
© 20th Century Studios
Zweimal hat Fren die Chance, der Straße Ade zu sagen und sesshaft zu werden. Als ein ritterlicher Verehrer ihr ein Zuhause anbietet, und als Frens Schwester sie zum Bleiben auffordert. Fren aber schlägt die Angebote aus und steigt in den Minibus, der ihr Heim geworden ist. Sie wählt den Highway, die Unabhängigkeit, das Leben als Nomadin.
„Nomadland“ heißt dieser Film, ein Roadmovie mit Frances McDormand, die als Single in Amerika auf Achse ist. Mit ihrer dritten Regiearbeit gelang der chinesisch-stämmigen Filmemacherin Chloé Zhao (39) der große Wurf: ein Land-und-Leute-Panorama, das amerikanische Seele und Befindlichkeit einfängt. Zhao fühlt mit diesem Werk quasi einer Nation den Puls, aber so beiläufig elegant und unangestrengt, dass sie sich nie in den Fußangeln des Sozialdramas verheddert.
Siegerfilm in Venedig
In Venedig gewann „Nomadland“ den Goldenen Löwen. Danach setzte ein Preisregen ein, bei der Oscar-Verleihung nächstes Wochenende ist der Film in sechs Kategorien (unter anderem bester Film, beste Regie, beste Hauptdarstellerin) nominiert und könnte zum Abräumer des Abends werden.
Chloé Zhao geht auf Tuchfühlung mit denen, die im Auto und im Trailerpark leben. Drei, vier Schauspieler sind dabei. Alle anderen sind echte „Road People“, Laien, die sich selbst spielen, was dem Film eine semi-dokumentarische Qualität beschert. Die materiellen Verheißungen des amerikanischen Traums haben sich nicht erfüllt für sie. Von Amerikas Großartigkeit ist ihnen bloß die Weite der Natur und die Freiheit armer Schlucker geblieben.
Hört man sie jammern? Nein. In diesen modernen Nomaden stecken Stolz und Selbstachtung, wie man sie einst den Pionieren des Wilden Westens zuschrieb. Jeder ist seines Glückes Schmied. Hilf Dir selbst und anderen. Danach handelt dieses fahrende Völkchen.
Hoffnung auf bessere Zeiten
Auch McDormands Figur der Witwe Fren erlebt die Solidarität der Habenichtse. Am Anfang ist alles neu und ungewohnt für sie. Unter Tränen bepackt Fren den Van, der von nun an ihr rollendes Heim ist. Sie verlässt das Haus in Nebraska, wo sie mit ihrem Mann lebte, der gestorben ist.
Als die Gips-Mine schließen musste, begann im Ort der Niedergang. Fren verlor ihren Mann, den Job, das Haus. Sie hat nur ihren kleinen Hausstand, den Wagen und eine vage Hoffnung auf bessere Zeiten. Eigentlich sind das Zutaten für eine Passionsgeschichte oder eine deprimierende Parabel auf den Kapitalismus.
So leicht zu „schubladisieren“ ist der Film nicht. Ja, es klingt an, dass Amerika kein soziales Netz hat. Fren schuftet in miesen McJobs, ein Lagerfeuer-Redner geißelt „die Tyrannei des Dollars“. Doch glühende Revoluzzer sind sie nicht, die Leute, denen Fren begegnet. Es sind zähe Überlebenskünstler, die das Beste aus ihrer Lage machen.
Menschenkino mit Herz
Ganz wie Fren, von Frances McDormand wunderbar gespielt. Eine Idealbesetzung. Ein Trotzkopf mit Lebensspuren von Kummer und Melancholie. Dazu spröder Mutterwitz und ein burschikoses Naturell.
„Nomadland“ ist vor allem eines: Menschenkino mit Herz. Eine Ode an die, die nicht aufgeben. Mit großen Momenten poetischer Stille, wo Mutter Natur in ihrem schönsten Kleid zu fragen scheint: Was ist passiert, dass ihr unglücklich seid in diesem herrlichen Land?