DOSB-Chef: Fair Play als Markenzeichen der Spiele

Hörmann im Interview

Der Absturz bei den Winterspielen in Sotschi war drastisch. Nur 19 Medaillen holte das deutsche Olympia-Team 2014. In Pyeongchang hofft der DOSB auf einen Aufschwung. Beim Thema Doping könnten die Spiele ein Zeichen setzen.

Pyeongchang

02.02.2018, 13:47 Uhr / Lesedauer: 4 min
DOSB-Präsident Alfons Hörmann bewertet die sportliche Situation vor den Olympischen Winterspielen.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann bewertet die sportliche Situation vor den Olympischen Winterspielen. © dpa

In Sotschi 2014 erlebte Deutschland mit 19 Medaillen ein historisches Debakel. In Pyeongschang sind 19 Medaillen plus X das Ziel. Dabei trumpften die deutschen Athleten doch wieder stark auf.

Dank langjähriger Erfahrungen aus der Verantwortung für den Spitzensport gehe ich mit einer Mischung aus Demut und Realismus an so ein Thema heran. Wir haben erlebt, wie Medaillenkandidaten wie Felix Neureuther oder Stefan Luitz ausfielen. Außerdem haben wir in Severin Freund ein wichtiges Mitglied des Skisprung-Teams nicht dabei. Und so kann es schnell passieren - wie bei der Skiflug-WM in Oberstdorf erlebt -, dass es eben nicht ganz zum Podium reicht. Wir werden zweifelsohne einige positive Bestätigungen des erfreulichen Saisonverlaufs erleben und es wird hoffentlich Überraschungen geben, aber es werden auch Enttäuschungen nicht ausbleiben. Vielleicht gibt es das große X, wie Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig sagte. Und warum sollte ich ihm widersprechen?

Haben die Wintersportverbände aus dem mageren Abschneiden von Sotschi gelernt? Im Bob und Eisschnelllauf gab es 2014 erstmals seit 50 Jahren keine Olympia-Medaillen.

Für mich ist die jüngste Entwicklung im Bereich Wintersport durchaus ein gewisser Maßstab für erfolgreichen Leistungssport in Deutschland. Wenn man sich vier Jahre zurück erinnert: Nach Sotschi haben wir eine klare und selbstkritische Analyse gemacht, besonders dort, wo es dringend notwendig war. Nur auf dieser Grundlage können die notwendigen Weichenstellungen vollzogen werden, die mittel- und langfristig gute Erfolgsperspektiven bieten.



Der Eisschnelllauf-Verband hat gehandelt.

Da habe ich mich persönlich für die personelle Erneuerung eingesetzt. Die Besetzung des Sportdirektorenpostens durch den ehemaligen Radsportler Robert Bartko wurde zunächst von manchen als nicht logisch gesehen, weil jemand aus dem Sommersport in den Wintersport wechselte. Jahre später kann man nun erkennen, wie in vorbildlicher Konsequenz sehr disziplinorientiert gehandelt wurde. Jetzt hat man eben nicht nur eine hochmotivierte Claudia Pechstein, sondern auch andere Athleten, die zumindest wieder um vordere Plätze mitkämpfen können. Das macht Mut, auch wenn wir damit noch lange keine Medaillen gesichert haben.



Im Langlauf dauert der Neuaufbau nach der goldenen Ära mit Tobias Angerer oder Evi Sachenbacher-Stehle länger.

Das ist so. Da haben wir das klassische Auf und Ab, was es in vielen Disziplinen immer wieder gibt. Die Zeit der Generation Angerer/Teichmann war eine herausragende Phase. Solche Sieger-Teams in einer Generation hat man nicht laufend. Und dann dauert ein Neuaufbau schon mal länger. Das galt ebenso für den Skisprung. Vor zehn Jahren haben Generalsekretär Thomas Pfüller und ich als damaliger DSV-Präsident Werner Schuster als Bundestrainer geholt. Damals haben manche gesagt: Was soll das denn jetzt mit einem Österreicher, wo wir doch so viel eigene Kompetenz haben? Und ein Jahrzehnt später sieht man, was er für grandiose Arbeit leistet. Aber auch er hat sechs, sieben Jahre gebraucht, um die Mannschaft zum großen Olympiasieg zu führen. Es geht eben nur mit hoher Professionalität und viel Geduld sowie Stehvermögen.


Bei der Analyse des Bob-Debakels von Sotschi gab es Kritik am Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten und am Kompetenzgerangel zwischen Bob-Verband und FES!

Wir haben im Bereich Bob damals sehr kritische und offene Gespräche mit dem FES und dem Bob- und Schlitten-Verband geführt und versucht, das Nirwana der Materialentwicklung zu entflechten. Der Verband hat dann ergänzend ganz wesentlich dazu beigetragen, indem er den Trainerstab neu aufgestellt hat.



Seit den Sotschi-Spielen ist viel passiert. Steckt da schon viel drin, was die Leistungssportreform erst noch bewirken soll?

Im weitesten Sinne haben wir in einigen Wintersportverbänden im vergangenen olympischen Winterzyklus schon manches umgesetzt, was wir mit dem Potenzialanalysesystem PotAS, den Verbandsgesprächen und der professionelleren Förderung künftig im gesamten Sportsystem erreichen wollen. Und das greift an der einen oder anderen Stelle relativ schnell - die Eisschnellläufer sind da ein gutes Beispiel -, weil die, die schon nahe an oder in der Weltspitze sind, besser und professioneller auf Wettkämpfe vorbereitet werden. In anderen Bereichen dauert der Neuaufbau wie im Langlauf acht bis zwölf Jahre.



Dann kann man also sehr optimistisch nach Südkorea reisen?

Ob das Fazit nach viel Arbeit in den verantwortlichen Verbänden am Ende nun lauten wird, es hat sich nichts großartig verändert oder es ist ein messbarer Erfolg dazu gekommen, wird sich erweisen. Die großen Erfolge der vergangenen Winter zeigten jedenfalls: Es geht vieles in eine gute Richtung.



Sotschi steht auch für Lug und Doping-Betrug des Gastgebers Russland: Die Aufarbeitung und Sanktionierung war zäh und umstritten bis zum Schluss. Auch Sie waren zuweilen ungeduldig und ungehalten.

Ja, es hat sehr lange gedauert, bis die notwendigen Erkenntnisse kamen. Es hätte gut getan, wenn die IOC-Entscheidung einige Wochen oder Monate früher vor Pyeongchang gefallen wäre. Aber ich sage auch: Lieber eine späte und richtige Entscheidung als eine schnelle. Mit den Entscheidungen des IOC von Anfang Dezember können wir weit besser leben als mit denen vor den Rio-Spielen. Wir erinnern uns alle mit bitterer Miene, wie wenig erfreulich und unprofessionell einige der internationalen Fachverbände mit der damaligen Entscheidung des IOC und der Zulassung der Athleten für die Sommerspiele 2016 umgegangen sind.

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Was hat das Internationale Olympische Komitee besser gemacht, um die Doping-Vergehen Russlands zu bestrafen und die sauberen Athleten in Pyeongchang besser zu schützen? Immerhin dürfen 169 Russen nach individueller Prüfung an den Start gehen.

Die Konstellation ist eine völlig andere als vor Rio 2016. Das IOC hat drakonische Strafen verhängt, die Drahtzieher und die nachweislich Beteiligten sind lebenslang gesperrt. Die jetzige Prüfung der Zulassung russischer Athleten erfolgte weit professioneller und diese wurden vor den Winterspielen so intensiv wie nie zuvor getestet. Die WADA und das IOC haben alles getan, um ein ungutes Gefühl wie in Rio beim Einmarsch der Russen zu vermeiden. Deshalb kann man unseren Athleten mit besserem Gewissen sagen: Es ist eine gewisse Chancengleichheit in Pyeongchang gegeben.



Der CAS hat die vom IOC verhängten lebenslangen Olympia-Sperren gegen 28 russische Wintersportler aufgehoben und bei elf bestätigt. Ein harter Schlag für den Anti-Doping-Kampf?

Das ist ein höchst unbefriedigendes Urteil, weil damit das nachweislich vorhandene und inakzeptable staatliche Dopingsystem in Russland nicht in der gebotenen Härte bestraft werden kann. Nun bleibt nur die Hoffnung, dass das IOC bei seiner harten Linie bleibt und dafür sorgt, dass die russischen Betrüger von Sotschi nicht in wenigen Tagen in Pyeongchang erneut an den Start gehen dürfen.



Können es nach dem russischen Skandal sauberere Spiele in Pyeongchang werden?

Die russische Mannschaft wurde seit April 2017 von externen, unabhängigen Doping-Kontrolleuren intensiv geprüft. So fällt der Sondereffekt der völlig inakzeptablen Manipulation bei den Sotschi-Spielen weg. Ich prognostiziere, dass das russische Team in puncto Erfolgsaussichten wieder auf ein Normalmaß und im Medaillenspiegel massiv zurückfallen wird. Das Fair Play muss nun zum Markenzeichen der Pyeongchang-Spiele werden - das hilft auch der olympischen und paralympischen Idee für die Zukunft. Russland wird gebrandmarkt ohne Fahne, Hymne und eigene Kleidung die zwei olympischen Wochen zu absolvieren haben. Das wird weltweit Milliarden Mal am Fernsehen wahrgenommen werden - und das ist zu Recht eine gewisse Höchststrafe für das russische Team.

Würde die Wiederaufnahme Russlands in die olympische Familie noch in Pyeongchang einen Schlusspunkt unter die Affäre setzen?

Es wäre aus meiner Sicht kein Schlusspunkt, sondern ein erster Schritt zur Wiederaufnahme in die internationale Sportfamilie, in dem Sinne, dass die Disqualifikation und das vom Platzstellen für den Moment beendet sind, aber Russland unter besonderer Beobachtung bleibt. Und beim kleinsten Vergehen müsste dann wohl noch klarer, härter und schneller gehandelt werden.

Von dpa

ZUR PERSON: Alfons Hörmann ist seit Dezember 2013 DOSB-Präsident und war von Juni 2005 bis Dezember 2013 Präsident des Deutschen Skiverbandes.