Elfriede Jelinek verleiht Flüchtlingen eine Stimme
Stücke: "Die Schutzbefohlenen"
Schon vier Mal hat Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek den Mülheimer Dramatikerpreis gewonnen - und mit "Die Schutzbefohlenen", ein Kommentar zur europäischen Asylpolitik, dürfte sie gute Chancen auf einen weiteren haben. Nicolas Stemann, erfahren in der Aufbereitung ihrer Textflächen, hat die Uraufführung für das Thalia Theater in Hamburg besorgt und seine zweistündige Inszenierung wurde beim "Stücke"-Festival in Mülheim am Sonntag mit viel Applaus bedacht.

Gestrandet vor der Festung Europa: Das neue Jelinek-Stück „Die Schutzbefohlenen“ greift die Flüchtlings-Problematik auf. Das Foto entstand bei einer Probe am Thalia Theater in Hamburg. Jetzt war die Uraufführung beim „Stücke“-Wettbewerb in Mülheim zu Gast.
Mit ihrem Text verleiht Elfriede Jelinek den in Europa Asylsuchenden eine Stimme. Ausgehend von einer Protestaktion pakistanischer Flüchtlinge im Herbst 2012 in Wien und Hunderten afrikanischer Flüchtlinge, die im Herbst 2013 im Mittelmeer ertranken, entwickelt die Autorin ihren Klagechor.
In brillanten Textschlaufen verschränkt die Dramatikern diese Ereignisse mit dem antiken Drama "Die Schutzsuchenden" von Aischylos sowie mit Zitaten aus der Broschüre "Zusammenleben in Österreich" (unzählige Exemplare donnern vom Bühnenhimmel herunter) und der "Blitzeinbürgerung" von Anna Netrebko und der Tochter von Boris Jelzin.
Spiel mit Authentizität
Regisseur Stemann setzt auf wechselnde Text-Träger - und ein Spiel mit Authentizität. Zunächst kommen die Stimmen aus dem Off, dann stehen drei Schauspieler mit Manuskript in der Hand an der Rampe. Erst als der farbige Mime Ernest Allan Hausmann auftritt, entsteht eine Spielszene. Rassistische Klischees, die Blackfacing-Debatte und die (Nicht-)Darstellbarkeit von Flüchtlingen werden verhandelt.
Später übernehmen die Lampedusa-Flüchtlinge aus der Hamburger St.-Pauli-Kirche selbst den Text. Gegen Ende liefert Stemann eine selbstkritisch-ironische Bankrotterklärung des Repräsentationstheaters: "Wie können Euch nicht helfen, wir müssen Euch doch spielen", erklären die Schauspieler den Flüchtlingen.