Jugendamt Gelsenkirchen: Politik fordert Aufklärung
Fragen und Antworten
Der Vorwurf ist schwerwiegend. Die Leiter des Gelsenkirchener Jugendamts sollen bei der Unterbringung vom Heimkindern in Ungarn in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Die beiden Männer bestreiten das. Die Politik ist alarmiert. Dabei ist eine Betreuung im Ausland oft die letzte Chance.

Die Stadt Gelsenkirchen trennt sich nach der umstrittenen Unterbringung von Heimkindern in Ungarn vom Leiter ihres Jugendamtes.
Die Stadt Gelsenkirchen will Licht in eine Affäre um die Unterbringung von Heimkindern in Ungarn bringen. "Die Aufklärung hat oberste Priorität", sagte Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) am Montag bei einer Sondersitzung mehrerer Ausschüsse des Stadtrats.
Dem Leiter des Jugendamtes war in einem Bericht des ARD-Magazins "Monitor" vorgeworfen worden, er und sein Kollege hätten mit der Unterbringung von Kindern in einer von ihnen gegründeten Einrichtung in Ungarn Geld verdient. Dazu sollen sie in den Jahren 2007 und 2008 gezielt für eine Überbelegung eines Heims in Gelsenkirchen gesorgt haben. Die beiden waren nach Bekanntwerden der Vorwürfe bis auf weiteres vom Dienst freigestellt worden. Der Amtsleiter und das Heim haben die Vorwürfe zurückgewiesen.
Die Stadt beauftragte eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Aufarbeitung der Vorwürfe. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Essen erklärte am Montag, dass man die vorliegenden Medienberichte daraufhin prüfe, ob ein Anfangsverdacht vorliege und Ermittlungen eingeleitet werden sollen.
Dabei ist eine Betreuung im Ausland oft die letzte Chance: Denn wenn die Jugendhilfe an ihre Grenzen stößt, bleibt häufig nur noch die intensive Betreuung im Ausland. Ein kostspieliges wie umstrittenes Konzept. Ein Überblick:
Warum werden Jugendliche zur Betreuung ins Ausland geschickt?
Antwort: Die Jugendlichen haben oft eine lange Heimkarriere, Aufenthalte in der Psychiatrie, aber auch Haftstrafen hinter sich. Sie sind aggressiv, sozial verwahrlost und lassen sich oft in Heime in Deutschland nicht integrieren. Die große räumliche und kulturelle Distanz zu ihrer gewohnten Umgebung soll ihnen die Chance zu einem Neuanfang bieten. Die häufig niedrigeren Lohnkosten erlauben zudem, bei ähnlichen Kosten mehr Betreuungskräfte einzusetzen.
Welches Konzept wird bei der Betreuung im Ausland verfolgt?
Antwort: Das ist unterschiedlich. Die Jugendhilfe der von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel arbeitet mit Trägern in der Türkei und Bulgarien zusammen. Die Kinder und Jugendlichen leben dort zunächst mit ihren Betreuern „bewusst reizarm“ in ländlichen Regionen. Später werden sie in der Nähe von Städten untergebracht und in kleinen Gruppen unterrichtet. In Absprache mit den örtlichen Jugendämtern betreuen die Jugendlichen aus Deutschland auch einheimische körperbehinderte Kinder. Meist dauert der freiwillige Aufenthalt rund ein Jahr.
Wie viele Jugendliche werden von den Jugendämtern zu einer intensiven Betreuung ins Ausland geschickt?
Antwort: Eine Statistik für NRW wird nach Angaben der Landesjugendämter Rheinland und Westfalen nicht geführt. Aus Dortmund sind nach Angaben der Stadt derzeit 40 junge Menschen in kürzeren oder längeren Maßnahmen im Ausland. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Individualpädagogik (AIM) schätzt, dass die bei ihr organisierten Träger rund 230 bis 250 Plätze im Ausland belegen. Allerdings ist nur ein Teil der Anbieter Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft.
Was kostet ein Auslandsaufenthalt?
Antwort: Laut Kinder- und Jugendhilfegesetz haben Jugendliche, die eine intensive Unterstützung für eine eigenverantwortliche Lebensführung brauchen, Anspruch auf „intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung“. Die Kosten werden nach Tagessätzen abgerechnet. Die Stadt Dorsten, die derzeit einen Jungen in Ungarn untergebracht hat, betont, dass die Kosten in etwa auf dem Niveau einer vergleichbaren Betreuung in Deutschland lägen, wo Tagessätze zwischen 200 und 300 Euro anfallen - also rund 6000 Euro und mehr im Monat. Häufig kommt auf einen Jugendlichen mehr als ein Betreuer.
Wie erfolgreich ist die Betreuung im Ausland?
Antwort: Das ist umstritten. Fälle von Jugendlichen, die nach ihrer Rückkehr schnell wieder auf die schiefe Bahn geraten sind, haben stets viel Aufmerksamkeit gefunden. Ein Bethel-Sprecher berichtet von einer Erfolgsquote von 50 bis 60 Prozent des eigenen Projekts. Viele Jugendliche kämen tatsächlich „gebessert“ nach Deutschland zurück.
Von dpa
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