„Ich kann mich nicht wegschleichen“ - Herta Müller wird 65
Als Herta Müller 2009 den Literaturnobelpreis bekommt, ist die Kulturwelt des Lobes voll. An diesem Freitag feiert die Autorin ihren 65. Geburtstag.

Die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller 2009 in der Paulskirche. Foto: Fredrik von Erichsen
Wohl kaum jemand hat die Grauen einer Diktatur so schonungslos und zugleich poetisch beschrieben wie Herta Müller. Sie zeichne „Landschaften der Heimatlosigkeit“, befand die Jury, die ihr 2009 den Literaturnobelpreis zusprach.
Am Freitag (17. August) wird die rumäniendeutsche Autorin 65 Jahre alt. Nach den Erfahrungen im Ceausescu-Regime ist der Kampf gegen Unterdrückung, der Einsatz für Freiheit und Menschenrechte ihr wichtigstes Anliegen geblieben. „Ich kann mich nicht wegschleichen und will mich nicht täuschen, sondern das ertragen, was ich sehe“, sagte sie einmal.
So setzte sie sich für die Freilassung der Witwe des chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo ein, forderte eine Anerkennung der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord und kämpft für ein Exilmuseum in ihrer Wahlheimat Berlin. Es soll die Erinnerung an die Hunderttausenden Deutschen wachhalten, die während der NS-Zeit ins Ausland fliehen mussten.
Einen neuen Roman hat die Autorin seit ihrem Meisterwerk „Atemschaukel“ 2009 und dem Literaturnobelpreis im selben Jahr nicht mehr vorgelegt. „Sie hat Angst vor dem Schreibprozess“, sagt ihr früherer Mann, der Schriftsteller Richard Wagner, in einem der raren TV-Porträts, für das sich Müller 2014 dem Bayerischen Rundfunk öffnete. Und der Autor und langjährige Freund Ernest Wichner ergänzt: „Sie schreibt nur, wenn sie sich nicht mehr zu helfen weiß.“
Müller selbst ist trotz ihres Ruhms mit Auskünften über sich zurückhaltend; auch zu ihrem Geburtstag lässt sie sich nicht zu einem Interview überreden. Nur für das Erinnerungsbuch „Mein Vaterland war ein Apfelkern“ (2014) stand sie der österreichischen Publizistin Angelika Klammer Rede und Antwort.
Stattdessen widmet sie sich zunehmend der heiter-subversiven Schnipsel-Poesie, die sie in den 80er Jahren entdeckte. Das sei die sinnlichste Form des Schreibens, sagt sie. Mit Schere und Klebstoff entstehen aus einzelnen ausgeschnittenen Wörtern poetische Collagen, die oft erst auf den zweiten Blick ihren Hintersinn preisgeben. Unter dem Titel „Zeit ist ein spitzer Kreis“ zeigt die brandenburgische Stiftung Schloss Neuhardenberg aus Anlass des Geburtstags eine Auswahl dieser „Wort-Bilder“ (16. September bis 2. Dezember).
Müllers Ruf als eine der großen Figuren der internationalen Literaturszene ist gleichwohl ungebrochen. Ihre Bücher sind in 50 Sprachen übersetzt. Zu ihrem Hauptwerk „Atemschaukel“ wurde sie durch das Schicksal ihres langjährigen Freundes Oskar Pastior (1927-2006) inspiriert, der für fünf Jahre in ein russisches Arbeitslager deportiert wurde. Schmerzlich für die Autorin war die spätere Nachricht, dass der preisgekrönte Lyriker einst Informant der Securitate war (wenngleich wohl ein eher „nutzloser“, wie spätere Recherchen ergaben).
Sie selbst, als Tochter deutschsprachiger Eltern in dem kleinen rumänischen Ort Nitzkydorf bei Temeswar aufgewachsen, hatte in den 70er Jahren nach einem Germanistik- und Literaturstudium die Zusammenarbeit mit dem berüchtigten rumänischen Geheimdienst verweigert. Jahrelang war sie deshalb Verfolgung, Denunziation und Arbeitslosigkeit ausgesetzt.
Ihr Debütband „Niederungen“ über das elende Leben in ihrem Dorf kann 1982 nur in zensierter Form in Rumänien erscheinen. Als sich danach die Schikanen gegen die „Nestbeschmutzerin“ noch verschärfen, reist sie 1987 mit ihrem damaligen Mann Richard Wagner nach Deutschland aus. „Ich war mit den Nerven so fertig, dass ich das Lachen mit dem Weinen verwechselte“, schrieb sie später.
Auch in Deutschland wird sie zunächst misstrauisch empfangen und der Mitarbeit beim rumänischen Geheimdienst verdächtigt. In Friedenau im alten Berliner Westen findet die Entwurzelte schließlich ein neues Zuhause. Bis heute lebt sie hier mit ihrem zweiten Mann, dem Drehbuchautor Harry Merkle.
Sie erhält mehrere renommierte Gastprofessuren im In- und Ausland und wird mit Preisen geradezu überhäuft, der Literaturnobelpreis ist 2009 die Krönung. „Meine Bücher haben den Preis bekommen, nicht ich“, sagt sie gern - schon, um sich vor zu viel Rummel zu schützen.
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