Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage am Mittag

Russische Invasion

Mittels Fluchtkorridoren sollen Zivilisten aus umkämpften Gebieten evakuiert werden. Laut ihrem Generalstab stoppen ukrainische Streitkräfte den russischen Vormarsch. Entwicklungen im Überblick.

Kiew

23.03.2022, 11:45 Uhr / Lesedauer: 4 min
Ein ukrainischer Feuerwehrmann bei Löscharbeiten in einem nach russischen Angriffen zerstörten Haus in Kiew.

Ein ukrainischer Feuerwehrmann bei Löscharbeiten in einem nach russischen Angriffen zerstörten Haus in Kiew. © Vadim Ghirda/AP/dpa

Für die Rettung der Zivilbevölkerung aus umkämpften Städten und Dörfern in der Ukraine sind heute nach Angaben aus Kiew insgesamt neun Fluchtkorridore vorgesehen.

So soll die Evakuierung der belagerten Hafenstadt Mariupol fortgesetzt werden, wie Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk in einer Videobotschaft sagte. Für die Fahrt in die südukrainische Großstadt Saporischschja stünden rund zwei Dutzend Busse bereit. Nach russischen Angaben halten sich in Mariupol am Asowschen Meer noch 100.000 bis 150.000 Menschen auf. Dort herrschen katastrophale Bedingungen, es gibt kaum Essen, Wasser und Strom.

Auch aus den Orten Polohy und Huljajpole sind Fluchtkorridore nach Saporischschja geplant. Nordöstlich der Hauptstadt Kiew sind drei Routen vorgesehen: Aus Welyka Dymerka, dem benachbarten Bohdaniwka und Switylnja sollen Menschen in die Kiewer Vorstadt Browary gebracht werden, aus Borodjanka nordwestlich der Hauptstadt ist eine Evakuierung ins südlich gelegene Bila Zerkwa geplant. Schließlich soll es zwei Fluchtkorridore im ostukrainischen Gebiet Luhansk geben, von Rubischne sowie Nyschnje jeweils nach Bachmut.

Generalstab in Kiew: Truppen halten Stellung

Die ukrainischen Streitkräfte halten nach Angaben ihres Generalstabs die Stellung trotz fortdauernder russischer Luftangriffe. Der Vormarsch des Gegners werde an mehreren Fronten gestoppt, zum Beispiel bei Slowjansk im Gebiet Donezk im Südosten, teilte der Generalstab in Kiew am Mittwochmorgen mit. Auch Mykolajiw im Süden werde verteidigt, ebenso Tschernihiw im Nordosten.

Zur Lage in der seit Wochen besonders heftig umkämpften Stadt Mariupol teilte die Militärführung lediglich mit, die ukrainischen Kräfte verteidigten sich gegen Angriffe aus allen Richtungen. Die Berichte aus der Kampfzone waren zunächst nicht unabhängig überprüfbar.

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Das russische Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, Kampfhubschrauber vom Typ Ka-52 hätten ein ukrainisches Munitionslager zerstört. Ein Ort wurde nicht genannt. Die ukrainische Seite hatte zuvor von Angriffen dieser Hubschrauber im Raum Charkiw im Osten des Landes berichtet.

Moskau: Russische Raketen zerstören Waffen

Russische Raketen haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau erneut mehrere militärische Ziele in der Ukraine angegriffen. Eine vom Meer aus abgefeuerte Rakete habe in der Region Riwne im Nordwesten der Ukraine Waffen und Militärtechnik zerstört, darunter auch Lieferungen des Westens, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow.

Der Einschlag ereignete sich demnach am Dienstag rund 14 Kilometer nordwestlich der Stadt Riwne. Dazu veröffentlichte das Ministerium ein Video von einem Raketenstart des Küstensystems „Bastion“ und den Start einer von einem Schiff abgeschossenen Flügelrakete vom Typ „Kaliber“.

In einem Industriegebiet in der Nähe von Kiew seien zwei Startkomplexe für die ukrainischen Raketen vom Typ „Totschka-U“ zerstört worden. Zudem seien ein Kampfjet vom Typ Su-24 und mehrere Kampfdrohnen abgeschossen worden, teilte der Generalmajor mit. Zu Toten machte Konaschenkow keine Angaben. Insgesamt seien innerhalb von 24 Stunden (seit Dienstag) knapp 100 militärische Objekte zerstört worden, hieß es. Die Informationen des Ministeriums sind nicht von unabhängiger Seite überprüfbar.

Kiew fordert „vier Schritte“ zur Hilfe gegen Angriffe

Zum Kampf gegen die russischen Truppen fordert die Ukraine weitere Waffenlieferungen. Eine moderne Flugabwehr sowie Marschflugkörper und Granaten seien notwendig, twitterte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak. Dies gelte vor allem für den Fall, dass es weiterhin keine Flugverbotszone über der Ukraine gebe.

Podoljak forderte von den „lieben Partnern“ mehrere Maßnahmen. „Ihr wollt nicht mehr von den toten Augen unserer ermordeten Kinder träumen und die Hitze von Mariupol spüren?“, schrieb er. Dann seien „nur vier Schritte“ nötig, um dies zu ändern. Neben Flugabwehr und Marschflugkörpern nannte Podoljak auch ein hartes Embargo für russisches Öl sowie die Schließung von Häfen für russische Schiffe.

Selenskyj droht russischen Piloten

Präsident Selenskyj drohte allen Piloten russischer Kampfflugzeuge an, sie wegen ihrer Angriffe in der Ukraine persönlich zur Verantwortung zu ziehen. „Heute oder morgen, das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass es unausweichlich ist.“ Den Piloten sei offenbar nicht klar, was für Befehle sie ausführten: „Die Tötung von Zivilisten ist ein Verbrechen.“ Nach Kiewer Darstellung sind seit Kriegsbeginn vor knapp vier Wochen bereits rund 100 russische Kampfflugzeuge abgeschossen worden.

Staatschef sieht schwierige Verhandlungen mit Moskau

Zu den Verhandlungen mit Russland über einen Ausweg aus dem Krieg sagte Selenskyj: „Sie sind sehr schwierig, manchmal skandalös, aber wir bewegen uns Schritt für Schritt vorwärts.“ Unterhändler der Ukraine seien tagtäglich im Einsatz, sagte er in einer in der Nacht zum Mittwoch verbreiteten Videoansprache. „Wir werden arbeiten, wir werden so viel wie möglich kämpfen. Bis zum Ende. Mutig und offen.“

Er bedankte sich bei allen internationalen Kräften, die seinem Land helfen. Weitere Unterstützung erhofft sich Selenskyj von den drei in dieser Woche geplanten Gipfeltreffen von G7, Nato und EU. Er lud bei einem Telefonat auch Papst Franziskus zu einem Besuch in die Ukraine ein. Zu einer Antwort des Vatikans gibt es bisher keine Angaben.

Kreml: Einsatz in der Ukraine verläuft nach Plan

Der russische Militäreinsatz in der Ukraine verläuft nach Worten von Kremlsprecher Dmitri Peskow „streng nach Plan“. Der Verlauf entspreche den vorher festgelegten Zielen, sagte Peskow auf Englisch dem US-Sender CNN. Die Regierung in Moskau bezeichnet den Angriff auf die Ukraine als „speziellen Militäreinsatz“, nicht als Krieg.

Auf die Frage, was Präsident Putin in der Ukraine bislang erreicht habe, sagte Peskow, dass die Ziele „noch nicht“ erreicht seien. Als Ziel nannte er unter anderem das Dezimieren des ukrainischen Militärs. Kiew müsse zur Einsicht kommen, dass die 2014 von Moskau annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim nun ein „unverrückbarer Teil Russlands“ sei. Zudem müsse die Ukraine anerkennen, dass die Separatistenregionen im Osten nun „unabhängige Staaten“ seien.

Zuvor hatte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan gesagt, Putin habe mit dem Krieg bislang keines seiner grundlegenden Ziele verwirklichen können. Die US-Regierung und auch die Ukraine erklären seit Tagen, dass die russischen Streitkräfte logistische Probleme hätten und vor allem im Norden und Osten des Landes kaum Fortschritte machten.

Das wird heute wichtig

US-Präsident Biden bricht am Mittwoch zu einer Reise nach Europa auf, die ganz im Zeichen des Kriegs in der Ukraine steht. Erste Station ist Brüssel. Dort informiert Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg über das für Donnerstag angesetzte Gipfeltreffen des westlichen Verteidigungsbündnisses. In New York soll die UN-Vollversammlung am Mittwoch über eine weitere Resolution gegen den Krieg Russlands in der Ukraine zusammenkommen.

Die Ukraine dürfte auch wichtiges Thema bei der Generaldebatte des Bundestags über den Haushalt 2022 werden. Dabei wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine Politik darlegen. Er lehnte erneut einen sofortigen Import-Stopp für russische Energie als Druckmittel gegen Moskau ab. Sanktionen müssten einerseits einen starken Effekt auf Russland haben, andererseits aber auch für die eigene Volkswirtschaft verkraftbar sein, sagte er.

dpa

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