Kritische Leser nehmen Sigmar Gabriel ins Kreuzverhör

SPD-Parteichef im Gespräch

Europa in der Krise, die SPD auf der Suche nach dem richtigen Kurs und die ungelöste Flüchtlingskrise: SPD-Chef Sigmar Gabriel hat sich Freitagabend den Fragen unserer Leser gestellt. Dabei gingen die Gäste nicht zimperlich mit dem Vizekanzler um – er allerdings auch nicht mit ihnen. Für alle, die den Livestream verpasst haben, gibt es hier noch einmal die komplette Fragerunde im Video.

DORTMUND

, 08.07.2016, 21:45 Uhr / Lesedauer: 2 min
®Copyright Stephan Schuetze

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Knapp 100 Leser sind ins Pressehaus nach Dortmund gekommen – und gleich die erste Frage des 18-jährigen Maximilian Heinz macht klar, dass es keine Wohlfühlveranstaltung für den obersten Sozialdemokraten werden soll: „Man hat den Eindruck, dass Sie sich mit zwei großen Koalitionen der CDU unterworfen haben. Ist die SPD nur noch eine Unterpartei der CDU?“

„Die Tatsache, dass man koaliert, bedeutet nicht, dass man sich unterwirft“, entgegnet der SPD-Chef knurrig. Dann zählt er die, wie er es nennt, Erfolge der SPD in der aktuellen Regierung auf: Mindestlohn, abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, Frauenquote, Mietpreisbremse – die Reihe setzt er noch fort. Alles durchgesetzt gegen die CDU. Das sei „ein sozialdemokratisches Regierungsprogramm mit einer konservativen Kanzlerin“. Am Ende des Tages sei Politik kein Selbstzweck – sondern dafür da, dass sie das Leben besser mache. Auch wenn das heiße, nicht den Kanzler zu stellen.

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Eindrücke von unserem Talk mit Sigmar Gabriel

08.07.2016
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Ein bestimmendes Thema des Abends: der „Brexit“, also der drohende Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union. Wieso Politiker erst jetzt nach dem Votum der Briten merkten, dass in Europa etwas schief läuft, will Wolfram Keller aus Ahaus wissen. Gabriel räumt ein, dass Euroskepsis nichts Neues sei. „Seit den ersten Europawahlen 1979 ist die Wahlbeteiligung europaweit stetig gesunken.“ Die Entfremdung der Bürger von der EU liege nicht zuletzt auch an einer Subventionspolitik, die die Bürger nicht nachvollziehen können.

„Wenn ein Arbeiter bei Nokia in Bochum sieht, wie EU-Mittel dafür ausgegeben werden, dass das Werk in Rumänien wieder aufgebaut wird, um dort zu niedrigeren Löhnen Jobs zu schaffen, die den eigenen Job vernichten, wundert man sich nicht über eine solche Entwicklung.“ Europas Staaten müssten aber auch aufhören, die falschen Geschichten zu erzählen. Der Norden, auch Deutschland, müsse verstehen, „dass wir nicht die Nettozahler der EU sind“. Deutschland profitiere mit seinen Exporten enorm.

Nationale Egoismen

Genauso müssten sich aber auch Länder wie Griechenland im Süden für Reformen öffnen, Korruption beenden. Europa halte sein Versprechen von Frieden und Wohlstand für alle nicht mehr und müsse wieder ein gemeinsames Projekt werden, keine „Durchsetzung nationaler Egoismen“.

Auch Teile der unter Rot-Grün beschlossenen Hartz-IV-Reform bezeichnet Gabriel als falsch: „Dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, nach 18 Monaten auf das gleiche Sozialhilfeniveau abrutschen wie Menschen, die noch nie gearbeitet haben, war ein gigantischer Fehler.“

"Angst ist keine Rechtfertigung für Gewalt"

Scharf im Ton wird Gabriel, als er von einem Ehepaar aus Schwerte gefragt wird, warum er dieses als „Pack“ bezeichnet habe, nur weil sie friedlich gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung protestiert hätten. „Das habe ich nicht getan“, sagt Gabriel. Er habe so Neonazis bezeichnet, die im sächsischen Heidenau Flüchtlinge bedrängt und bedroht hätten. „Wenn Sie sich aber mit solchen Leuten gemein machen und angesprochen fühlen, ist das Ihr Problem und nicht meins.“ Er verstehe die Ängste vor Überfremdung, die manche hätten, aber es gelte: „Selbst die größte Angst ist keine Rechtfertigung für Gewalt.“

Die Frage nach dem SPD-Kanzlerkandidaten lässt er auch an diesem Abend unbeantwortet. „Lassen Sie uns noch ’ne Weile nicht über Personen reden, sondern über die Frage: ‚Wohin wollen wir?‘.“

Hier gibt es das komplette Video der Fragerunde mit Sigmar Gabriel: