"Einer alleine kann die Pflege nicht bewältigen"

Interview zu pflegenden Angehörigen

Für einige ist es eine Selbstverständlichkeit, andere fühlen sich verpflichtet: Wenn Angehörige die Pflege eines Verwandten übernehmen, geschieht das oft auch unter Zeitdruck - weil schnell eine Lösung her muss. Warum das gefährlich sein kann und wie Angehörige mit der großen psychischen Belastung durch die Pflege umgehen können, darüber haben wir mit zwei Expertinnen gesprochen.

von Miriam Instenberg

NRW

, 12.09.2016, 05:44 Uhr / Lesedauer: 2 min

Sich selbst nicht vergessen – das ist eine der zentralen Botschaften von Beratungsstellen an pflegende Angehörige. Wie das gelingen kann, darüber hat Miriam Instenberg mit Silke Niewohner und Susanne Dalkmann vom Verein „Wir pflegen“ gesprochen.

Welche Fragen sollten Menschen sich stellen, bevor sie entscheiden, die Pflege eines Angehörigen zu übernehmen?

Niewohner: Wenn ein Angehöriger beispielsweise nach einem Unfall als Pflegefall aus dem Krankenhaus entlassen wird, wäre eine Familienkonferenz ideal. Gemeinsam sollten alle Beteiligten überlegen, wie die Pflege geregelt werden kann und vor allem: wie man sie auf viele Schultern verteilen kann. Meist passiert das leider nicht, und nur einer übernimmt die Pflege – derjenige, der sich am meisten verantwortlich fühlt oder der die meiste Zeit hat.Dalkmann: Gerade am Anfang, wenn aus gelegentlicher Betreuung Pflege wird, sollte man sich ganz bewusst fragen: Was will ich und was kann ich leisten? Bin ich beispielsweise bereit, meinen Beruf aufzugeben? Es gehört viel Mut dazu, zu sagen: Ich möchte nicht pflegen. Es ist aber legitim, so zu entscheiden – weil man nicht will, dass Beziehungen oder die Karriere daran zerbrechen.  

Experten warnen immer wieder vor der Gefahr eines Burn-Outs bei pflegenden Angehörigen. Warum ist es für Betroffene so schwierig, die eigenen Bedürfnisse nicht zu verdrängen – und was können sie tun, um eine Überlastung zu verhindern?

Dalkmann: Man ist als pflegender Angehöriger sehr stark fremdbestimmt, taktet zeitlich alles darauf zu, dass es dem Pflegebedürftigen gut geht. Man ist immer abrufbar, weil immer etwas passieren kann. Da bleibt wenig Zeit für Entspannung.Niewohner: Man muss seinen Akku regelmäßig wieder aufladen. Wer vorher viele Hobbys und soziale Kontakte hatte, sollte versuchen, diese aufrecht zu erhalten. Ganz wichtig ist es, sich beraten zu lassen und sich Hilfe zu holen. Einer alleine kann es nicht schaffen – und den Anspruch sollte auch niemand haben.  

Was sind klare Signale dafür, dass man Hilfe braucht?

Dalkmann: Das können Schlafstörungen, Magen-Darm-Erkrankungen oder Infektanfälligkeit sein, aber auch psychische Reizbarkeit: Man geht sofort an die Decke – oder man verstummt und zieht sich zurück.Niewohner: Unsere Erfahrung zeigt, dass ganz hoch belastete Menschen oft nicht mehr die Kurve kriegen. Aber wenn sie zusammenbrechen, ist auch niemandem geholfen. Deswegen sollte man frühzeitig Hilfe zulassen.

Oft entsteht der Eindruck, dass die Pflege eines Angehörigen eine einzige große Belastung ist. Welche positiven Aspekte hat die Situation?

Dalkmann: Das stimmt – dabei handeln ja nicht alle pflegenden Angehörigen aus Schuldgefühlen heraus und fühlen sich dauerhaft schlecht. Stattdessen spüren sie, dass sie eine sinnvolle Tätigkeit ausüben. Sie drücken ihre Dankbarkeit dem Pflegebedürftigen gegenüber aus, können beispielsweise den Eltern etwas zurückgeben. Auch die Erfahrung, dass man über sich hinauswächst, kann bereichernd sein.

Der Verein „Wir pflegen“ hat sich 2008 gegründet. Mitglieder sind aktuell und ehemals pflegende Angehörige und andere in der Pflege Engagierte. Seit Februar 2016 gibt es einen NRW-Landesverband. Ziel des Vereins ist es, pflegenden Angehörigen eine Stimme zu geben: Die Mitglieder fordern beispielsweise mehr Mitspracherecht, Anerkennung und finanzielle Sicherheit für pflegende Angehörige. Homepage:

"Es ist schon hart" - was eine Ehefrau erzählt, die ihren demenzkranken Mann pflegt:

 

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