Es sind immer wieder die Schatten der Vergangenheit, mit denen Ellen Sandberg in ihren Romanen eine meist nur scheinbare Gegenwartsharmonie gehörig ins Ungleichgewicht bringt. Diesmal lassen die späten 1980er-Jahre in Wismar an der Ostsee mehr als 25 Jahre später eine Ehe-Fassade im rund 600 Kilometer entfernten Bamberg einstürzen.
Kurz vor dem Zusammenbruch der DDR hielten es Annett und Mischa einst nicht mehr aus: Sie versuchten die Flucht in den Westen übers Meer. Sie hatten niemandem ihre Pläne verraten, hielten sie sicherheitshalber vor der Freundesclique und den Familien geheim, wurden aber dennoch verraten.
Ein neues Leben
Mischa überlebte die Flucht nicht, Annett landete im Knast, war dort den Verhörmethoden der Stasi schutzlos ausgeliefert. Als sie nach der Wiedervereinigung entlassen wird, steht Volker aus der alten Clique ihr treu zur Seite. Gemeinsam beginnen sie in Bamberg ein neues Leben, heiraten, bekommen zwei Kinder – und sind ziemlich sicher, wer damals die Fluchtpläne verraten hat.
Obwohl der erfolgreiche Makler Volker seiner großen Liebe jeden Wunsch von den Augen abliest, holt die Vergangenheit Annett jedes Jahr im Herbst ein. Und kurz vor der Silberhochzeit reist sie auf der Suche nach ihrem inneren Frieden nach Wismar.
Stärken und Schwächen
Dort findet sie nach und nach eine Wahrheit heraus, die ihr Leben auf den Kopf stellt. Sie kann nicht so weitermachen wie bisher und stellt alles infrage, was Volker heilig ist, die 25 gemeinsamen Ehe-Jahre inklusive.
Das perfide Bespitzelungssystem des SED-Unrechtsregimes, das Ellen Sandberg hier thematisiert, erschüttert auch heute noch, weckt den Wunsch nach Gerechtigkeit für die Opfer und Strafe für die Täter. Das ist die Stärke des Buchs.
Seine Schwäche ist der Schluss, in dem Annett ihren Mann wieder einmal nicht realistisch genug einschätzt. Trotz allem, was sie inzwischen weiß. Das ist schade.
Ellen Sandberg: Das Unrecht, 416 S., Penguin, 22 Euro, ISBN 978-3-3286-0254-5.
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