Es ist nicht häufig in unserer Zeit voller Radau und Remmidemmi, dass eine Kunstinstallation leise und lebensklug daherkommt – und so intensiv auf einen wirkt, dass manchen Besuchern und Besucherinnen der Turbinenhalle Bochum Tränen der Rührung kommen dürften. „Jetzt & Jetzt“ ist eine zutiefst empathische Arbeit voll sanfter Neugier auf den Menschen von der Jugend bis ins hohe Alter.
Vor Ort ist die Arbeit, die im Rahmen der Ruhrtriennale gezeigt wird, einfach zu verstehen. Auf Zeitungspapier muss man ein bisschen was erklären. Vor zwei Jahren, im Sommer 2021, hatte der Schweizer Künstler Mats Staub 100 Menschen zu einem Experiment eingeladen. Die Teilnehmer füllten einen Fragebogen aus mit Vorgaben wie „Wenn ich zwei Wünsche hätte, die bis 2023 in Erfüllung gehen würden, was würde ich mir wünschen?“ Oder: „Eine Frage, die ich mir im Leben immer wieder stelle.“ Noch dazu mussten sie quälende eineinhalb Minuten lang vor einem Einwegspiegel stehen und sich filmen lassen.
In zwei Jahren passiert viel
Der Clou: Zwei Jahre später, im Frühling 2023, standen sie wieder davor. Und trafen ihr früheres Selbst. Zusätzlich führten Staub und sein Team um die engagierte Dramaturgin Nina Bade (29) Gespräche über die vergangenen zwei Jahre, aus denen man jetzt zwei bis acht Minuten über Kopfhörer hört.
Sie denken, in zwei Jahren passiert nicht viel? Von wegen. „Ich habe einen Tornado überlebt“, sagt eine junge Frau. Eine andere hat einen niedlichen Säugling im Arm und sagt: „Das war mein Hauptwunsch – ein gesundes Baby“. Ein kleiner Junge ist stolz, endlich ein Schulkind zu sein. Eine ältere Dame hat begriffen, dass es doch nicht so fix gehen wird mit der verkehrsberuhigten Zone vor ihrer Haustür. Gleich mehrere Frauen wollten nicht mehr so streng mit sich selbst sein – und sind doch Perfektionistinnen geblieben.
Eine Lücke für den Tod
Staub hat die lebensgroßen Monitore – es gibt zehn mal zwei Stück davon – in einem Oval aufgestellt, das von jungen bis zu alten Menschen reicht. Man schreite den Lebenskreis ab, erklärt Staub (51), der eine Lücke für Geburt und Tod gelassen hat.
Der Theatermacher hat ein Talent zur empathischen Befragung von Menschen. So war schon bei der Triennale 2021 sein Werk „21 – Erinnerungen ans Erwachsenwerden“ zu sehen. Bei der „Intimen Revolution“, die 2022 bei der Ruhrtriennale stattfand, hörten die Teilnehmer Geständnisse zum Thema Sex.
Lohnend
„Jetzt & Jetzt“ erzählt in Bochum nun von sonnigen Momenten und dunklen Tälern des Lebens. Es wird viel gelächelt und manchmal geweint. Wenig Politik, viel Privates. Wenig Eitelkeit, viel Ehrlichkeit.
Alles ist zutiefst menschlich, lässt uns das Mysterium des Lebens, des Alterns und der Zeit einen Moment lang besser begreifen. Lohnend!
Turbinenhalle an der Jahrhunderthalle Bochum: „Jetzt & Jetzt“, bis 23. 9.2023, Mi-Fr 15-20.30, Sa / So 12-20.30 Uhr, keine Tageskasse vor Ort, Tickets (12 Euro) gelten als Dauerkarten, erhältlich unterwww.ruhrtriennale.de
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