Ein Held, den es gar nicht gibt: Wie der „Geist von Kiew“ der Ukraine Mut macht

Ukraine-Konflikt

Ein angeblicher Kampfjetpilot soll sechs russische Flugzeuge abgeschossen haben, sogar Videos davon kursieren im Internet. Das Problem: Bei dem Bildmaterial handelt es sich um eine Montage.

Kiew/Hannover

01.03.2022, 19:00 Uhr / Lesedauer: 4 min
Am Himmel über der Ukraine gibt es vermutlich keinen "Geist von Kiew".

Am Himmel über der Ukraine gibt es vermutlich keinen „Geist von Kiew“. © picture alliance/dpa/Ukrinform

Zu jedem Krieg gehören Heldenfiguren - und auch die Ukraine hat nun eine solche: den sogenannten „Geist von Kiew“, eine unbekannte Person, die seit Beginn des Einmarsches Russlands Unglaubliches für ihr Land zu leisten scheint. So unglaublich, dass in den sozialen Netzwerken tausende Nutzerinnen und Nutzer über sie sprechen - und Medien auf der ganzen Welt über sie berichten.

Das Problem: Belege, dass es den Helden wirklich gibt, fehlen bislang völlig - und vermeintliche Beweisvideos entpuppen sich als Fälschung.

Videomaterial auf Twitter und Facebook

Der „Geist von Kiew“ soll eine ukrainische Pilotin oder ein Pilot sein, und scheint im Kampf gegen Russland unsterblich zu sein. Immer wieder taucht sein Kampfjet am Himmel auf - und mit atemberaubenden Flugkünsten verteidigt er sein Land. Mitunter soll der Held oder die Heldin sechs russische Flugzeuge praktisch im Alleingang abgeschossen haben. Videos, die ähnliches zeigen sollen, werden in den sozialen Netzwerken vielfach geteilt.

Auf einem Clip beispielsweise ist zu sehen, wie der Pilot einem russischen Flugzeug hinterher fliegt und es abschießt. Im Hintergrund kommentiert jemand auf Ukrainisch „Da ist ein Flugzeug. Da ist noch eins. Es stürzt gleich ab.“

Politiker befeuern Mythos

Die Sage vom „Geist von Kiew“ wird aber längst nicht nur von Privatnutzern verbreitet. Auch das ukrainische Verteidigungsministerium sowie Ex-Präsident Petro Poroschenko haben Videos und Fotos geteilt, die den mysteriösen Held zeigen sollen. Letzterer zeigt auf Twitter das Bild eines Piloten in einem Kampfjet auf einem Flugplatz.

Poroschenko schreibt dazu: „Auf dem Foto - der MiG-29-Pilot. Der ‚Geist von Kiew“‚. Er erschreckt Feinde und macht die Ukrainer stolz. Er gewann 6 Siege über russische Piloten! Mit solch starken Verteidigern wird die Ukraine definitiv gewinnen!“

Mittlerweile wollen Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer sogar herausgefunden haben, wie der mutige „Geist von Kiew“ wirklich heißt. Es handele sich um Vladmir Abdonov, heißt es in einem Tweet, der mit mehreren Fotos des Mannes angereichert ist. Woher die Infos stammen, bleibt unklar.

David gegen Goliath

Der scheinbar unsterbliche Held am Himmel ist offenbar genau das, was viele Ukrainerinnen und Ukrainer jetzt brauchen. Ein David gegen Goliath, eine Figur, die Mut macht und Hoffnung säht, man könne das Land doch noch erfolgreich gegen Russland verteidigen.

Dass es ein solches Fliegerass in der ukrainischen Luftwaffe tatsächlich gibt, ist auch nicht gänzlich ausgeschlossen. Was inzwischen aber klar ist: Die vermeintlichen Beweisfotos und -videos des angeblichen „Geistes von Kiew“ sind größtenteils Fälschungen. Das gilt insbesondere für den Videoclip, der den angeblichen Abschuss russischer Flugzeuge zeigt.

Die darin gezeigte Szenerie stammt nämlich aus einem Videospiel, genauer gesagt aus dem Kampfflug-Simulator „Digital Combat Simulator“. Das Spiel der Software-Firma Eagle Dynamics aus dem Jahre 2008 setzt auf realitätsgetreue Flugsimulationen und wird daher sogar von Pilotinnen und Piloten zu Trainingszwecken verwendet.

Ursprung des Videos auf Youtube

Ein User auf Youtube hat mit Hilfe dieses Videospiels einen Clip erstellt, der den „Geist von Kiew“ zeigen soll. Gleichzeitig macht er aber auch transparent, dass es sich bei dem Video lediglich um eine Montage handelt. Er wolle dem unbekannten Jetpiloten damit Respekt zollen, heißt es in der Videobeschreibung.

„Dieses Filmmaterial stammt von DCS, ist aber dennoch aus Respekt vor dem ‚Geist aus Kiew‘ entstanden. Wenn er echt ist, möge Gott mit ihm sein; wenn es ihn nicht gibt, bete ich, dass es mehr Menschen wie ‚ihn‘ gibt“, steht dort geschrieben.

Auf Youtube hat der Clip inzwischen 2,3 Millionen Aufrufe, fast 3000 Menschen haben das Video kommentiert - ein Großteil bezieht sich auf das Computerspiel. Von Youtube aus allerdings ist der Clip in andere soziale Netzwerke geschwappt, beispielsweise zu Twitter und Facebook. Hier wird das Video völlig ohne Kontext geteilt und füttert die Sage vom angeblichen „Geist von Kiew“.

Twitter-Nutzer verbreiten Falschmeldung

„Eilmeldung“, heißt es beispielsweise in einem Tweet des Accounts „Ukrainelive“. „Unglaubliche Aufnahmen einer MiG-29 der ukrainischen Luftwaffe, die heute einen Su-35-Kampfjet der russischen Luftwaffe über der ukrainischen Hauptstadt Kiew abschießt. Wahrscheinlich mit der Infrarot-Zielsuchrakete R-73.“

Ein anderer Nutzer teilt das Video mit den Worten: „Video einer ukrainischen Mi-29 aus der Sowjetzeit, die Russlands modernsten Su-35-Kampfjet abschießt. Die ukrainische Luftwaffe ist immer noch im Kampf.“

Und auch auf Facebook wird das Video vielfach geteilt: „Dieser ukrainische Pilot hat gerade einen russischen Jet abgeschossen“, heißt es in der Videobeschreibung eines Nutzers. Facebook selbst hat bei dem Video inzwischen den Hinweis „Fehlinformationen“ eingeblendet.

Fotos wurden manipuliert

Die Firma Eagle Dynamics hat der Nachrichtenagentur Reuters inzwischen offiziell bestätigt, dass das gezeigte Material aus dem Computerspiel DCS stammt. „Wir sind weder für die Verbreitung verantwortlich, noch unterstützen wir solche Inhalte“, wird Konzernsprecher Matthias Techmanski zitiert.

Aber auch andere vermeintliche Beweisdokumente werfen Fragen auf. Das von Ex-Präsident Poroschenko gepostete Foto des angeblichen Piloten beispielsweise ist schon einige Jahre alt, wie die Deutsche Welle herausgefunden hat. Demnach wurde das Bild vor knapp drei Jahren auf dem offiziellen Account des ukrainischen Verteidigungsministeriums gepostet. Der Pilot auf dem Bild macht demnach einen Testflug mit neuem Helm.

Auch die angeblichen Porträtbilder des „Geistes von Kiew“ stimmen nicht mit der Realität überein. Eines der Bilder, auf dem der angebliche Pilot vor einer Maschine steht, wurde eindeutig manipuliert - über die Google-Rückwärtssuche lässt sich das selbe Foto finden, jedoch mit einem anderen Kopf. Das Original zeigt offenbar einen kanadischen Piloten vor einer Maschine der Royal Canadian Airforce. Auch in ein anderes Foto wurde der Kopf des angeblichen Helden hinein retuschiert, wie die Deutsche Welle zeigt.

Bei dem Gesicht auf den Fotos handelt es sich nebenbei um einen Anwalt aus Argentinien. Dieser hat sich auf Twitter bereits zu seinem überraschenden Heldenstatus geäußert.

Unklare Informationslage

Wie es wirklich um das ukrainische Militär bestellt ist, ist derweil nicht ganz klar. Die Armee teilte zuletzt mit, man habe mehrere russische Kampfflugzeuge abgeschossen. Insgesamt seien bei Luftangriffen am Montag fünf russische Kampfflugzeuge und ein Hubschrauber zerstört worden, wie die „Ukrainska Pravda“ unter Berufung auf das ukrainische Verteidigungsministerium schrieb. Die Kampfflugzeuge seien während der Luftangriffe auf Wassylkiw und Browary im Kiewer Umland getroffen worden, hieß es. Auch ein Marschflugkörper und ein Hubschrauber seien in der Nähe von Kiew abgeschossen worden.

Darüber hinaus sollen ukrainische Kampfflugzeuge am Montag Raketen und Bomben auf russische Panzer und Truppen bei Kiew und in der Nähe der Großstadt Schytomyr abgefeuert haben. Auch in der nördlichen Region Tschernihiw und in der Nähe der inzwischen von Russland kontrollierten südukrainischen Stadt Berdjansk seien Bomben abgeworfen worden. Bei einem Angriff in der Region Sumy im Nordosten der Ukraine soll es zu großen Verlusten auf beiden Seiten gekommen sein.

Der „Geist von Kiew“ allerdings scheint bislang nicht mehr als ein Mythos. Das ukrainische Verteidigungsministerium äußerte sich am 25. Februar zum dem Phantom: „Dutzende erfahrene Militärpiloten vom Hauptmann bis zum General, die zuvor aus der Reserve entlassen wurden, nehmen ihren Dienst in der Luftwaffe wieder auf. Wer weiß, vielleicht ist einer von ihnen der Lufträcher auf der MiG-29, der von Kiewern so oft gesehen wird!“

RND

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