Ohne Reform-Turbo wird Milliardenpaket zum Rohrkrepierer Gaspedal statt Schuldenbremse

Ohne Reform-Turbo wird Milliardenpaket zum Rohrkrepierer: Gaspedal statt Schuldenbremse
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Ulrich Breulmann

Es ist schon seltsam, wie kreativ wir im Verschleiern unangenehmer Wahrheiten sind. Beispiel „Sondervermögen“. „Vermögen“ klingt nach einem Haufen Geld. „Sondervermögen“ aber ist das exakte Gegenteil: Das ist ein Haufen Schulden. Und zwar in einer gigantischen Größe von 500 Milliarden Euro innerhalb der nächsten zehn Jahre.

500 Milliarden Euro – das ist mehr als die 477 Milliarden Euro, die der Bund für das Jahr 2024 insgesamt ausgeben wollte. Und das ist ja längst nicht alles. Wahrscheinlich wird es eher eine Billion werden, denn für die Verteidigungsausgaben wird die Schuldenbremse so gelockert, dass es keine Obergrenze mehr gibt. Für die Bundeswehr gilt, in gut westfälischem Plattdeutsch: Wat mutt, dat mutt!

Putin bedroht Deutschland und Europa so aggressiv, dass die Gorbatschow-Zeit mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall der Mauer langsam im Meer der Erinnerungen versinkt. Als hätte es sie nie gegeben.

Putin ist unser Feind, Donald Trump hat die Freundschaft der USA zu uns aufgekündigt. Deshalb ist die Einigkeit bei der Landesverteidigung – abgesehen von den rechten und linken politischen Außenflanken – so groß. Zum Glück.

Was aber ist mit dem 500 Milliarden schweren Sondervermögen? Wer die letzten Jahre nicht blind, taub und ohne Kontakt zur Außenwelt in Deutschland gelebt hat, der weiß, in welch erbärmlichem Zustand vieles ist. Straßen, Brücken, Gleise, Bahnhöfe, bezahlbare Wohnungen, Schulen, Schwimmbäder, Spielplätze, Radwege, Kitas, Jugendzentren, Krankenhäuser, Pflegeheime, Grünflächen, Stromleitungen, Datenkabel und zig andere Dinge sind in oft desaströsem Zustand.

Das verschlechtert nicht nur die harten Standortfaktoren (etwa Transport- und Kommunikationswege), das mindert auch die „weichen“ Standortfaktoren. Letztere müssen stimmen, um qualifizierte Mitarbeiter an sich zu binden.

Höchste Zeit für eine Generalsanierung

Im Prinzip ist Sparen ehrenwert. Man kann sich aber auch kaputtsparen. Wer seine Schuhe nicht putzt, die Fahrrad-Kette nicht säubert, das Öl beim Auto nicht wechselt und ein undichtes Hausdach nicht ausbessert, wird irgendwann bestraft. Dann wird alles viel teurer, als wenn man sich früher gekümmert hätte.

Diesen Punkt haben jetzt große Teile der Infrastruktur erreicht. Deshalb ist es höchste Zeit für eine Generalsanierung. Trotz eines grundsätzlichen Ja zu den Schuldenberg-Plänen sollten wir allerdings fünf Punkte nicht vergessen:

Fünf Dinge, die wir nicht vergessen dürfen

1. Dass die Bundeswehr aufgerüstet werden muss, war schon lange vor der Wahl bekannt. Wie mies es um unsere Infrastruktur bestellt ist, ebenso. SPD und Grüne haben über Jahre immer wieder eine Reform der Schuldenbremse angemahnt. CDU und CSU haben das nicht nur beharrlich abgelehnt, mehr noch: Mit dem Mantra „Schuldenbremse muss bleiben“ zogen sie in den Wahlkampf.

Nur Tage nach der Wahl die Kehrtwende. Selten hat eine Partei ein im Wahlkampf wider besseres Wissen abgegebenes Versprechen so schnell gebrochen wie der designierte Kanzler Friedrich Merz. Das ist nicht nur unverfroren, das ist infam.

2. Den Grünen ist es zu verdanken, dass das Sondervermögen ausschließlich für zusätzliche Investitionen genutzt werden darf und nicht, damit SPD und CDU/ CSU Geschenke an ihre Wählerinnen und Wähler verteilen. Richtig so.

3. Ebenfalls die Grünen haben dafür gesorgt, dass 100 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds fließen, mit dem der Umbau unserer Gesellschaft und Wirtschaft auf verlässliche Füße gestellt wird. Kaum etwas braucht die Wirtschaft dringender als Verlässlichkeit.

4. Die Gefahr ist groß, dass die Politik jetzt, wo der ganz große finanzielle Druck weggebrochen ist, überfällige Reformen verschiebt. Wenn aber die deutsche und europäische Regelungswut nicht endlich auf das unbedingt notwendige Maß gestutzt, wenn Vorschriften, Genehmigungsverfahren, Auflagen und Dokumentationspflichten nicht radikal eingedampft werden, wird der 500-Milliarden-Turbo zum Rohrkrepierer.

Klug wäre es, genau jetzt sämtlichen Behörden zu verordnen, dass sie ihr Personal in einem ersten Schritt etwa auf den Stand von 2015 zurückfahren müssen. Das würde die Chance erhöhen, dass Unsinniges endlich wegfällt. Schritt zwei und drei können gerne folgen.

5. Wenn der Staat in so großem Maßstab investiert, lässt das die Nachfrage nach Arbeitskräften und Material steigen und damit auch die Preise. Zugleich bedeutet mehr Beschäftigung eine Entlastung der Sozialkassen.

Was jetzt geschehen muss

Der Bundestag hat Dienstag das Sondervermögen beschlossen und aus der Schuldenbremse ein Gaspedal gemacht. Wenn der Bundesrat Freitag zustimmt, ist die Sache durch. Dann ist die neue Regierung am Zug. Sie muss dafür sorgen, dass das Geld richtig eingesetzt wird und Reformen genauso energisch angegangen werden wie der Griff nach dem Geld der Generationen nach uns. Die werden diese Schuldenberge nämlich abtragen müssen.