Erschreckende Parallelen: Hat Russland in Syrien den Angriff auf die Ukraine geübt?

Krieg in der Ukraine

Der völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine offenbart eine Militärstrategie, die Russland schon einmal anwendete. In Syrien. Doch Putin könnte noch weiter gehen.

Kiew

18.03.2022, 09:30 Uhr / Lesedauer: 3 min
Rauch steigt nach einem Angriff über einem ehemaligen Einkaufszentrum auf, das als Waffendepot des ukrainischen Militärs benutzt worden sein soll.

Rauch steigt nach einem Angriff über einem ehemaligen Einkaufszentrum auf, das als Waffendepot des ukrainischen Militärs benutzt worden sein soll. © picture alliance/dpa/SOPA Images via ZUMA Press Wire

Die Bilder ähneln sich. Und sie wecken schlimme Erinnerungen: Angriffe auf Zivilisten. Zerbombte Wohnhäuser. Tote und Verletzte. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine weist erschreckende Parallelen zur Beteiligung Russlands im Syrienkrieg 2015 auf. 350.000 Zivilisten haben seit 2011 Schätzungen der UN zufolge in Syrien bisher ihr Leben verloren.

Was damals als Bürgerkrieg begann, entwickelte sich zu einem internationalen Krieg, den die russische Armee vor allem mit ihren Luftangriffen noch verheerender machte. Der Krieg in der Ukraine heute macht deutlich: Russland greift wieder gezielt zivile Einrichtungen an. Wieder aus der Luft. Und wieder mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung zu treffen. Das zeigt der jüngste Angriff auf das Theater in Mariupol.

„Was in Syrien passiert ist, passiert jetzt in der Ukraine“, sagt Natasha Hall, leitende Wissenschaftlerin beim Center for Strategic and International Studies in Washington. Im Podcast „The Take“ vom Nachrichtensender Al Jazeera spricht die Analystin über die Parallelen zwischen dem russischen Kriegseinsatz in Syrien und dem Überfall auf die Ukraine.

Syrer inspizieren 2019 ein beschädigtes Auto nach zwei Bombenexplosionen im Zentrum der Stadt Idlib.

Syrer inspizieren 2019 ein beschädigtes Auto nach zwei Bombenexplosionen im Zentrum der Stadt Idlib. © picture alliance/dpa/Archivbild

Als Russland am 30. September 2015 erstmals an der Seite von Syriens Machthaber Baschar al-Assad in die Kampfhandlung einstieg, geschah das unter dem Vorwand, Assad im Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) zu unterstützen. Doch schnell wurde klar, dass hinter dem Einsatz auch strategische Überlegungen steckten, die keine Rücksicht auf Zivilisten nahmen.

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Vor dem russischen Eingriff war Syrien bei seinen Luftschlägen auf Helikopter angewiesen. Diese waren zwar zerstörerisch, aber langsam und aus der Ferne bereits zu hören. Die Menschen konnten sich daher meist noch rechtzeitig in Sicherheit bringen“, so Hall. Doch die schnellen und lautlosen Kampfflugzeuge, die Russland in den Einsatz schickte, veränderten den Krieg. Die Zahl der zivilen Todesopfern stieg und der Krieg bekam einen neue Dimension des Schreckens.

„Shock and Awe“: Die Strategie, die Zivilbevölkerung zu demoralisieren

In der Militärsprache wird diese Strategie „Shock and Awe“ genannt, also „Schrecken und Furcht“. Dabei werden hohe zivile Todesopfer gezielt in Kauf genommen, um die Bevölkerung zu demoralisieren und Widerstand zwecklos erscheinen zu lassen. Natacha Hall und andere Expertinnen und Experten verwenden für die Parallelen, die sich aus der russischen Strategie in den beiden Kriegen ergeben, den Begriff „Syria Playbook“, also „Syrien-Strategiepapier“. „Das, was wir in Syrien gesehen haben, ist zweifellos die Strategie in der Ukraine“, erklärt Hall.

Auch Margarete Klein, Osteuropa-Forscherin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (swp), sieht Parallelen zwischen den beiden russischen Kriegseinsätzen. „Das sind vor allem die Brutalität der Kriegsführung und der Beschuss von Städten. Mit einkalkulierten Opferzahlen“, sagte sie im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Allerdings gab sie auch zu bedenken: „Die Operation selbst ist eine andere. In Syrien war das primär eine Luftoperation, es gab kaum russische Bodentruppen. In der Ukraine sehen wir jetzt große Heeresgruppierungen.“

Eine weitere Parallele ist das russische Waffenarsenal. Nach Angaben des Kremls setzte die russische Armee in Syrien 320 unterschiedliche, neue Waffen ein. Einige davon sind nach Angaben des Journalisten Alex Gatopoulos jetzt auch in der Ukraine im Einsatz. Darunter zum Beispiel die TOS-Raketenwerfer, auch Vakuumbomben genannt.

Das besonders Grausame an der Waffe ist, dass sie Aerosole mit Brennstoff versprüht und einen Überdruck erzeugt, sodass der entzündete Brennstoff eine noch verheerende Wirkung hat. Wer sich in der Nähe befindet, verdampft. „Befindet man sich weiter weg, werden wahrscheinlich viele innere und damit unsichtbare Verletzungen verursacht, darunter geplatzte Trommelfelle, schwere Gehirnerschütterungen, geplatzte Lungen und andere innere Organe und möglicherweise Blindheit“, zitiert Human Rights Watch aus einem CIA Papier.

Videos aus den sozialen Medien zeige, wie die russische Arme TOS-Raketenwerfer an und über die ukrainische Grenze bringt.

Auch in der Ukraine könnte Putin einen Vorwand suchen

Eine weitere Parallele: Auch in Syrien wählte Russland oft die Taktik der „false flag operation“. Also der Versuch, einen Vorwand für einen eigenen Angriff zu schaffen. Damals versuchte Russland, die Rebellen für Chemiewaffenangriffe verantwortlich zu machen, die Oppositionsgebiete trafen. Expertinnen und Experten gehen nun davon aus, dass Russland präventiv ein ähnliches Narrativ entwickeln könnte, um aggressivere Angriffe in der Ukraine zu rechtfertigen.

„Es geht darum, eine Narrativ zu schaffen, in der sie argumentieren, dass der Gegner brutale Waffen einsetzt, um selbst brutale Militäraktionen gegen ihn zu rechtfertigen“, sagte Hanna Notte, leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin am Büro der Vereinten Nationen für Abrüstungsfragen in Wien gegenüber der Financial Times.

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