Der „Barbier von Sevilla“ macht die Opernbühne zur Augsburger Puppenkiste
Rossini-Oper in Dortmund
Wer die Augsburger Puppenkiste mag, wird die Inszenierung von Rossinis Oper „Der Barbier von Sevilla“ lieben. Regisseur Martin G. Berger macht die Dortmunder Opernhausbühne zum Lummerland.

Der Graf (Sunnyboy Dladla, r.) schneidet als englischer Kaper Mr. Punch den Marionetten die Fäden ab (v.l. Denis Velev als Basilio, Morgan Moody als Bartolo, Erzähler Hannes Brock und Petr Sokolov als Figaro). © Anke Sundermeier / Stage Picture
Figaro ist in Beaumarchais Komödie und Rossinis Buffo-Oper der Strippenzieher. Im Dortmunder Opernhaus hängt auch der gewitzte Barbier an Marionettenfäden. Sein Liebesvermittlungsspiel läuft wie am Schnürchen, der Spaß beim Zuschauen ist riesig, der Jubel war bei der Premiere Sonntagabend euphorisch.
Die Sänger laufen Marionettenfäden
Dieser „Barbier“ macht auch Kindern Spaß, und die Erwachsenen staunen über so viele fantasievolle Einfälle. Und die Sänger laufen an Marionettenfäden tatsächlich genauso wie das Urmel.
Sechs Puppenspieler – zwei mit Handpuppen auf der Bühne und vier, die auf dem Schnürboden die Marionetten bewegen – lassen die Puppen tanzen und fliegen. Die wunderschönen Figuren hat Rachel Pattison gebaut, Sarah-Katharina Karl hat das märchenhafte Bühnenbild entworfen, die zauberhaften Commedia-dell‘Arte Kostüme stammen von Alexander Djurkov Hotter.
„Komödien sind wie geölte Maschinen“
„Gute Komödien laufen wie geölte Maschinen“, schreibt Berger im Programmheft. Sein „Barbier“ in Dortmund tut das und schenkt dem Publikum zweieinhalb kurzweilige Stunden.
Für diese schöne Produktion ist auch Publikumsliebling Hannes Brock noch einmal als Gast aus der Rente auf die Bühne zurückgekehrt. Er ist der Erzähler in diesem Marionettentheater, ersetzt mit gewitzten Texten manches langatmige Rezitativ.
Märchenhafte Ausstattung bietet für jede Szene ein neues Bild
Jede Szene bekommt im ersten Akt eine neue Kulisse, und man kann nicht genug schauen, um beim ersten Mal alles zu sehen: Rosina schält sich wie eine Schlange aus ihrem üppigen Kleid im rosenrosageblümten Mädchenzimmer-Gefängnis.
Eine schwebende Goldputte übergibt ihr den Liebesbrief des Grafen. Don Basilio ist ein Tüftler, der Dr. Bartolo in einem physikalischen Experiment die Welt erklärt – ein Knaller! Nur was Lotte, sein Raupen-Haustier mit der Videokugel als Kopf, kann, wird nicht ganz klar.
Puppen kommen mit der Freiheit nicht klar
Der Graf verkleidet sich im Finale des ersten Aktes dann auch nicht als Soldat, sondern als englischer Kasper Mr. Punch und schneidet den Figuren die Fäden ab. Zwischen Trümmern der Puppenbühne versuchen die Figuren im zweiten Akt mit der neu gewonnen Freiheit klarzukommen, sehnen sich aber wieder nach Führung.
Und so ist am Schluss nicht nur die Liebe zwischen Rosina und dem Grafen besiegelt, sondern auch die heile Puppentheaterwelt wiederhergestellt. „Wenn Sie wissen wollen, ob sie alle glücklich geworden sind, fragen Sie doch mal bei Mozart nach“, sagt der Erzähler. Mozarts „Hochzeit des Figaro“ ist die Fortsetzung dieser Komödie.
Tolle Solisten machen die Oper zu einem Ereignis
Um das Publikum glücklich zu machen, hatten Inszenierung und Ausstattung schon gereicht, aber auch musikalisch setzt diese Produktion mit einem durchweg großartigen, sehr spielfreudigen Ensemble Maßstäbe. Aytaj Shikhalizada ist als Rosina sensationell. Die warme Tiefe und Koloratursicherheit ihres Mezzos sind der Wahnsinn. Sunnyboy Dladla lässt seinen schlanken, eleganten, leicht geführten Rossini-Tenor wunderbar leuchten.
Rossini-Raketen
Zwei großartige Baritone hat die Inszenierung: Petr Sokolov ist als Figaro ein vortrefflicher Komödiant mit geschmeidig geführter Stimme und Morgan Moody als Dr. Bartolo ein gewitzter Buffo. Bassist Denis Velev hat auch Mut zur Akrobatik auf Rollschuhen, und Vera Fischer kriecht als Schnecke in die Rolle der Haushälterin Berta.
Motonori Kobayashi zündet am Pult der bestens aufgelegten Dortmunder Philharmoniker im höher gefahrenen Graben mit viel Tempo ein musikalisches Feuerwerk mit Rossini-Raketen. Ganz toll. Dieses Inszenierung hat das Zeug dazu, ein Publikumsrenner zu werden.