Demenz ist nicht das Ende
Wissenschaftspark Gelsenkirchen
Fotograf Michael Hagedorn war genervt. Muss denn Demenz immer als tragisches Schicksal, als langsames Sterben dargestellt werden? "Das sind doch oft die lustigsten, ungewöhnlichsten Menschen", sagt der 49-jährige Fotograf - und zeigt uns heitere Demenzkranke voller Lebensfreude.

Rosemarie (77) liebt ihr Zwergkaninchen. Michael Hagedorn hat die demente alte Dame fotografiert und vermittelt, wieviel Lebensfreunde sie noch hat. Die tollen Aufnahmen sind in Gelsenkirchen zu sehen.
Der Hamburger Hagedorn gilt als der deutsche Demenzfotograf. Sein Archiv umfasst 60000 Bilder zu diesem Thema, von denen Peter Liedtke als Leiter des Fotografieprojektes "bild.sprachen" 80 Stück im Wissenschaftspark Gelsenkirchen ausstellt. Die teils fröhliche, teils zu Tränen rührende Ausstellung trägt den Titel "Konfetti im Kopf".
"Ich hatte immer schon ein Faible für alte Menschen", sagt Hagedorn, der als Kind viel Zeit mit seinem Urgroßvater verbrachte und inzwischen selbst zwei Töchter hat.
Projekt startete 2005
2005 hatte er begonnen, Demenzkranke zu fotografieren: "Das war nicht möglich, ohne in einen Dialog mit den Menschen zu treten. Und dann war alles ganz anders, als ich dachte." Aus dieser Nähe heraus gelangen ihm Fotos, die den Blick in intime Lebenssituationen erlauben, die schwierig und beglückend zugleich wirken.
Katharina und ihre Mutter Martha zum Beispiel hat Michael Hagedorn auf dem Weg durch drei Pflegeeinrichtungen begleitet, bis die Tochter ihre Mutter doch nach Hause holte. Innige Nähe drückt jenes Bild aus, auf dem Katharina ihre Mutter streichelt.
Auch von dem Ehepaar Klaus und Renate gibt es ein solches Bild im warmen gelben Lampenlicht, das die beiden kurz vor seinem Tod im Pflegebett zeigt. Ganz dicht liegen sie beieinander, Wange an Wange, ein Bild zärtlicher und ungebrochener Zuneigung.
Nur keine Klischees
Mit Klischees räumt Hagedorn gründlich auf. Werner zum Beispiel entdeckte in den eineinhalb Jahren, die ihm bis zu einer tödlichen Embolie blieben, seine künstlerische Ader. Alfred aus Berlin taucht die Nase tief in violett blühenden Flieder.
Frieda als Teil des Projektes "Leben in Gastfamilien" spielt mit Kindern, die nicht ihre eigenen Enkel sind. Ist doch egal!
Auch mit Schalke-Urgestein Rudi Assauer und dessen Tochter pflegt Hagedorn eine freundliche Beziehung, fotografierte die beiden in herzlicher Umarmung.
Andere Form des Weiterlebens
Demenz ist auf diesen Bildern nicht das Ende und kein Untergang, sondern eine andere Form des Weiterlebens. Er wolle die Erkrankung keineswegs durch eine rosarote Brille zeigen, so Hagedorn. Aber auch nicht einseitig und finster.
"Dass Demenz mit dem Verlust des Ichs einhergeht, ist Kappes", sagt er. Seine Bilder appellieren an uns, Demenzkranke als Persönlichkeiten zu begreifen, sie in ihren Eigenarten zu respektieren. Und Hagedorn gibt zu bedenken: "Tüddelig werden wir alle."