Flucht ins Ungewisse
Berlinale
Mit Christian Petzolds „Transit“ findet der Berlinale-Wettbewerb einen ersten Höhepunkt. Der Regisseur verlegt einen Roman von Anna Seghers beklemmend selbstverständlich in die Gegenwart.

Georg (Franz Rogowski) kann im letzten Moment seiner Verhaftung entgehen. In Marseille lernt er Marie Weidel (Paula Beer) kennen. Foto: SCHULZ / Schrammfilm / ZDF
Die Faschisten sind auf dem Vormarsch. Avignon haben sie schon eingenommen, in spätestens zwei Wochen werden sie in Südfrankreich sein.
Hier, in der Hafenmetropole Marseille, warten die Emigranten auf ihr Visum, auf die Schiffspassage nach Nordamerika oder Mexiko, auf die Transitpapiere
Falsche Papiere
.
Auch Georg (Franz Rogowski) ist auf der Flucht. Er hat die Identität eines Schriftstellers angenommen, der in Paris Selbstmord beging. Nun begegnet er in Marseille durch Zufall dessen Frau Marie (Paula Beer). Die harrt, in Begleitung des Arztes Richard (Godehard Giese), der Ankunft ihres Geliebten.
Alle sind hier gefangen in einem quälenden Wartezustand, wo jeder sein eigenes Schicksal hat und sich die Geschichten doch gleichen.
Exilerfahrungen
Die jüdische Schriftstellerin Anna Seghers hat ihre Exilerfahrungen in den 40er-Jahren im Roman „Transit“ festgehalten. Regisseur Christian Petzold verlegt die Geschichte ohne schmückende Erklärung in die Gegenwart, ins Marseille von heute.
Eine großartige Irritation, die das Thema Flucht als beklemmend zeitlos und universell erfahrbar macht. Eigentlich, zitiert Petzold auf der Pressekonferenz in Berlin eine Hitchcock-Weisheit, solle man ja nur schlechte Romane verfilmen.
Glückliche Ausnahme
Für „Transit“ hat er eine Ausnahme gemacht, zum Glück. Der erste deutsche Wettbewerbs-Beitrag ist zugleich ein erster Höhepunkt der Berlinale.
Die präsentiert sich bis dato durchwachsen. Überzeugend war das Drama „Dovlatov“ des russischen Regisseurs Alexey German Jr., der den Dichter und Dissidenten (toll gespielt von Milan Maric!) durchs Leningrad der 70er-Jahre begleitet.
Enttäuschung
Eine Enttäuschung hingegen Benoît Jacquots „Eva“, ein fader Krimi mit Isabelle Huppert als Edelprostituierter.
Eine überraschendere Frauenrolle hatte der schwedische Beitrag „The Real Estate“ zu bieten – die beeindruckende Léonore Ekstrand spielt darin eine Vermieterin Ende 60, die ihrer Hausgemeinschaft als irrlichternder Feuerteufel zu Leibe rückt. Ein Bild, das im Gedächtnis bleibt.
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