"Deutsche geben Sicherheit und Kontrolle gerne ab"
Gewaltforscher nach Silvester-Übergriffen
Nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln hält die Debatte über Sicherheit in Deutschland an. Gewaltforscher Andreas Zick glaubt jedoch, dass die Verunsicherung wieder weniger wird. Der Experte warnt, dass die Ereignisse von Köln nicht zu Vorurteilen werden dürfen und erklärt, warum Kameras kurzfristig helfen können.

Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld, warnt vor Schubladendenken.
Ist das Sicherheitsempfinden durch die Ereignisse in der Silvesternacht in K öln und anderen St ädten stark ersch üttert worden?
Professor Andreas Zick (53): Ja, das ist so. Wird ein solches Ausmaß an Gewalt bekannt, steigt kurzfristig das Sicherheitsbedürfnis enorm an. Zum einen, weil auch zwei Wochen nach den Ereignissen immer noch nicht klar ist, was eigentlich passiert ist. Informationen sind für das Sicherheitsgefühl sehr wichtig. Wenn man nicht weiß, was passiert ist, kann man sich auch nicht schützen. Zum anderen kennen wir so ein Ausmaß an sexuellen Übergriffen nur aus dem Ausland, zum Beispiel am Tahrir-Platz in Kairo. Die Menschen hier rechnen einfach nicht damit, dass sich solche Situationen auch in Deutschland abspielen könnten. Diese massive Verunsicherung, die wir jetzt haben, wird aber auch wieder absinken.
Was macht sie da so sicher?
Rein psychologisch macht es keinen Sinn, auf einem solch hohen Verunsicherungsniveau zu bleiben. Der Mensch ist nur in dem Ausmaß verunsichert, in dem seine Umwelt ihm sagt, sein Unbehagen sei angemessen. Wird mir von Außen Sicherheit geboten, etwa durch mehr Information, flaut mein Unbehagen wieder ab. Auch andere Maßnahmen führen kurzfristig zu einem erhöhten Sicherheitsgefühl: Sind mehr Polizisten vor Ort, fühle ich mich besser, auch Videoüberwachung kann da helfen.
Also sollten wir jetzt überall Kameras aufh ängen?
Mit einer Videoüberwachung fühle ich mich erst einmal sicherer. Das liegt an der Suggestion von Sicherheit und der Befriedigung eines zweiten Bedürfnisses: Neben Sicherheit wollen wir auch Kontrolle. Ich habe das Gefühl, in diesem Moment sicher zu sein, weil ich beobachtet werde. Auch wenn es gerade in Hinblick auf sexualisierte Gewalt gar nichts bringt, wie Beispiele aus Großbritannien zeigen. Dort kommt es trotz flächendeckender Videoüberwachung immer wieder zu Übergriffen. Videoüberwachung schafft also keine reale Sicherheit, aber sie hilft dem Gefühl. In unseren Studien haben wir festgestellt, dass die Deutschen Sicherheit und Kontrolle gerne abgeben - eben an Kameras oder Sicherheitspersonal. Gerade in Hinblick auf sexualisierte Gewalt ist das aber fatal.
Warum?
Wenn wir Prävention betreiben wollen, ist dieser Gedanke „ach, es kann schon nichts passieren“ nicht gut. Das ist nur eine Illusion von Kontrolle und wenn es dann wirklich zu einem Übergriff kommt, ist man nicht vorbereitet.
Soll ich mich auf solche Situationen einstellen, einen Selbstverteidigungskurs besuchen und Pfefferspray mitnehmen?
Ein Selbstverteidigungskurs kann Ihnen Sicherheit geben und das Gefühl von Sicherheit erhöhen. Gerade in Schulen haben wir sehr gute Erfahrungen mit solchen Kursen für Kinder gemacht. Nur eine Ausrüstung, etwa mit Pfefferspray hilft begrenzt. Pfefferspray mag Ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben, sofern Sie es richtig anwenden können. Aber ein Blick in die USA reicht, um zu sehen, dass grundsätzlich mehr Waffen nur zu höheren Zahlen unschuldiger Opfer führen. Das große Problem für die Frauen in Köln war der Kontrollverlust.
Haben sexuelle Übergriffe nicht immer mit Kontrollverlust zu tun?
Eigentlich fühlen wir uns im öffentlichen Raum ja sicher, aber in Köln haben die Sicherheitsorgane versagt. Das ist dramatisch. Im Angriff braucht der Mensch Reserven, um Fluchtwege zu sehen. Aber auf dieser Domplatte gab es keine. Die Frauen waren in diesem Moment eingekesselt. Und wenn man diesen Kontrollverlust spürt, wenn man merkt, es ist egal, was man tut, was man denkt, wie man sich kleidet, wird aus Verunsicherung Panik. Nach solchen Ereignissen wie in Köln ist der Reflex immer erst die Forderung nach mehr Polizei. Wir sagen: Nein, es braucht intelligentere Polizeieinsätze und wir müssen die Zivilcourage fördern. In Köln waren ja nicht nur 1000 Gewalttäter, da waren ja auch viele Menschen, die lieber Handyaufnahmen gemacht haben, als einzugreifen.
Aber sind Polizisten nicht da, um in solchen Situationen einzugreifen?
In dieser Nacht ist deutlich geworden, wie überfordert auch die Polizei war. Die Beamten müssten für solche Situationen viel besser geschult werden. Polizisten sind ständig im Einsatz, haben kaum Möglichkeiten, sich auf neue Situationen vorzubereiten und einzulassen. Man dachte wohl, nur die reine Präsenz reiche aus.
Was ist also die Konsequenz aus den Ereignissen in K öln?
Werden zum Beispiel Shoppingmalls neu gebaut, spielen auch intelligente Sicherheitskonzepte eine wichtige Rolle, damit die Leute sich in den Läden wohlfühlen. Da wird alles genau analysiert: Wo sollten Kameras hin? Wo sind Ansammlungen von Menschen möglich? Wo sind Fluchtwege? Stell ich Sicherheitspersonal in Uniformen ab oder nicht? Solche intelligenten Sicherheitskonzepte sollte es auch für den öffentlichen Raum geben. Aber auch das allein reicht nicht, um Übergriffe wie in Köln zu vermeiden. Natürlich müssen wir gucken, woher die Täter eigentlich kommen. Dort müssen wir Arbeit leisten und nicht erst warten, bis die Täter an einen solchen Ort wie die Domplatte kommen. Wir müssen wissen, wer sich im Raum bewegt. Die Täter fielen nicht aus dem Himmel.
Über die Herkunft der T äter ist viel diskutiert worden. Das hat auch die Rechten wieder neu mobilisiert.
Ja, und so viel sei gesagt: Keine Frau, die in Köln angegriffen wurde, fühlt sich sicherer, weil sie weiß, dass ein syrischer Mann in Köln niedergeschlagen wurde.
Dennoch haben viele Frauen jetzt doch ein mulmiges Gef ühl, wenn sie einer Gruppe von jungen m ännlichen Migranten gegen überstehen. Was k önnen sie dagegen tun?
Menschen brauchen eine Umgebung, in der sie mit anderen darüber reden können, ohne beschimpft zu werden. Andere Menschen, die ihre Sorgen ernst nehmen, ohne gleich über Rassismus reden zu müssen. Wichtig sind Konzepte, um solche Situationen zu meistern. Viele junge Frauen machen gerade intuitiv genau das richtige, indem sie zu zweit oder zu dritt unterwegs sind. Außerdem zwingt niemand einen, durch so eine Gruppe von jungen Männern durchzugehen, um den Nachweis zu bringen, dass das doch ganz nette Jungs sind.
Aber wie schaffe ich es, dass die Bilder aus K öln nicht in meinem Kopf zu Vorurteilen heranwachsen?
Indem Sie die Gewalt ernst nehmen, aber auch das Wissen darüber, dass die meisten der Gewalttäter durch unser Vorurteilsschema nicht erfasst werden. Islamfeindlichkeit zum Beispiel hilft Ihnen überhaupt nicht weiter. Im Zweifel sind es vielleicht sogar hier lebende Araber, die Ihnen in einer Notsituation helfen könnten. Sie können das Verhalten von Tätern eventuell besser verstehen und gegenhandeln. Beim Fall Tugce wurde das diskutiert. Wir dürfen auch nicht vergessen, wie viele Muslime Opfer von Gewalt sind und wie viele Muslime bei der Polizei sind.
Kann ich Angst vor Gewalt denn wirklich auf der intellektuellen Ebene bearbeiten?
Ja, denn das müssen Frauen seit Jahrhunderten. Vorurteile helfen Ihnen einfach nicht weiter - zumal ja auch die sogenannten biodeutschen Jungs jetzt alle mit Bart herumlaufen, da müssten Sie ja an jeder Ecke Verunsicherung spüren. Die Schubladen helfen nicht, Sie müssen sich vergegenwärtigen, was ein Vorurteil eigentlich ist. Ein Vorurteil ist eine Abwertung von Anderen aufgrund ihrer Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe. Wenn Medien anfangen, die Täter als Flüchtlinge wahrzunehmen und nun über Flüchtlinge und nicht über Täter zu schreiben, tappen sie in die Vorurteilsfalle. Wenn Populisten Ausländer als testosterongesteuerte Männer beschreiben, werden sie pauschalisiert und Frauen ein zweites Mal in Angst versetzt.
Sch ürt die Berichterstattung über die K ölner Ereignisse also unsere Vorurteile?
Das kann sie. Aber ich finde, die Medien haben das in weiten Teilen eine ganz gute Berichterstattung gemacht. Früher hätte man das als Ausländerkriminalität bezeichnet und damit die maximale Verunsicherung nur aufrecht erhalten und alle Ausländer unter Generalverdacht gestellt. Die Medien sahen sich nach Silvester vor einem Dilemma: Sie wollten und mussten über die Ereignisse berichten, wollten aber keine Fremdenangst schüren. Der richtige Weg ist, genau dieses Dilemma deutlich zu machen. Die Medien sind inzwischen sorgfältiger, weil sie wissen, dass alleine nur die Zuordnung einer Gruppe für die Erklärung einer Tat nichtig sein kann. Das führt manchmal zu einem Eiertanz, der ist für die Gesellschaft aber verschmerzbarer als populistische Vorverurteilungen.
Sie haben aber gesagt, Information sei f ür mein eigenes Sicherheitsgef ühl sehr wichtig. Muss ich dann nicht wissen, woher die T ä ter kommen?
Natürlich hilft Ihnen Information. Die Nachricht, dass Verdächtige festgenommen wurden, erhöht zum Beispiel das Sicherheitsempfinden. Dass trotz der 500 Anzeigen aktuell niemand etwa wegen Vergewaltigung angeklagt werden kann, verunsichert natürlich wieder. Aber Kategorien wie Flüchtlinge oder Muslime helfen da nicht. Was soll uns das auch sagen? Die meisten Täter waren alkoholisiert, da passt doch die Kategorie Muslime gar nicht, wenn gläubige Muslime eigentlich keinen Alkohol trinken dürfen. Viel wesentlicher als Information ist aber noch etwas anderes: Erfahrung. Das Beste für Ihr Sicherheitsgefühl wäre es, wenn Sie jetzt durch den Kölner Bahnhof laufen und merken: Alles ist gut.