Die Angst vor dem mächtigsten Mann der Welt

Die Stimmung nach der US-Wahl

Niedergeschlagenheit nach der US-Wahl: Aus Sicht des Psychologen Stephan Grünewald sind die deutschen Bürger - zumindest emotional - im Trump-Tief. Hilflosigkeit und Ängste treffen auf ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. Die Sorge um den Bündnis-Partner wächst.

BERLIN

10.11.2016, 14:30 Uhr / Lesedauer: 2 min
Donald Trump hat im Wahlkampf gegen Hillary Clinton gesiegt.

Donald Trump hat im Wahlkampf gegen Hillary Clinton gesiegt.

Seit Mittwochmorgen greift eine merkwürdige Niedergeschlagenheit um sich. Es ist das gleiche flaue Gefühl in der Magengegend, das man verspürt, wenn man persönlich eine schlechte Nachricht erhalten hat. In diesem Fall heißt die Nachricht: Trump hat gewonnen. „Das Unmögliche ist möglich geworden“, analysiert der Psychologe Stephan Grünewald. „Unser Wertesystem gerät ins Wanken.“ Man kann wohl sagen: Die Deutschen sind im Trump-Tief. 

Nach einer Forsa-Umfrage hätte Hillary Clinton in Deutschland 73 Prozent der Stimmen bekommen - und Donald Trump fünf. Clintons Sieg galt als ausgemachte Sache. Man hatte zwar mit einer gewissen Besorgnis zur Kenntnis genommen, dass ihr Vorsprung in den Umfragen nicht allzu groß war, aber letztlich würde es doch auf die erste Frau im Weißen Haus hinauslaufen. Dementsprechend gab es ein böses Erwachen: „Nun haben wir nicht nur keine Frau, wir haben den Mann an sich, der jeder Puppe an die Rippen geht“, klagte Alice Schwarzer am Mittwochabend bei „Maischberger“.

Eine klassische Hilflosigkeitssituation

Der weiße Mann mit den gelben Haaren - er macht den Deutschen Angst. „In Deutschland kommt hinzu, dass wir zwar von den Folgen dieser Wahl deutlich betroffen sind, aber keinen direkten Einfluss darauf haben“, erläutert der Psychologie-Professor Jürgen Margraf. „Das ist eine klassische Hilflosigkeitssituation.“

Stephan Grünewald, Autor des Buches „Deutschland auf der Couch“, sieht es ähnlich: „Wir wollen heute alles steuern, kontrollieren. Und jetzt geraten wir plötzlich in eine Situation, in der nichts mehr gewiss ist, und das beunruhigt natürlich.“ Erst der Brexit, dann Trump - was kommt als nächstes?

Wenn die Deutschen für eines bekannt sind, dann für ihr ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. Ihre Regierungschefs müssen nicht besonders schlagfertig sein, sie müssen nicht gut aussehen und erst recht nicht viel Geld haben. Aber sie müssen seriös sein und verantwortungsbewusst. Derjenige, der in Washington den Finger am Atomwaffenknopf hat, wäre in den Augen der Deutschen wohl im Idealfall eine Art Albus Dumbledore - der weise Mentor von Harry Potter. Jedenfalls ganz bestimmt kein unkalkulierbares Super-Ego mit Reality-TV-Vergangenheit.

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Chauvinistischer Hass

Dazu kommt noch ein anderer Aspekt: Seit 1945 waren die Amerikaner trotz aller Abstriche immer das große demokratische Vorbild. „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden (sind)...“ Der erste Satz der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung hat auch heute noch Gänsehaut-Potenzial.

„Irgendwo bin ich ein romantischer Amerika-Fan“, erzählt Kasper König (72), einer der bekanntesten Ausstellungsmacher und in den USA vielfach ausgezeichnet. „Die Amis waren entscheidend dabei, Europa vom Nazi-Faschismus zu befreien, und was sie dann mit dem Marshall-Plan gemacht haben, davon haben wir Deutschen unglaublich profitiert.“ Nun aber haben viele den Eindruck, dass die führende Demokratie ihre eigenen Werte abwählt. Von Barack Obama zu Donald Trump - das fühlt sich an, als wäre man vorzeitig Waise geworden. „Der chauvinistische Hass dieses Immobilien-Hais deprimiert mich zutiefst“, gesteht König.

Abgrenzung ist keine Lösung

Man kann sich natürlich sagen: Wenn Deutschland gegen San Marino verliert, spricht erstmal niemand mehr über Trump. Doch so einfach sollte man es sich vielleicht nicht machen. Autor Grünewald hat auch schon mit Deutschen gesprochen, die sich über den Sieg von Trump „extrem gefreut“ haben: „Weil sie das Gefühl haben, dass das, was sie denken, nun über Amerika eine Stimme bekommen hat. Das sind Leute, die sich nicht wahrgenommen fühlen.“

Der Psychologe kritisiert eine in Deutschland verbreitete Abkanzelung von gesellschaftlichen Verlierern: „Alles was wir sozial tabuisiert haben, von fettem Essen über das Rauchen bis zum Unterschichts-TV, das wird den Verlierern zugeschrieben.“ Sein Rat: „Nicht weiter abgrenzen! Wir können diesen Spaltpilz nur kitten, wenn wir realisieren, dass es auch in Deutschland 20, 25 Prozent der Bevölkerung gibt, die sich abgehängt fühlen. Wir haben einen doppelten Integrationsauftrag: Nicht nur die Flüchtlinge müssen wir integrieren, sondern auch diejenigen, die sich hier nicht mehr heimisch fühlen.“

von dpa