
© Bergmannshoff / Stadt Herten
Sensation im Wohn-Drama: Illegale Mieter im Gewerbegebiet Herten-Westerholt können aufatmen
Illegales Wohnen – mit Video
Seit Monaten leben fast 200 Mieter im Gewerbegebiet Herten-Westerholt in großer Sorge. Ihre Wohnungen sind illegal, die Stadt hat sie zum Auszug aufgefordert. Jetzt gibt es für sie eine Sensation.
174 Menschen vom Kind bis zum Rentner leben im Gewerbegebiet Westerholt in Mietwohnungen, die laut Hertener Stadtverwaltung zum Beispiel durch illegale Umbauten von Betriebsgebäuden oder durch die unzulässige Nutzung von früheren Betriebswohnungen entstanden sind – also gar nicht existieren dürften. Denn in einem Gewerbegebiet ist das Wohnen grundsätzlich verboten, es gibt nur wenige Ausnahmen.
Beschwerden brachten das Verfahren ins Rollen
Dieser Zustand hat sich über Jahre und Jahrzehnte entwickelt. Die Stadtverwaltung hatte die Situation entweder nicht im Blick oder wollte das „heiße Eisen“ bewusst nicht anpacken – bis sie durch mehrere Beschwerden dazu gezwungen wurde. Zum einen beklagten sich Unternehmer aus dem Gewerbegebiet über zugeparkte Einfahrten, ungewöhnlich viele Sperrmüllhaufen und über spielende Kinder, die durch rangierende Lastwagen in Gefahr geraten könnten. Zum anderen wandte sich aber auch ein Anwohner an die Stadt und forderte die Absenkung von Bordsteinen, damit er mit dem Rollator besser zum Einkaufen kommt.
Stadtbaurätin Janine Feldmann fand diese Beschwerden vor, als sie Mitte 2020 ihr Amt im Hertener Rathaus antrat. Sie leitete umfangreiche Überprüfungen durch die Bauordnung und das Ordnungsamt ein. Berge von Akten wurden gesichtet, zudem machten sich Mitarbeiter vor Ort ein Bild. Dabei stellte sich heraus, dass quasi überall in dem Gewerbegebiet Menschen illegal wohnen.
Wut und Aggression – bis hin zu einer Todesdrohung
Janine Feldmann sah sich gezwungen, diesen Zustand zu unterbinden. Am 25. Oktober 2021 erhielten die 174 Mieter ein Anhörungsschreiben, das aber auch direkt eine Absichtserklärung enthielt, dass man die Mieter zum Auszug bis Mitte 2022 auffordern wolle. Bei den Betroffenen selbst, aber auch in der Bürgerschaft und in der Politik sorgte dies für Aufregung, Empörung, Wut und Aggression – bis hin zu einer Todesdrohung gegen eine Stadt-Mitarbeiterin.
Einige Monate sind seither vergangen. Auf das Anhörungsschreiben gab es 103 Reaktionen, berichtet der Leiter des Bauordnungsamtes, Marcus Frank. Ein Teil der Menschen habe sich emotional geäußert, auf die gute Nachbarschaft oder auf große Investitionen in die eigene Wohnung verwiesen. Der andere Teil habe Anwälte eingeschaltet.

Auch an der Breiten Straße, die durch das Gewerbegebiet Herten-Westerholt führt, befinden sich illegale Wohnungen. © Frank Bergmannshoff
Niemand muss ausziehen
Am Dienstagabend (29.03.) kamen nun der Stadtentwicklungsausschuss des Hertener Rates und der Bezirksausschuss Westerholt zu einer gemeinsamen öffentlichen Sitzung im Glashaus zusammen. Stadtbaurätin Janine Feldmann und Bauordnungsamtsleiter Marcus Frank informierten die Politiker über den Stand der Dinge und vermeldeten dabei – aus Sicht der betroffenen Mieter – eine Sensation. Die Kurzfassung: Niemand muss ausziehen! Aber im Detail ist der Sachverhalt dann doch erheblich komplizierter.
Fünf Verfahren nach Anhörung eingestellt
Im Zuge des Anhörungsverfahrens ergab sich bei fünf Fällen eine Einstellung des Verfahrens. Illegales Wohnen war dort nicht nachzuweisen. Bei zwei weiteren Fällen können die bisher illegalen Wohnungen theoretisch durch nachträgliche Baugenehmigungsverfahren legalisiert werden. Denn sie lassen sich jeweils als Betriebswohnungen konkret einem Unternehmen zuordnen und fallen somit unter die wenigen Ausnahmeregelungen für Wohnnutzung in einem Gewerbegebiet.
Bei 17 Wohnungen ist die Sache kniffeliger. Neun davon sind „nur“ formell illegal. Das heißt, dass es sich früher um Betriebswohnungen für Beschäftigte von ansässigen Firmen handelte, die später aber unzulässigerweise frei vermietet wurden. Diesen Zustand wird die Stadt Herten bis auf Weiteres dulden.
Acht Wohnungen durch illegale Umbauten entstanden
Acht Wohnungen sind nicht nur formell illegal, sondern, wie der Fachmann sagt, auch materiell. Sie sind durch nicht genehmigte Umbauten von Produktionsstätten, Büros usw. entstanden. In diesen Fällen hat die Stadt Herten geprüft, ob Statik, Brandschutz, Fluchtwege, Fenstergrößen usw. den Anforderungen von Wohnraum entsprechen. Da dies überall der Fall ist, erhalten auch diese Wohnungen bis auf Weiteres eine Duldung.
Bis auf Weiteres – was heißt das? Das Wohnen im Gewerbegebiet bleibt illegal. Die Duldung entspricht nicht einer nachträglichen Baugenehmigung. Sie gilt so lange, bis der jeweilige Mieter auszieht. Danach darf der Eigentümer die Räume nicht mehr neu zu Wohnzwecken vermieten, sondern nur für eine gewerbliche Nutzung. Auch die Gebäudeeigentümer selbst dürfen in ihren Häusern wohnen bleiben. Doch wenn sie ausziehen oder das Gebäude nach dem Tod vererben, erlischt ebenfalls die Duldung für die jeweilige Wohneinheit.

Der Ostring führte durch das Gewerbegebiet in Herten-Westerholt. © Frank Bergmannshoff
Rechtsgutachten einer renommierten Kanzlei
Die aktuelle Entscheidung sei keine Willkür, betont Feldmann. „Wir waren und sind zum Eingreifen gezwungen, aber wir haben jetzt die mildeste Form des Eingreifens gewählt, die trotzdem rechtmäßig ist.“ Die Stadt Herten stützt ihr Vorgehen auf ein Rechtsgutachten, das der frühere Verwaltungsrichter Thomas Tyczewski aus der renommierten Kanzlei Wolter Hoppenberg (Hamm) erstellt hat.
Wohnungen werden peu à peu weniger
Wie geht es weiter? Die Duldung gilt ab sofort, sie muss nicht vom Rat beschlossen werden. Alle Mieter und Eigentümer erhalten kurzfristig Briefe von der Stadt. Zwangsläufig wird die Wohnnutzung in den nächsten Jahren peu à peu weniger werden. Die städtische Wirtschaftsförderung will Gebäudeeigentümer, bei denen Wohnraum frei wird, bei einer gewerblichen Folgenutzung unterstützen. Die Bauordnung wiederum will künftig alle ein, zwei Jahre überprüfen, dass keine neue illegale Wohnnutzung in dem Gewerbegebiet entstanden ist.
Kind des Ruhrgebiets, aufgewachsen in Herten und Marl. Einst Herausgeber einer Schülerzeitung, heute Redaktionsleiter, Reporter, Moderator. Mit Leidenschaft für hintergründigen, kritischen Journalismus – mit Freude an klassischer Zeitung – mit Begeisterung für digitale Formate – mit Herz für Herten. Unterwegs mit Block und Kamera, Smartphone und Laptop in allen Themenfeldern, die die Menschen bewegen. Besonders gerne hier: Politik, Stadtentwicklung, öffentliche Daseinsvorsorge, Energiewirtschaft, Gesundheitswesen, Digitalisierung, Blaulicht.