Eisenman: Lasst Kinder am Holocaust-Mahnmal spielen
Erinnerung, sagt Peter Eisenman, ist ein schwieriges Geschäft. Mit dem Berliner Holocaust-Mahnmal hat der Amerikaner eines der wohl markantesten Gedenkstätten geschaffen. Das sieht er sehr gelassen.

Peter Eisenman am Holocaust-Mahnmal in Berlin. Foto: Britta Pedersen
Ort der Stille oder Kinderspielplatz - zehn Jahre nach Eröffnung des Berliner Holocaust-Mahnmals bleiben Zweifel, ob die 2700 Betonstelen die geeignete Form der Erinnerung an den Mord von Millionen Juden ist.
Für den Mahnmal-Architekten Peter Eisenman (82) stellt sich die Frage nicht, wie er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sagte. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wurde am 10. Mai 2005 eröffnet. Am Donnerstag wird Bundestagspräsident Norbert Lammert zu einer Jubiläumsfeier erwartet.
Frage: Welchen Eindruck haben Sie heute, wenn Sie auf das Mahnmal blicken?
Antwort: Das Stelenfeld sieht großartig aus, die Menschen laufen in Massen hin. Ich habe den Eindruck, dass das Mahnmal Teil der Stadt geworden ist. Die Hälfte hat zwar keine Ahnung, was sie da sieht. Aber die Besucher werden aus dem Alltag geholt und man wird weder an ein Konzentrationslager noch an irgendetwas anderes Schreckliches erinnert. Was mir gefällt, ist dass das Mahnmal so abstrakt ist. Es sieht weder aus wie ein Mahnmal noch wie ein Friedhof.
Frage: Ist das dann noch eine Gedenkstätte?
Antwort: Klar. Ich war vor zwei Wochen im Holocaust-Museum in Washington. Das ist voll von scheußlicher, kitschiger Nostalgie. Wenn man einmal ein Holocaust-Museum gesehen hat, dann war's das. Ein Museum mit Bildern von Michelangelo, Poussin oder Rembrandt kann man dagegen immer wieder besuchen, es ist jedes Mal eine neue Erfahrung.
Frage: Und beim Holocaust?
Antwort: Die Erinnerung an den Holocaust ist ein schwieriges Geschäft. Ich bin froh, dass ich nur alle fünf bis zehn Jahre solche Fragen beantworten muss. Aber wenn man Erinnerung wach halten will, muss man sich abstrakter Formen bedienen, Bilder nutzen sich ab.
Frage: Stören Sie die Imbissbuden an der Seite?
Antwort: Ach wo! Ich bin Kapitalist. Erinnerung wird durch Kommerz wachgehalten, ohne Kommerz stirbt die Erinnerung. Die Besucher müssen ja irgendwas essen. Und auch, dass Kinder Fangen oder Verstecken spielen und Jugendliche über die Stelen hüpfen - warum nicht? (Eisenman klatscht dabei.) So etwas gibt es auch in katholischen Kirchen. Man kann persönliche Erinnerung nicht kontrollieren, man kann nur den Rahmen dafür schaffen.
Frage: Hat die Tatsache, dass sie Jude sind, eine Rolle bei der Arbeit am Entwurf gespielt?
Antwort: Nein - oder besser: Ich kann nichts dafür, dass ich Jude bin. Meine Familie war sehr assimiliert, wir hatten einen Weihnachtsbaum und ich habe erst mit zehn oder elf Jahren erfahren, dass ich Jude bin. Ich hätte den Auftrag sogar fast abgesagt, weil ich dachte, ich bin dafür nicht jüdisch genug. Anderseits: Ich habe eine Moschee in Bangladesch gebaut. Dafür brauch man kein Muslim zu sein und für einen Kirchenbau auch kein Christ.
Frage: Welcher ist Ihr Lieblingsort am Mahnmal?
Antwort: Es gibt da eine Stelle gegenüber der amerikanischen Botschaft. Da gehst Du hinein und verlierst Dein Gleichgewicht. Manchmal kann ich den Platz nicht finden. Ich habe die Stelle nicht markiert.
ZUR PERSON: Peter Eisenman (82) gilt als einer der berühmtesten Architekten. Er sieht sich in der Tradition von Le Corbusier. Zu seinen bekanntesten Projekten gehören neben dem Holocaust-Mahnmal das Wexner Center for Visual Arts in Columbus (1989) und das Stadion der Universität Phoenix (Arizona, 2006). Zur Zeit arbeitet er am Projekt für ein Archäologie-Museum in Istanbul. Eisenman gilt als wichtiger Architektur-Theoretiker, er lehrt an der Universität Yale.