Gott und Teufel in einem Kopf
Ausstellung über Stimmenhörer
Irgendwann ist das erste Mal. Die Stimmen im Kopf kommen nicht allmählich, mit Vorwarnung, wie aus einem langsam aufgedrehten Radio. Sie sind plötzlich da. Mit einem Schlag steht ein Mann hinter der gestressten Abiturientin und sagt: „Ist die doof! Haha.“ Nur steht dort kein Mann.

Dr. Michael Schwarzenau, Hauptgeschäftsführer der Ärztekammer, eröffnete mit den Künstlerinnen Sarah Johanna Eick (l.) und Wiebke Nieland die Ausstellung. Im Hintergrund Frank, einer der porträtierten Stimmenhörer.
Sind Stimmenhörer also vor allem krank und behandlungsbedürftig? Oder sind sie spirituell und kreativ, haben sie gar Zugang zu einer höheren Wahrheit? Die Künstlerinnen gehen offen an diese Fragen heran, zählen in der Einladung auch betroffene Genies wie Jeanne d’Arc und Robert Schumann auf. Die überaus scharfen Porträt-Fotografien zeigen faszinierende Menschen und kantige Typen bis ins kleinste Detail. Aber in den Erzählungen ist für romantische Verklärung kaum Platz. Die Stimmen im Kopf sind selten angenehm. Manchmal melden sich verstorbene Mütter und Großmütter tröstend zu Wort, öfter erteilen die Stimmen aber schreckliche, absurde Befehle. Der 44-jährige Frank, der ohnehin seit seiner Jugend unter Einsamkeit litt, sollte unbedingt ohne Schlüssel seine Wohnung verlassen, um als Obdachloser zu leben. „Mehr als eine Woche lang habe ich probiert, diesen Befehl zu ignorieren und Widerstand zu leisten“, sagt Frank. „Irgendwann gab ich nach, damit endlich Ruhe in meinem Kopf einkehren konnte.“
Der 32-jährigen Tanja sagten die Stimmen, sie müsse die Welt retten, indem sie sich nackt vor dem Rathaus die Haare schneide. „Nur mit einem Bettlaken bekleidet zog ich los. In einem Dönerladen lieh ich mir eine Schere. Der Dönermann rief die Polizei und ich wurde zwangseingewiesen.“ Heute höre sie fast nur noch die Stimme Gottes, er sage: „Du bist eine Heilige, mein Kind.“ Sie selbst hält sich für eine „geerdete Heilige“ und sagt: „Manchmal denke ich, ich bin zu normal, um eine Spinnerin zu sein.“ Der Seemann Frank-Michael glaubte hingegen, er sei vom Teufel besessen: „Ich ging tagelang ins Moor, kletter eines Nachts splitternackt auf ein Dach und sprang herab. Das war meine Teufelsaustreibung.“ Danach war er der Messias. Es gibt bei den Interviewten kein wirkliches Happy-End, die Stimmen sind niemals verstummt. Aber einigen scheint es doch gelungen zu sein, sie zu akzeptieren und zu kontrollieren – als Gesprächspartner.
Die gestresste Abiturientin spricht heute mit sechs Personen in ihrem Kopf, darunter „die Eule“ und „das große Latinum“. Sie kann sich ein Leben ohne Stimmen nicht mehr vorstellen. Dafür können sich die Besucher für ein paar Augenblicke die Lage der Betroffenen vorstellen: Durch einen Kopfhörer teilen die Stimmen ihre Botschaften mit.