Homosexualität im Fußball: Sven Wiedemann hat sich geoutet – als einer von wenigen

Homosexualität

Als Jugendlicher entdeckte Sven Wiedemann, dass er schwul ist. Das Outing folgte erst Jahre später. Aus Angst. Auch in der Männerdomäne Fußball sind homophobe Sprüche noch Alltag.

Kamen

, 09.02.2022, 04:50 Uhr / Lesedauer: 4 min
Sven Wiedemann ist beim VfL Kamen Betreuer der zweiten Mannschaft. Er lebt offen schwul und kämpft gegen Anfeindungen Homosexueller.

Sven Wiedemann ist beim VfL Kamen Betreuer der zweiten Mannschaft. Er lebt offen schwul und kämpft gegen Anfeindungen Homosexueller. © Sebastian Reith

Es ist selten, dass jemand über Homosexualität im Fußball spricht. Sven Wiedemann hat es getan. Der 41-jährige Betreuer der zweiten Mannschaft des VfL Kamen geht mit seiner Sexualität offen um und engagiert sich im Kampf gegen Homophobie. Dass Sven Wiedemann dazu steht, dass er schwul ist, war nicht immer so. Die Geschichte eines plötzlichen Outings, dummen Sprüchen am Sportplatz und was man gegen sie tun kann.

Wir treffen Sven Wiedemann an einem Freitagvormittag im Kamener Jahnstadion zum Interview. Zwischen Kunstrasenplatz und Leichtathletikstadion wartet er an den Ballcontainern, einem grau gestrichenen Blechkasten, in dem die Fußballteams ihre Trainingsutensilien lagern. „Alles durcheinander“, schimpft Sven Wiedemann lachend, als er zum vergitterten Lagerfach blickt, in dem seine Seniorenmannschaft ein ziemliches Chaos statt Ordnung während seiner Abwesenheit hinterlassen hat. Leibchen liegen zwischen den Bällen durcheinander. „So sind sie!“, scherzt Wiedemann. Wir setzen uns.

Sven Wiedemann ist beim VfL Kamen für die Ausstattung der zweiten Mannschaft verantwortlich. Er unterstützt das Trainerteam und die Mannschaft als Betreuer.

Sven Wiedemann ist beim VfL Kamen für die Ausstattung der zweiten Mannschaft verantwortlich. Er unterstützt das Trainerteam und die Mannschaft als Betreuer. © Sebastian Reith

Schnell wird klar: Der Betreuer der zweiten Mannschaft ist kein radikaler Kämpfer gegen Schwulenfeindlichkeit auf dem Platz oder abseits des Rasens. Er hat selbst nie schwere Anfeindungen erlebt, wie er sagt. Er weinte nicht nach dem Training heimlich in der Kabine, weil ihn Sportler auf dem Feld diskriminierten und als „Schwuchtel“ beschimpften. Wir treffen keinen Sportler, der über Jahre Geheimnisse gehabt hätte und seine Sexualität verschweigen musste, um nicht gemobbt zu werden.

In seinen Fußballvereinen wurde Sven Wiedemann akzeptiert

Im Gegenteil: Sven Wiedemann erfuhr viel Zuspruch und Offenheit im Fußball. Doch es wird auch deutlich, dass der Weg in die totale Akzeptanz, in die völlige Normalität, schwul zu sein, noch nicht zu Ende ist. Sonst müsste es diesen Text nicht geben.

Das Banner gegen Homophobie hängt am Ballcontainer des VfL Kamen.

Das Banner gegen Homophobie hängt am Ballcontainer des VfL Kamen. © Sebastian Reith

Und sonst hätte Sven Wiedemann nicht vor ein paar Wochen gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband NRW (LSVD NRW) ein neues Banner an den Container genietet, das für mehr Akzeptanz wirbt und sich gegen Homophobie stellt. Sven Wiedemann wäre mit seinem Einsatz auch nicht in die Öffentlichkeit gegangen.

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„Ich wusste es schon relativ früh, da war ich 13, habe mich aber nie getraut, mich zu outen“, erzählt Wiedemann. Sein Coming-out mit 19 Jahren war eher ein Versehen. „Ich habe mich meiner Cousine offenbart und ihr einen Brief geschrieben. Ihre Antwort habe ich dummerweise auf dem Tisch liegen lassen“, sagt Sven Wiedemann. Seine Familie las das Schreiben und sprach den Sohn an. „Das hat mir geholfen, mich zu outen. Ohne den Brief hätte ich es vielleicht zu der Zeit nicht gemacht. Ich habe es erst abgestritten, aber meine Familie sagte, dass sie damit kein Problem hat. Dann habe ich dazu gestanden.“ Das ist nun mehr als 20 Jahre her.

Sven Wiedemann

Sven Wiedemann © Sebastian Reith

„Ich habe es erst abgestritten, aber meine Familie sagte, dass sie damit kein Problem hat. Dann habe ich dazu gestanden.“
Sven Wiedemann

Sven Wiedemann hatte Freunde, die ihn unterstützt haben. In der Schule habe es Mitschüler gegeben, die mit Wiedemanns sexueller Orientierung ein Problem gehabt haben. „Das war aber nicht mein Problem, das war deren Problem.“ Er machte eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, kann wegen Rücken- und Knieproblemen aber aktuell nicht arbeiten. Vor allem das Knie bereitet ihm gesundheitliche Probleme. Neun Operationen hat er mittlerweile hinter sich, nachdem sich die Wunde infiziert hatte und Ärzte um sein Bein kämpfen mussten. In einer Beziehung ist der 41-jährige Fan von Werder Bremen aktuell nicht.

Der Amateurfußball ist noch nicht diskriminierungsfrei

Zu seinem Fußballverein VfL Kamen fand Sven Wiedemann 2010 zurück. Hier fungiert er seit Jahren als Mannschaftsbetreuer der Kreisliga-Reserve und war als Beisitzer im Vorstand. Zwischenzeitlich arbeitete Sven Wiedemann auch mal für den FC Overberge unter Daniel Frieg, fand aber schnell zum VfL Kamen zurück. „Ich habe nie Hass erfahren“, sagt Sven Wiedemann über die Jahre im Verein und fügt dann an: „Ich weiß nicht, ob ich Glück hatte.“ Das Bild, das Sven Wiedemann im Interview vermittelt, ist, dass sich eigentlich schon viel getan hat. Ganz diskriminierungsfrei ist der Amateurfußball jedoch nicht.

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Auch Sven Wiedemann berichtet von Alltags-Homophobie, die es in der Männerdomäne trotz aller Fortschritte noch immer gibt. Die großen Schlachtrufe und offene Feindseligkeiten sind zwar verschwunden. Aber: „Klar, es fallen mal Wörter beim Spiel“, sagt Wiedemann, „und dafür haben sich die Spieler auch immer sofort bei mir entschuldigt. Ich weiß: Die meinen mich nicht. Ich fühle mich nicht angegriffen. Das prallt an mir ab. Beim Spiel sind Emotionen drin, da sollte man nicht gleich beleidigt sein.“

Sven Wiedemann kennt Amateurspieler aus seinem Fußballkreis Unna-Hamm, die sich nicht geoutet haben.

Sven Wiedemann kennt Amateurspieler aus seinem Fußballkreis Unna-Hamm, die sich nicht geoutet haben. © Sebastian Reith

So tolerant bei Sprüchen und Beleidigungen müsste Sven Wiedemann nicht sein. Aktuell gibt es in Deutschlands Profi-Ligen keinen geouteten Fußballer, circa 100 müssten es statistisch gesehen aber sein. Doch in den Top-Ligen der Welt sind schwule Spieler tabu.

Auch Sven Wiedemann kennt Amateurspieler aus seinem Fußballkreis Unna-Hamm, die das Geheimnis täglich mit in die Kabine tragen. Spieler, die Sprüche aushalten, ohne dass Mitspieler wissen, dass sie einen Mannschaftskollegen diskriminieren. Fußballer, die sich nicht wehren. Aus Angst.

Jugendspieler vertraute sich Sven Wiedemann an

„Es gab einen Jugendspieler, der zu mir kam und sagte, dass er bi ist, aber sich nicht traut, dazu zu stehen. In der Mannschaft ist oft das Wort ‚schwul‘ gefallen“, sagt Wiedemann. In der Erziehung der Kinder müsse man seiner Meinung nach daher ansetzen, damit sich der Kampf gegen Unterdrückung und gemeinschaftliche Ausgrenzung mehr lohnt.

Sven Wiedemann

Sven Wiedemann © Sebastian Reith

„Ich wünsche mir, dass jeder offen leben kann. Ob ich das noch miterleben werde, dass es irgendwann mal aufhört, weiß ich nicht. Ganz aufhören wird es, glaube ich, nie.“
Sven Wiedemann

„Ich wünsche mir, dass jeder offen leben kann. Ob ich das noch miterleben werde, dass es irgendwann mal aufhört, weiß ich nicht. Ganz aufhören wird es, glaube ich, nie.“

Frühe Aufklärung könnte helfen. Wer diskriminiert - bewusst oder unbewusst - kann meistens nicht nachvollziehen, wie unfrei sich Betroffene fühlen. Sven Wiedemann fragt sich: „Warum ist es etwas Besonderes? Nur weil ich anders liebe?“ Ein Zuschauer habe lange Sprüche über Homosexuelle gemacht, ohne zu wissen, dass Sven Wiedemann schwul ist - bis er eines Tages Wiedemanns langjährigen Lebensgefährten kennengelernt hat, mit dem er damals zusammen war. Sven Wiedemann ist stolz, dass sich die Haltung des Zuschauers geändert hat: „Auf einer Feier haben wir dann sehr offen darüber gesprochen. Er sagte: ‚Seit ich dich kenne, habe ich eine ganz andere Meinung darüber.‘ Er hatte eine Abneigung, weil er so erzogen wurde. Das ist dann drin.“

Im Frauenfußball gibt es mehr bekennend homosexuelle Spielerinnen

Die Positionen der Sportverbände und der Vereine mit ihren Vorständen ist meistens sehr klar: Sie sagen, dass sie für Vielfalt stehen. Doch reicht das? Der LSVD NRW erklärt Alltagsprobleme auf seiner Website: „Sich rechtfertigen müssen, welche Toilette Du besuchst?“, „Angst, am falschen Ort, zur falschen Zeit Händchen zu halten oder sich zu küssen?“, eine „Wohnungsbesichtigung als nette 2er-WG?“

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Dass sich Fußballer seltener outen, ist ein Phänomen, das es nur im Männerfußball gibt. „Im Frauenfußball ist das ganz anders. Da gibt es viele, die offen lesbisch sind und das auch leben“, weiß Sven Wiedemann, „ich bin froh, dass ich hier bin und dass der Vorstand und die Mannschaft Homophobie nicht hinnehmen.“ Am Ziel ist der Amateurfußball noch nicht, aber er ist offenbar einen Schritt vorangekommen.

Möchten auch Sie über ihr Outing in der Öffentlichkeit sprechen? Haben Sie Erlebnisse zu Homophobie, ob im Fußball oder abseits des Platzes? Dann schreiben Sie mir eine Email.