Erdogan-Demo in Köln - Appell von Kraft und Kritik

Scharfe Kritik aus der Politik

Den Türkei-Konflikt nicht in die Wahlheimat NRW tragen: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft appelliert an türkischstämmige Bürger, bevor am Sonntag Erdogan-Anhänger zu Tausenden in Köln demonstrieren. Zahlreiche Gegendemos sind angemeldet. Deutsche Politiker kritisieren, dass damit die innertürkischen Auseinandersetzungen nach Deutschland verlagert würden.

KÖLN

von Von Tobias Schmidt

, 26.07.2016, 15:57 Uhr / Lesedauer: 3 min
Erdogan-Anhänger feiern in Istanbul ausgelassen auf dem Taksim-Platz. Foto: Tolga Bozoglu

Erdogan-Anhänger feiern in Istanbul ausgelassen auf dem Taksim-Platz. Foto: Tolga Bozoglu

Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat mit Blick auf eine für Sonntag geplante Demonstration von mehreren tausend Erdogan-Anhängern in Köln an türkischstämmige Bürger appeliert: „Tragen Sie einen innenpolitischen Konflikt der Türkei nicht in ihre Wahlheimat Nordrhein-Westfalen, in ihre Familien, ihre Freundeskreise und auch nicht in ihre Herzen. Für uns sind Sie alle Nordrhein-Westfalen, denn ihr Lebensmittelpunkt ist NRW.“

Selbstverständlich habe jedermann das Recht, für seine Überzeugungen zu demonstrieren. „Aber bitte bleiben Sie besonnen, und bleiben Sie vor allem friedlich. Denn Ausgrenzung, Hass und Gewalt gegen andere dürfen und werden wir in keinerlei Weise tolerieren.“ Der Rechtsstaat werde dagegen konsequent vorgehen. 

Kraft kritisiert Erdogan

Kraft kritisiert den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. „Das Scheitern des unrechtmäßigen Putschversuchs hätte eine Chance sein können für mehr Verständigung und Versöhnung in der Türkei“, sagte Kraft in einer am Mittwoch veröffentlichten Videobotschaft. „Diese Chance wird leider nicht genutzt. Stattdessen werden tiefe Gräben aufgerissen. Zehntausende Richter, Staatsanwälte, Lehrer, Professoren sind ihrer Ämter enthoben und tausende Menschen festgenommen worden. Wir beobachten mit großer Sorge, wie sich die Türkei immer mehr von den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit entfernt und damit auch von der EU und den freiheitlich-demokratischen Prinzipien der internationalen Staatengemeinschaft.“

Scharfe Kritik an Demonstration

Die geplante Großdemonstration von Anhängern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Sonntag in Köln stößt bei Unionspolitikern und Sicherheitsexperten auf scharfe Kritik. „Ich kann sowohl Anhänger als auch Gegner Erdogans nur warnen: Wir wollen nicht und werden in keinem Fall zulassen, dass innertürkische Konflikte in Deutschland gewaltsam ausgetragen werden“, sagte Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth (CDU) gestern unserer Berliner Redaktion. „Es gibt da kein Verständnis, keine Toleranz, keinen Kompromiss.“

Spannungen in Deutschland

Der Putschversuch in der Türkei und das gnadenlose Vorgehen Erdogans gegen seine Gegner haben zu großen Spannungen unter den Türken in Deutschland geführt, die sich vereinzelt in Gewalt entluden. Die Großdemonstration am Sonntag in Köln-Deutz wird von der UETD organisiert, einem Ableger der Erdogan-Partei AKP.

Das Demonstrationsrecht als „zentrales Freiheitsrecht“ stehe zwar „selbstverständlich“ auch den Erdogan-Anhängern zu, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU). Die „klare und eindeutige Erwartungshaltung“ an sie sei aber, dass sie „auf jegliche Provokation von Erdogan-Gegnern verzichten“. Wenn der innertürkische Konflikt auf deutschem Boden ausgetragen werde, „würden wir bei der ohnehin schon zugespitzten Bedrohungssituation weitere Sicherheitsgefahren in unser Land importieren“, sagte Mayer weiter.

Polizeigewerkschaft befürchtet "Eskalation der Gewalt"

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) befürchtet eine „Eskalation der Gewalt“ am nächsten Sonntag: „Wir sind in großer Sorge, dass es in Köln zu gewalttägigen Auseinandersetzungen kommt und die Polizei dabei am Ende zwischen die Fronten geraten könnte“, sagte der nordrheinwestfälische DPolG-Vorsitzende Erich Rettinghaus unserer Berliner Redaktion. „Wir wissen, wie stark die Anhänger des Präsidenten andersdenkende Türken in Deutschland in den letzten Tagen unter Druck gesetzt haben.“ Er forderte von den Behörden strikte Sicherheitsvorkehrungen für die Kundgebung, die aus Sicherheitsgründen bereits aus der Innenstadt auf einem Festplatz am rechten Rheinufer verlegt werden soll. „Wenn Eskalationspotenzial vorhanden ist, müssen wir Auflagen erteilen und streng darüber wachen, dass sie auch eingehalten werden“, so Rettinghaus.

Am Tag nach dem Putsch am vorvergangenen Samstag waren in Deutschland an zahlreichen Orten Erdogan-Unterstützer auf die Straße gegangen. In Gelsenkirchen hatten sie einen Jugendclub einer Organisation demoliert, die dem islamischen Prediger Fethulla Gülen nahe stehen soll. Erdogan vermutet Gülen hinter dem gescheiterten Putschversuch. Auch Vertreter der Türkischen Gemeinde in Deutschland klagten über Drohungen und Einschüchterungsversuche durch Erdogan-Anhänger.

Als deren wichtigste Organisation in Deutschland gilt die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD). Sie organisierte auch die meisten Pro-Erdogan-Veranstaltungen in der Vergangenheit. Im Wahlkampf kam Erdogan auch schon mehrfach selbst nach Deutschland, um vor bis zu 25 000 Menschen zu reden.

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CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach brachte am Dienstag ein Verbot der Demo am kommenden Sonntag ins Spiel. „Wenn die zuständigen Behörden konkrete Erkenntnisse haben, dass es aus der geplanten Demo heraus zu Straf- oder gar Gewalttaten kommen sollte, sollten sie einen Verbotsantrag ernsthaft prüfen.“