Kriminologe Kudlacek zu ausländischen Straftätern „Wir verschließen die Augen vor der Wirklichkeit“

Kriminologe Kudlacek zum Ausländer-Anteil von Straftätern: „Die Augen zu verschließen, hilft nicht“
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Er zahlt, sagt er, einen hohen Preis für seine Ansichten zur Ausländerkriminalität. Kollegen schneiden ihn, er erhalte Drohungen, die auch schon in einem Aufruf zur Vergewaltigung seiner Frau gegipfelt hätten.

Prof. Dr. Dominic Kudlacek (43) ist Sozialwissenschaftler und Kriminologe. Er lehrt an der Hochschule Bremerhaven und ist für migrationssoziologische Studien sowie für verschiedene Projekte auf dem Gebiet der Sicherheitsforschung verantwortlich.

Dass er soviel Gegenwind erhält, hängt damit zusammen, dass er gängige Erklärungsmuster für eine hohe Ausländerkriminalität infrage stellt. „Da wird gesagt: ‚Die Gruppe, die wir da betrachten, ist überwiegend männlich, jung, lebt im urbanen Raum, ist schlecht gebildet und hat schlechte Zukunftsperspektiven.‘ Damit sind grundsätzliche Belastungsfaktoren genannt, die mit Gewaltkriminalität häufig einhergehen nach dem Motto: Die sind nicht krimineller, weil es Ausländer sind, sondern die sind krimineller, weil es Jugendliche sind.“

Kudlacek zweifelt zwar nicht an diesen Belastungsfaktoren, hält die Schlussfolgerungen gleichwohl für falsch.

2015 habe er, so berichtet er im Gespräch mit unserer Redaktion, in Erstaufnahmeeinrichtungen lebende Menschen befragt. „Damals habe ich in einem Interview gesagt: ‚Wenn die nicht krimineller werden, wenn wir jetzt nicht einen riesigen Kriminalitätsschwall sehen werden, dann wäre alles, was die Kriminologie in den letzten 50, 60 Jahren gesagt hat, falsch, weil wir eben von diesen Belastungsfaktoren wissen‘.“

Seinerzeit sei er – auch von Kollegen – massiv kritisiert worden: „Das sei Wasser auf die Mühlen der AfD. Es gebe auch soziologische Modelle, die würden vorhersagen, dass die sich besonders gut verhalten würden, weil sie sich als Gast in einem fremden Land wahrnehmen würden“, berichtet Kudlacek. Zwei Jahre später habe er nachgeforscht, was aus seiner Prognose geworden sei: „Es war genauso gekommen, wie ich das vorhergesagt hatte.“

Für Kudlacek steht fest: „Kriminalität ist keine Frage des Passes, sondern der Lebensbedingungen. Aber zu den Lebensbedingungen gehört eben auch der Kulturkreis, in dem man sozialisiert wurde, und die Werte, die einem vermittelt oder einem eben nicht vermittelt worden sind.“

„Wir machen denselben Fehler wie 2015/16“

„Würden die Argumente stimmen – Da gibt’s keine Unterschiede, das ist alles durch Belastungsfaktoren zu erklären – dann hätten wir genau das gleiche Deliktspektrum bei Algeriern und bei Leuten aus Zentralafrika wie bei Leuten aus dem Nahen Osten. Das haben wir aber nicht. Wir haben da Unterschiede“, sagt Kudlacek.

Deshalb greife dieses Argument nicht: „Wir machen denselben Fehler wieder, der 2015/2016 gemacht wurde: Wir verschließen die Augen vor der Wirklichkeit aus Sorge vor dem Verletzen politischer Korrektheit.“

Wie Wissenschaftler vorgehen sollten

Kudlacek sagt: „Wenn Sie als Wissenschaftler ein Phänomen beobachten, dann sucht man nach der naheliegendsten Erklärung. Das aber ist im Bereich Ausländerkriminalität in Deutschland nie gemacht worden.“ Wenn man da einen Anstieg sehe, sei die plausibelste Erklärung: „Das geht von dieser Gruppe aus!“

So gehe man aber nicht vor, sondern frage: „Was könnte das erklären, ohne dass es diese Gruppe belastet? Es werden alle möglichen komplizierten Konstrukte herangezogen. So funktioniert Wissenschaft aber nicht.“

Er unterstelle den Menschen, die sich „weigern, diese Zahlen so zu interpretieren wie es plausibel und sinnvoll wäre“ nichts Böses. „Die meinen es, glaube ich, gut. Aber nicht alles, was man gut meint, hat auch eine gute Wirkung.“ Das sei aus zwei Gründen fatal, sagt Kudlacek:

„Erstens, weil wir die Augen vor wichtigen Entscheidungen verschließen. Man unternimmt nichts dagegen, dass diese kriminellen Pfade unterbrochen werden. Sie brauchen ganz andere Präventionskonzepte, um diese jungen Männer vor einem Abgleiten in schwere Kriminalität zu schützen“, sagt der Kriminologe.

„Zweitens: Die Leute sind nicht dumm“, sagt Kudlacek. Die sähen die Statistiken und wenn dann jemand komme, um diese Daten zu relativieren, dann vertrauten sie dem nicht mehr. „Die sagen sich: ‚Offensichtlich ist der linke Balken mit den Ausländern viel höher als der rechte Balken. Da will ich keine Relativierung haben. Da möchte ich eine klare, ehrliche Erklärung‘.“

Gravierende Schlussfolgerungen

Die Schlüsse, die Kudlacek aus seinen Beobachtungen ableitet, sind gravierend: „Es gibt im Strafrecht das Instrument der Diversion.“ Wenn ein Jugendlicher straffällig wird und vor Gericht steht, gibt es die Hoffnung, dass allein das Verfahren Strafe und Abschreckung genug ist, damit keine Straftaten mehr begeht. „Dann kann von einer Strafe abgesehen werden“, erläutert Kudlacek.

Das sei ein Instrument, das grundsätzlich nicht verkehrt sei: „Man will damit kriminelle Lebenswege durchbrechen.“ Allerdings habe man schon bei den Spätaussiedlern festgestellt, dass die ihre eigenen Schlüsse zogen: „Die sagten sich: ,Das ist aber komisch. Selbst wenn ich erwischt werde und vor dem Richter sitze, wird eingestellt‘. Daraus haben sie andere Schlüsse gezogen als der Jugendliche, der auf ein altsprachliches Gymnasium im ländlichen Raum geht und vor Gericht steht.“

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Kudlacek ist sicher, dass der Umgang mit Straftätern, der total auf Integration setze und bloß nichts falsch machen wolle, hier nicht funktioniert: „Wenn jemand drei, vier solcher Vorstrafen mit Bewährung erhalten hat, greift der Richter oder die Richterin beim vierten, fünften Mal zur großen Kelle“. Das sei gut belegt.

„Und dann verschwinden diese Leute für viele Jahre im Gefängnis. Wenn dieser Weg erst mal eingeschlagen ist – das ist ein Urbefund der Kriminologie, über den man nicht mehr diskutieren muss – dann ist viel kaputt gemacht worden. Bei den Opfern, aber auch bei den Tätern, was die Chancen der Integration anbelangt.“

„Frühzeitig Grenzen aufzeigen“

Es sei viel sinnvoller, viel konsequenter frühzeitig Grenzen aufzuzeigen und so ein Abgleiten in eine kriminelle Karriere zu unterbrechen. Dazu müsse man aber erst einmal die Dinge beim Namen nennen: „Es hilft nichts, wenn wir vor der Wirklichkeit die Augen zumachen“, sagt Kudlacek.

Man befinde sich auf einem Weg, auf dem „Eliten, weil sie die Realität nicht sehen wollen, weil die nicht ins Konzept passt, einfach solche Wahrheiten nicht aussprechen.“

Er sehe die größte Gefahr darin, dass Menschen, die Kriminalpolitik betreiben, auch Wissenschaftler und Entscheidungsträger, nicht einsehen wollen, was schief gelaufen ist in den letzten Jahren: „Davon geht eine größere Gefahr aus als im Augenblick noch von der Belastung durch Kriminalität mit Ausländern im Allgemeinen“, sagt Kudlacek.

„Leben nach eigenen Regeln - das geht nicht“

Beispielsweise halte er die Versuche, Imame oder muslimische Friedensrichter in bestimmten Bereichen einzubinden, für falsch: „Es wird ja oft gesagt: ‚Die Regeln hier, die gelten nicht für uns, wir haben unsere eigenen Regeln.‘“ Wenn man das mache, gestatte man ja, was gefordert werde, nämlich ein Leben nach den eigenen Regeln.

Das aber gehe gar nicht: „Die strafrechtliche Aufarbeitung der reinen Straftaten, die Rechtsfindung und damit die grundsätzliche Wiederherstellung des Rechtsfriedens, die muss dem deutschen Rechtsstaat obliegen, ausnahmslos.“

Für seine Position habe er viel Kritik einstecken müssen: „Ich habe von Rechts wie von Links Druck bekommen. Auf der einen Seite ist zur Vergewaltigung meiner Frau aufgerufen worden, weil ich Erklärungsmodelle angeboten habe für die erhöhte Belastung von Zuwandern durch Kriminalität. Auf der anderen Seite bin ich von den Kollegen von Links angegangen worden. Ich habe mir dann gedacht: Wenn du von jedem so scharf angegriffen wirst, dann bist du offenbar genau in der Mitte. Offenbar liegst du dann genau richtig.“

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