Über der Bühne schwebt ein großes, manchmal pochendes Menschenherz. Gespielt wird am Oberhausener Theater – nach fünf Jahren Abstinenz – seit Samstag endlich mal wieder ein Shakespeare: „Viel Lärm um nichts“.
Herz ist Trumpf, möchte man sagen, denn es geht, na klar, um die Liebe. Die Ehe ist das erstrebenswerte Ziel, auf das die Komödie zusteuert, indem sie nach Intrigen und persönlichen Widerständen letztlich zwei Pärchen zusammenbringt.

Die junge Regisseurin Anne Mulleners misstraut diesem Konzept. Sie hinterfragt die stereotypen Geschlechterrollen bei Shakespeare aus heutiger Perspektive und führt vor, dass das alles so nicht mehr funktionieren kann und soll. Ehe gut, alles gut? Von wegen. Das deutet bereits der neu eingefügte Prolog des sich direkt ans Publikum wendenden Dieners Borachio (richtig stark: Agnes Decker) an, der klargemacht: Wer heiratet, tut das doch nur, um der Einsamkeit zu entfliehen.
Dann aber gibt die in Wien lebende Niederländerin Mulleners erst mal dem Affen Zucker. Bis zur Pause setzt sie mit einem getunten Shakespeare auf temporeiche, spritzig-überdrehte Unterhaltung rund um die Bruchstücke einer überdimensionalen Sahnetorte.
Extravagante Kostüme
Ein Hingucker sind dabei schon die fantasievoll-extravaganten Kostüme von Matthias Dielacher und Chani Lehmann, welche virtuos die Moden unterschiedlicher Zeiten mixen und zugleich die jeweiligen Figuren charakterisieren. Der Auftritt der Helden wird zum Schaulaufen auf dem Laufsteg.
Die Konvention der Shakespeare-Zeit, Frauenrollen mit Männern zu besetzen, dreht Mulleners kurzerhand um: Bis auf die beiden Liebhaber Claudio und Benedikt werden alle Rollen von Frauen gespielt. Besondere Gags oder Umbrüche der Handlung produziert das allerdings nicht.
Schluss mit lustig
Nach der Pause, als es auf die Hochzeit(en) losgehen soll, ist bei dieser Inszenierung Schluss mit lustig. Hero (Nadja Bruder), die vorher noch mit dem autobiografischen Taylor Swift-Song „Love Story“ von ihrem Romeo geträumt hat, kriegt von ihrer Cousine Beatrice übers Hochzeitskleid noch eine riesige weiße Schleife übergestülpt, die wie eine Zwangsjacke wirkt.
Als es bei der Trauzeremonie zum Eklat gekommen ist, singt sie – ein weiterer popkultureller Bezug – Lana Del Reys „Hope Is a Dangerous Thing for a Woman like Me to Have – but I Have It“, welcher im Original den Selbstmord der Schriftstellerin Sylvia Plath zum Thema hat. Hier nun versucht Beatrice gewaltsam, ihr das Mikrofon zu entreißen.
Offenes Ende
Überhaupt wird Beatrice, der sich von Anfang an der Ehe widersetzende Freigeist des Stücks, zur zentralen Figur. Ronja Oppelt lebt die Rolle hinreißend aus. Selbstbewusst ablehnend tritt sie „ihrem“ durchaus schlagfertigen Benedikt (Oliver El-Fayoumy) wie auch den Herren im Publikum gegenüber, und immer, wenn sie nur vom Heiraten hört, verspürt sie einen Brechreiz.
Kein Wunder also – so viel sei verraten –, dass es statt des großen, eh etwas erzwungen wirkenden Happy Ends in Oberhausen ein eher offenes Ende gibt. Sehenswert ist diese neue Produktion aber auf jeden Fall. Auch das Premierenpublikum applaudierte begeistert.
Weitere Aufführungen
Termine: 18. 10., 2. / 22. / 29. 11.2024; Karten: Tel. (0208) 85 78 184.
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