„Der Vorleser“ ist distanziert WLT-Inszenierung als starkes Mienenspiel und zähe Kopfsache

Von Kai-Uwe Brinkmann
„Der Vorleser“: Das Westfälische Landestheater spielt Stück nach Bernhard Schlinks Roman
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Bernhard Schlinks Bestseller „Der Vorleser“ erschien 1995 und wurde 2009 auch verfilmt. Das Westfälische Landestheater (WLT) in Castrop Rauxel spielt nun die Bühnenfassung von Mirjam Neidhart, am Samstag war Premiere.

Schlinks Roman changiert zwischen Amour fou (verrückter Liebe), einer Erzählung vom Erwachsenwerden und von sexueller Reifung, artet dann aber in Politik und Moralethik aus.

Geliebte taucht im Prozess auf

Michael, mittlerweile Jurastudent, sieht seine verflossene Liebe Hanna in einem Prozess gegen frühere SS-Angehörige, wo sie sich wegen des Todes von Häftlingen verantworten muss.

Große Teile der Geschichte sind als Rückblenden erzählt, nicht unproblematisch für Theatermacher.

Nur ein reportiertes Gefühl

In Pia Dora Böhmes Inszenierung spielt Guido Thurk den älteren, reflektierten Michael, der als kommentierender Erzähler auftritt und sich oft die Bühne mit seinem jungen Ego (Tobias Schwieger) teilt.

Wenn der mit Hanna (Thyra Uhde) ins Lotterbett hinter kurvigen Holzwänden sinkt (Bühne und Ausstattung: Rabea Stadthaus), und Thurk dazu von Lust und Erotik spricht, ist das Sinnlichkeit aus zweiter Hand – reportiertes Gefühl von begrenzter Wirkmächtigkeit.

Bravouröses Minenspiel

Immer wieder legt sich diese distanzierte Erzählebene über das Spiel, sie filtert Nähe, Direktheit, Lebendigkeit des Gesehenen und gibt Handlung und Stück einen analytischen Touch.

Den braucht es wohl, wenn es um Schuld und Sühne von NS-Tätern geht, gleichzeitig macht die Diskurslastigkeit das Stück zur zähen Kopfsache.

Der Versuch, SS-Morde per Toncollage emotional aufzubereiten, gelingt nicht wirklich. Alle (auch Simone Schuster und Mike Kühne) spielen solide, Thyra Uhdes Mienenspiel (im Prozess) ist bravourös, ganz großer Applaus kommt nicht auf.

Termine: 9. / 29. 9., Karten: Tel. (02305) 97 80 20.

www.westfaelisches-landestheater.de

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