Im „Wienerwald“ herrschen Dummheit und Lüge
Theater Hagen
Norbert Hilchenbach geht nach zehn Jahren als Intendant des Theater Hagen in den Ruhestand und gibt seinen Ausstand als Regisseur. Er geht ein wenig so, wie er gekommen ist: mit einem zeitgenössischen Stück und düsteren Drama. Und es gab noch einen Abschied und eine Debütantin.

Die unschuldig naive Marianne (Jeannette Wernecke) flirtet mit Alfred (Kenneth Mattice). Er soll sie vor der Hochzeit mit dem brutalen Metzger bewahren.
Zugegeben: Die "Geschichten aus dem Wiener Wald" nach dem erfolgreichsten Stück Ödön von Horváths, zu einer Oper neu vertont vom österreichischen Komponisten Heinz Karl "HK" Gruber (Libretto: Michael Sturminger), kommen vordergründig mit wesentlich mehr Humor daher als die Todeszellentragödie "Dead Man Walking", mit der Hilchenbach 2007 seine Intendanz begann. Im Kern aber geht es ebenso um dunkle menschliche Abgründe.
Uraufführung in Bregenz
Nach der Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen 2014 ist Hagen erst das dritte Theater, das Grubers Oper auf die Bühne gebracht hat. Die Musik des 74-Jährigen lässt sich der gemäßigt modernen, weil tonal verwurzelten Kategorie zuordnen.
Collagenhaft verarbeitet Gruber die vielen wienerischen Melodien, die schon in Horváths Schauspiel eine große Rolle spielen: Walzer von Johann Strauß erklingen verfremdet oder angedeutet, ein wenig Puccini und typische Schrammelmusik fließen in die Partitur ein.
Wiener Gemütlichkeit
Das alles ist durchsetzt mit hochdramatischen, dissonant geballten Orchesterakzenten, mit denen es Gruber zu Anfang ein wenig übertreibt. Doch er will wohl - bereits in den allerersten Takten der Ouvertüre - klarmachen: Lasst euch ja nicht einlullen von der Wiener Gemütlichkeit dieses nur vermeintlichen Volksstücks. Hinter der biederen Fassade lauern Dummheit und Lüge, welche ins Verderben führen.
Hilchenbach bleibt - handwerklich exzellent - recht nah an der Vorlage. Bei den "Bösewichten" tun sich drei Ensemblemitglieder beeindruckend hervor. Kristine Funkhauser gibt als Valerie eine glänzende Intrigantin mit Sexappeal, Kenneth Mattice den Hallodri Alfred, dem er durchaus auch sympathische Züge verleiht.
Absolut sehenswert
Marilyn Bennett ist eine verhärmte, tatsächlich abgrundböse Großmutter. Unter den Gästen glänzt allen voran die junge Sopranistin Jeannette Wernecke (die Ehefrau des Dortmunder Generalmusikdirektors Gabriel Feltz) als unschuldig naive Marianne mit jugendlichem, aber tragfähigem Timbre.
Grubers Musik erklingt unter Leitung des Hagener Generalmusikdirektors Florian Ludwig, der ebenfalls im Sommer Hagen verlässt, farbenreich, kraft- und wirkungsvoll, ab und an auch ein wenig zu laut. Absolut sehens- und hörenswert!