lisa Nielebock führte souverän Regie, Wolfgang Michael porträtierte Odysseus virtuos als skrupellosen Intellektuellen.

Ein Grundeinwand gegen das Konzept ist die Überfülle: sechs Stücke an zwei Tagen - nicht wenige Zuschauer fühlten sich überfordert; ein Eindruck löscht den anderen aus. Gleichzeitig wurde indes eine Stärke Europas deutlich: Wenn auch in wichtigen Politikfeldern mehr Einheitlichkeit zu wünschen wäre, bei der Kultur liegt Europas Stärke in der Vielfalt.

Diese Tatsache machte sich auch die «Kulturhauptstadt RUHR.2010» zunutze. Die Theater der Region plagen sich mit Finanzschwierigkeiten, weil die meisten von Kommunen getragen werden, die unter ihrer Schuldenlast stöhnen. Einige Politiker plädieren mehr oder weniger offen für Theaterschließungen. Bei der «Odyssee» wurde deutlich, dass die Vielfalt der Bühnen im Ruhrgebiet ebenso Quell des Reichtums ist wie bei der Kultur in Europa. Das Schlosstheater Moers konnte viele Unterschriften der Odyssee-Zuschauer für eine Resolution zugunsten seines Erhalts buchen.

Wenn auch einzelne Eindrücke in der Flut der Impressionen verloren gegangen sein dürften, bleiben doch zwei intensive Theatertage und ein überzeugendes, vielstimmiges, humorvolles und gleichzeitig bitter ernstes transnationales Plädoyer gegen den Krieg und für den Frieden. Die eindrucksvollste Szene lieferte vielleicht das Theater an der Ruhr, als es an die Festung Europa erinnerte, vor deren Mauern viele Flüchtlinge im Mittelmeer elend ertrinken. Dies sei der Geist des Krieges, rückwärtsgewandt, unmenschlich und aggressiv, befand die Mülheimer Bühne, ganz im Sinne ihres Autors, des Ungarn Péter Nádas, eine ebenso unversöhnliche wie eindrucksvolle, plausible Anklage.

www.odyssee-europa.de

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