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Daten zur Corona-Lage legen nahe: Da besteigen Menschen den Mount Everest in Badelatschen
Coronavirus
Das Bild, das das Robert-Koch-Institut im aktuellen Wochenbericht zeichnet, ist eigentlich unfassbar. Zwei Daten passen überhaupt nicht zueinander und deshalb bleibt das Coronavirus gefährlich.
Wer den aktuellen Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Donnerstagabend (15. September) liest, könnte fast den Eindruck haben, dass die dort zu lesenden Daten nicht stimmen können. Zwei wesentliche Entwicklungen, die über den Fortgang der Corona-Pandemie in den nächsten Monaten entscheiden, stehen da in krassem Gegensatz zueinander. Und beide haben mit den Impfungen zu tun.
Da sind zunächst die aktuellen Daten zur Wirksamkeit der Corona-Schutzimpfungen, die eine absolut eindeutige Sprache sprechen. Vollständig geimpft sein kann man in Deutschland seit dem 1. Februar 2021, weil die Impfkampagne erst Ende Dezember 2020 begann. Seit dieser Zeit bis zum 15. September mussten 110.027 Menschen mit einer Covid-19-Infektion in einem Krankenhaus behandelt werden. Der Anteil derjenigen, die trotz vollständiger Impfung ins Krankenhaus eingeliefert wurden, lag bei 2.104. Das sind gerade einmal 1,9 Prozent.
Zahlen der Intensivstationen sprechen eindeutige Sprache
Noch deutlicher werden die Zahlen, wenn man auf die Intensivstationen schaut. Seit 1. Februar mussten lediglich 210 vollständig Geimpfte mit einer Coronainfektion intensivmedizinisch behandelt werden, 0,2 Prozent aller hospitalisierten Corona-Fälle. Darunter waren 175 Patienten 60 Jahre oder älter.
Seit dem 1. Februar starben in Deutschland 28.474 Menschen an oder mit einer Corona-Infektion. Nur 513 von ihnen (1,8 Prozent) waren vollständig geimpft, nur ein einziger von ihnen war jünger als 60 Jahre.
Was eigentlich zu erwarten wäre
Angesichts solcher glasklarer Zahlen über die extrem starke Wirksamkeit der Corona-Schutzimpfungen wäre es doch zu erwarten, dass sich das bei allen Menschen herumspricht und sich jetzt auch wirklich der letzte Impfskeptiker impfen lässt. Doch die dazu im Wochenbericht gelieferten Zahlen passen dazu ganz und gar nicht.
Denn die Impfbereitschaft steigt – auch trotz der in dieser Woche ausgerufenen Aktionswoche – nicht, sondern sinkt weiter. In der zurückliegenden Woche erhielten gerade einmal noch 506.990 Menschen ihre erste Corona-Impfung. Eine Woche vorher waren es noch 552.542, zwei Wochen vorher 672.624. Zum Vergleich: In der Woche vom 10. bis 16. Juni gab es 2.423.305 Erstimpfungen.
Neue Gefahr mit jedem neuen Fall
Inzwischen sind zwar 62,7 Prozent der Bevölkerung vollständig und 66,9 Prozent zumindest einmal geimpft. Für eine Herdenimmunität reicht das aber nicht und dabei weiß man, dass das Virus sich in der nun beginnenden kälteren Jahreszeit wieder besser verbreiten kann als im Sommer. Die grassierende Impf-Lethargie könnte also noch einmal zur Gefahr werden, denn: Mit jedem neuen Fall steigt die Gefahr neuer Mutationen und neuer gefährlicher Varianten.
Übrigens: Es kursieren vor allem in den sozialen Medien die abenteuerlichsten Gerüchte über die fürchterlichen Folgen von Corona-Impfungen. Dazu zwei Zahlen. Stand heute wurden in Deutschland bisher rund 105 Millionen Impfdosen gegen das Coronavirus verabreicht. Im jüngsten Sicherheitsbericht des für Impfstoffe in Deutschland zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts, der vom 19. August 2021 datiert, ist zu tödlichen Folgen einer Corona-Impfung zu lesen: „In 48 Fällen hält das Paul-Ehrlich-Institut einen ursächlichen Zusammenhang mit der jeweiligen COVID19-Impfung für möglich oder wahrscheinlich.“ Das entspricht einem Prozentsatz von 0,00005 Prozent.
Wer all diese Daten und Fakten im Zusammenhang betrachtet, kann nur ratlos eine durch nichts zu erklärende Tatsache zur Kenntnis nehmen: Da gibt es auf der einen Seite ein wirksames und sehr sicheres Mittel, um sich vor einer großen Gefahr zu schützen und auf der anderen Seite nehmen noch immer viele Menschen dieses kostenlose und ungefährliche Angebot nicht an. Das ist wie das Besteigen des Mount Everest in Badelatschen.
Die vierte Welle macht offenbar schlapp
Das schleppende Impftempo könnte also zur Gefahr für die an sich positive Entwicklung der Corona-Pandemie in den vergangenen beiden Wochen werden. Denn eigentlich machen die Daten Hoffnung, dass die vierte Welle vielleicht schon gebrochen ist, zumindest aber an Kraft verloren hat.
So ist die Zahl der Neuinfektionen weiter gesunken. Das spiegelt sich auch im Rückgang der Sieben-Tage-Inzidenz auf 74,7 wider. Vor einer Woche lag sie noch bei 83,8. Das RKI sieht dafür folgende Gründe: „Die derzeitige Entwicklung könnte auf einen Rückgang des Sommerreiseverkehrs, eine Abnahme der im Rahmen des Schulanfangs diagnostizierten Infektionen sowie auf die breite Einführung der 2G- bzw. 3G-Regeln zurückzuführen sein.“
Auch weiterhin gibt es die meisten Neuinfektionen in den jüngeren Altersgruppen. So liegt die Inzidenz in den Altersgruppen zwischen 5 und 44 Jahren über 100, am höchsten bei den 10- bis 14-Jährigen (207), gefolgt von den 5- bis 9-Jährigen (175) und den 15- bis 19-Jährigen (172).
Der Anteil der hospitalisierten Covid-Kranken ist im Vergleich zur Vorwoche zwar leicht gesunken, kann sich aufgrund von Nachmeldungen allerdings noch erhöhen, schreibt das RKI. Eine Gefahr der Überlastung der Gesundheitssysteme ist aktuell nicht erkennbar.
Corona-Importe gehen zurück
Deutlich rückläufig ist die Zahl der Menschen, die eine Corona-Infektion aus dem Ausland mit nach Deutschland gebracht haben. Gab es in der Vorwoche noch 6.377 solcher Fälle, waren es jetzt weniger als die Hälfte, nämlich exakt 3.013. Die meisten Infektionen hatten ihren Ursprung in der Türkei (798), im Kosovo (396) und in Kroatien (238).
Was die Varianten angeht, liegt der Anteil der Delta-Variante derzeit bei 99,9 Prozent. Andere, auch als besorgniserregend eingestufte Corona-Varianten würden nur selten nachgewiesen, so das RKI.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
