Frauenpower auf Türkisch
Portrait
Ihre Schwiegereltern wollen zuerst nicht, dass sie arbeitet. Sie habe es nicht nötig, sagen sie. Merzuka aus Ostanatolien in der Türkei aber erlernt den Beruf der Kinderkrankenschwester und geht in Deutschland ihren Weg.

Merzuka Sönmez
Merzuka Sönmez heiratet mit 18 Jahren. Ihren Mann lernt sie durch ihre Eltern kennen. Die heute 48-Jährige sitzt auf dem schwarzen Sofa in ihrem Wohnzimmer in Dortmund und denkt an die alten Zeiten zurück: „Sie haben es erst eingesehen, als mein Mann anfing zu studieren, dass es auch für eine Frau wichtig ist, einen Beruf zu erlernen.“ Merzukas Sohn war eineinhalb Jahre alt, als sie sich für eine Ausbildungsstelle bewirbt. „Meine Schwiegermutter hat damals auf meinen Sohn aufgepasst und auch später, als ich arbeitete, war sie mir bei der Betreuung meiner Kinder und im Haushalt immer eine große Unterstützung.
"Ich hätte sonst keine Ausbildung machen können,“ sagt sie und lächelt dabei. Sie und ihr Ehemann wohnen mit den Schwiegereltern im selben Haus. Merzuka hält ihre Hände zusammengefaltet auf ihrem Schoss und blickt ab und an auf den Silberschmuck an ihrem Arm. „Ich liebe meinen Job. Durch meine Arbeit fühle ich mich sicherer, selbstbewusster und unabhängiger.“ Später macht Merzuka die Weiterbildung zur Fachkinderkrankenpflegerin für Intensiv und Anästhesie. Auch während der Weiterbildung wird sie von den Schwiegereltern unterstützt.
Übersetzerin trotz eigener Sprachdefizite
Merzuka kommt ursprünglich aus Kayseri, einer Großstadt in Zentralanatolien. Mit fünf Jahren reist sie mit ihrer Mutter nach Deutschland. Ihr Vater kam zuvor als Gastarbeiter nach Dortmund, ihrer heutigen Heimat. „Das erste was mir in Deutschland aufgefallen war, ist der Fernseher. In der Türkei kannten wir so etwas nicht. Das war total komisch: In einem Kasten konnten Menschen reden und wir haben zugesehen. Das hat mich fasziniert.“ Heute hängt in ihrer Wohnung ein großer Plasmabildschirm im Wohnzimmer. Sie wohnt mit ihrem Ehemann und ihren Kindern im Stadtteil Eving, dort wo sie aufgewachsen ist. In ihrer modern eingerichteten Wohnung passt farblich alles zusammen: Das Wohnzimmer ist weiß und grau eingerichtet. An der Wand hängen Familienfotos, auf dem Sofa ein Kissen mit der Aufschrift: Adem & Merzuka.
Merzuka wächst mit deutschen Kindern und Nachbarn auf. Sie nennt die Frau nebenan „Oma“ und lernt die Sprache durch die Nachbarskinder. Als sie eingeschult wird, spricht sie kaum ein Wort Deutsch. Dennoch übersetzt sie schon für die Lehrer, die die türkischen Eltern nicht verstehen können. Ihre zwei älteren Kinder gehen später in dieselbe Grundschule – übersetzen müssen sie nicht mehr. „Ich bin von meinen Eltern sehr modern, aber auch sehr religiös erzogen worden. Meine Eltern wollten, dass ihre Kinder gute Noten schreiben, aber auch in die Moschee gehen.“ Merzuka kann sich noch daran erinnern, wie ihr Vater ihr bei den Hausaufgaben half, obwohl er nicht so gut Deutsch sprach.
Ehemann als Haushaltshilfe
Die dreifache Mutter wirkt lebensfroh und selbstsicher. Sie weiß genau, was sie zu sagen hat. Wenn sie Deutsch spricht, sind die Leute oft verwundert und können nicht glauben, dass eine türkische Frau mit Kopftuch so gut Deutsch spricht. „Aber ich bin doch hier in Deutschland aufgewachsen. Und deswegen ist das für mich auch normal“, sagt sie. Sie und ihr Ehemann haben viele deutsche Freunde, mit denen sie sich gerne treffen. Hemmungen wegen der Sprache kennen sie nicht. Manchmal übersetzt sie auf ihrer Arbeit für türkische Eltern, die kein Deutsch sprechen. Sie macht das gerne, weil sie damit anderen Menschen hilft. Dennoch erlebte auch Merzuka Diskriminierung. Einmal habe sie einen telefonischen Termin für eine Wohnungsbesichtigung abgemacht: „Als ich mit meiner Schwägerin vor der Wohnung ankam, hat der Mann gesagt, dass er keine Wohnung an Ausländer vergibt. Ich war total schockiert.“
Merzuka trägt eine weiße Jeans und ein schwarzes Oberteil. Sie trägt ein weißes Kopftuch. Die türkischen Frauen seien nicht mehr wie früher, sagt sie und fügt hinzu: „Die türkischen Frauen sind selbstsicherer und modern. Sie gehen arbeiten und verdienen ihr eigenes Geld.“ Ihre Wohnung ist aufgeräumt, alles liegt auf seinem Platz, es wurde Staub gewischt. Merzukas Mann, der ein Mitglied des Integrationsbeirates der Stadt Dortmund ist, hilft auch im Haushalt. Er geht mit ihr einkaufen, saugt die Wohnung und räumt auf. „Kochen kann er aber nicht. Ich möchte auch nicht, dass er kocht – denn dementsprechend sieht anschließend die Küche aus“, sagt sie und lacht dabei. Dennoch findet sie, dass es gerecht bleiben soll: Wenn sie nicht arbeiten würde, würde sie den Haushalt komplett übernehmen.
Tradition trifft Moderne
Ihre Selbstsicherheit hat Merzuka wohl von Zuhause gelernt: „Meine Mutter ist so wie ich. Sie möchte auch lieber alles alleine machen und nicht abhängig von ihrem Mann sein“. Im Gegensatz zu ihr kann Merzukas Mutter nicht so gut Deutsch: „Dennoch geht sie zum Beispiel alleine zum Arzt oder einkaufen“. Sie beschreibt ihre Mutter als eine selbstbewusste Frau, die bei familiären Entscheidungen mitbestimmt. Merzuka lacht dabei und erzählt, dass auch in ihrer Ehe Entscheidungen gemeinsam getroffen werden. Merzuka wirkt glücklich, fast erleichtert über ihre jetzige Situation. Sie schiebt ihre Armbanduhr zurecht und sitzt entspannt auf dem Sofa.
Die Kinderkrankenschwester möchte ihren Kindern eine gute Bildung ermöglichen. „Die ersten türkischen Frauen kamen überwiegend aus ländlichen Gebieten und hatten höchstens eine Grundschulausbildung. Als sie in Deutschland ankamen, konnten sie sich nicht weiter entwickeln, weil man ihnen damals keine entsprechenden Bildungsangebote machte. Es wurden nicht einmal Deutschkurse angeboten.“ Heute wird viel Wert darauf gelegt, dass die Migranten sich besser integrieren - deswegen gibt es entsprechend viele Angebote, so Merzuka. Ihre älteste Tochter ist 22 Jahre alt und studiert Wirtschaftswissenschaften. Die jüngste Tochter ist 16 Jahre alt, sie geht aufs Gymnasium. Ihr 29- jähriger Sohn studiert Informatik. Merzuka möchte nicht, dass ihre Töchter von deren Männern abhängig sind: „Man weiß schließlich nie was die Zukunft bringt. Meine Kinder sollen auf eigenen Beinen stehen.“
Merzuka ist eine Frau, die in Zentralanatolien geboren wird – ein Gebiet in der Türkei, wo die Frauen früher höchstens die Grundschule abschlossen. Sie aber kommt nach Deutschland, macht eine Ausbildung und arbeitet im Klinikum. Merzukas Wunsch ist es, dass auch ihre Kinder selbstsicher einen Beruf erlernen und auf eigenen Beinen stehen können. Der Weg einer Frau zur Unabhängigkeit.