Darum hört das Automaten-Sprengen nicht auf
NRW stark betroffen
35 Geldautomaten sind bis Mitte Mai in NRW gesprengt worden. Obwohl es immer wieder Festnahmen gibt, machen die Kriminellen weiter. Wir erklären, warum das so ist, zeigen, wie stark NRW betroffen ist und was die Banken tun, um sich und ihre Kunden zu schützen.

Am 8. November 2016 flog dieser Geldautomat in Mülheim in die Luft. Dabei wurde auch das Häuschen, in dem er stand, komplett zerstört.
Gesprengte Geldautomaten – wie groß ist das Problem?
318 Mal haben Kriminelle im vergangenen Jahr laut Bundeskriminalamt (BKA) einen Geldautomaten gesprengt oder es versucht. Das heißt: Im Schnitt gab es bundesweit fast jeden Tag einen Fall. Und damit mehr als doppelt so viele wie 2015 (157 Fälle). Längst nicht immer erreichten die Diebe ihr Ziel: Nur 128 Mal erbeuteten sie auch Bargeld, 190 Mal gingen sie leer aus.
Sind gesprengte Geldautomaten eine neue Form der Kriminalität?
Keine neue, aber eine recht junge. Das BKA beschäftigt sich seit 2005 damit – als in Köln erstmals in Deutschland ein Geldautomat gesprengt wurde. Seitdem gibt es mit einer Ausnahme von Jahr zu Jahr einen moderaten Anstieg an Fällen, seit 2013/14 schnellen die Zahlen in die Höhe, wie dieses Diagramm zeigt:
Auch vor 2005 wurden schon Automaten gesprengt: im Ausland, beispielsweise in den Niederlanden und Frankreich. Mittlerweile handele es sich um eine weltweit „gängige Begehungsform“, so das BKA.
Mit den Sprengungen habe sich die kriminelle Energie neue Wege gesucht, sagt Volker Willner, Sprecher des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe. Da es immer weniger Bargeldschalter gebe und diese besser gesichert seien, sei der klassische Banküberfall seltener geworden, die Kriminellen hätten die Automaten für sich entdeckt.
Schlagen die Täter überall in Deutschland gleich oft zu?
Nein, NRW ist mit Abstand am stärksten betroffen: Von den 318 gesprengten Automaten in 2016 standen 136 hier. Zum Vergleich: Mit 34 Automaten war Niedersachsen bereits das Bundesland mit den zweitmeisten Fällen. Im Saarland und in Hamburg gab es im vergangenen Jahr keinen einzigen Fall, wie diese Karte zeigt:
Und wie sieht es in NRW aus? Sind die Täter dort überall gleich stark aktiv?
Nein, auch innerhalb Nordrhein-Westfalens gibt es eindeutig Schwerpunkte: So explodieren im Westen des Landes – entlang des Rheins und im Ruhrgebiet – die weit meisten Automaten. Ein Grund: Laut Ermittlern kommen viele Täter aus den Niederlanden. Wie sehr sich die Kriminellen auf den Westen des Landes konzentrieren, zeigt auch diese Übersichtskarte zu allen 35 bisherigen Sprengungen in 2017:
Karte: Karla/Jaschinski
Wie muss man sich den typischen Geldautomaten-Sprenger vorstellen?
Der existiert nicht. So gibt es die Profis, die oft aus dem Ausland einreisen. Das BKA spricht hier von einer „schweren Form der Bandenkriminalität“, viele Täter sind bereits straffällig geworden. Sie kommen aus Ost- und Südeuropa und aus den Niederlanden, letztere haben oft marokkanischen Hintergrund. Gern werden sie als „Audi-Bande“ bezeichnet, weil sie nach den Explosionen mit ihren schnellen Autos gen Grenze flüchten – und sich Verfolgungsjagden mit der Polizei liefern.
Meist dilettantischer geht der zweite Täterkreis vor: die Nachahmer, die sowohl aus dem Ausland als auch aus Deutschland kommen. „Sie beherrschen die Sprengtechnik nicht in dem Maße wie die Profis“, sagt Ulrike Herbold, Kriminaldirektorin beim Landeskriminalamt (LKA). Mitunter schafften sie es gar nicht, die Automaten zu öffnen. Die generelle Methode ist bei allen Tätern gleich: Es wird Gas in den Automaten geleitet, das dann entzündet wird.
Warum ist es so schwierig, die Sprengungen zu beenden?
Das liegt laut Herbold vor allem daran, dass der Täterkreis so groß ist. Wie groß, wisse keiner genau, man geht aber allein bei den Niederländern von bis zu 250 Mann aus.
2015 hat das LKA mit „Heat“ („Hitze“) eine eigene Kommission eingesetzt, die den Sprengern auf der Spur ist. Durchaus mit Erfolg: Anfang April konnte die niederländische Polizei mit Hilfe von "Heat" in Utrecht zwei Tatverdächtige fassen' tag=', die für 17 Sprengungen verantwortlich sein sollen. In Hagen und Duisburg hat ein SEK Ende Februar fünf Männer festgenommen, die ein Dutzend Taten begangen haben sollen. In Düsseldorf stehen seit März vier Männer vor Gericht, die einen Automaten in Ratingen sprengen wollten. Und im Dezember verurteilte das Landgericht Bochum einen Niederländer nach einer Geldautomaten-Sprengung zu knapp sechs Jahren Haft.
Das Sprengen geht trotzdem weiter. Allerdings sind in NRW mit 35 Sprengungen bis Mitte Mai weniger Automaten in die Luft geflogen als im Vorjahreszeitraum (47 Fälle).
Wie viel Geld erbeuten die Täter?
Laut Herbold vom LKA gibt es bei den Sprengungen recht hohe Beute zu machen. Wie viel genau, will keiner sagen. Egal ob Deutsche Bank, Postbank, Volksbank, Commerzbank oder die Sparkasse – keine Bank möchte sich dazu äußern, wie eine Umfrage von uns ergab. Alle verweisen darauf, dass es sich um sicherheitsrelevante Informationen handele. Ab und an - zum Beispiel vor Gericht - werden die Beträge dennoch offenbar: So sollen die Täter, die in Düsseldorf angeklagt sind, mehr als 48.000 Euro gestohlen haben.
In einem Bericht an den Innenausschuss im NRW-Landtag schätzt das Innenministerium den Schaden: Für 2015 ist von 4,6 Millionen Euro die Rede und für 2016 von 2,8 Millionen Euro (bis Herbst 2016). Die Zahlen beinhalten Beute wie auch Schäden an Gebäuden. Diese können laut BKA so immens sein, dass sie „den Wert des erbeuteten Bargelds häufig übersteigen“.
Je nachdem, wie gut die Sprengung klappt, hinterlassen die Täter wahre Trümmerfelder. Laut Willner vom Sparkassenverband musste eine Filiale im Münsterland nach einer Explosion über Monate hinweg renoviert werden und solange geschlossen bleiben. Anfang Mai haben Täter in Hessen einen Schaden von rund einer Million Euro verursacht – bei einer einzigen Sprengung.
Welche Zerstörungen die Kriminellen in NRW hinterlassen, zeigt auch diese Fotostrecke:
Muss ich als Bankkunde oder Anwohner Angst haben?
Bei den mehr als 1000 Sprengungen bisher haben sich laut BKA nur wenige Unbeteiligte leicht verletzt. Die Täter kommen immer nachts, zwischen 0 und 5 Uhr, wenn kaum Menschen unterwegs sind. Dennoch birgt die Explosion, besonders herumfliegende Trümmer und Splitter, eine „erhebliche Gefahr“ für Unbeteiligte, Feuerwehr und Polizei, so das BKA. Und auch Willner sagt: „Wir haben Glück, dass bisher nichts passiert ist.“ Zumal über vielen Filialen Wohnungen sind.
Welche Konsequenzen ziehen die Banken?
Geldabholen ist nicht mehr überall nachts möglich. Die Commerzbank schließt eigenen Angaben nach die meisten SB-Zonen, die Deutsche Bank einige, die Sparkassen vor allem abgelegene, wenig besuchte Filialen.
Was können die Banken tun, um Sprengungen zu verhindern?
Zum einen können sie die Automaten sicherer machen – Hersteller und die Deutsche Kreditwirtschaft nennen hier Erschütterungsmelder, Systeme zur Gas-Neutralisierung oder Sprengmatten. Zum anderen kann man die Tat unattraktiver machen – mit Videoüberwachung oder Farbpatronen, die die Geldscheine einfärben, wenn der Automat gewaltsam geöffnet wird.
Was die Banken davon umsetzen und ob überhaupt, ist unklar. Nur die Postbank gibt offen an, in allen Automaten Farbpatronen verbaut zu haben. Commerzbank, Deutsche Bank und Volksbanken äußern sich generell nicht zu solchen Sicherheitsfragen, heißt es. Die Sparkassen haben laut Willner „Maßnahmen ergriffen“. Welche, verrät er nicht. Ganz verhindern könne man Sprengungen nie, sagt er. Und gerade in Farbpatronen sieht Willner kein Allheilmittel. Sie seien störanfällig, außerdem gebe es auch für eingefärbte Geldscheine einen Markt.
Das bestätigen auch die Ermittler. Investitionen in die Sicherheit können sich dennoch lohnen. Laut BKA haben sich die Sprengungen geradezu nach Deutschland verlagert, nachdem niederländische Banken ihre Automaten besser gesichert hatten.
Auch Herbold setzt auf Prävention. Durch bessere Automaten-Sicherung und mit Ermittlungserfolgen könne man die Zahl der Sprengungen erheblich reduzieren. Allerdings: „Ganz verdrängen lässt sich das Phänomen Geldautomatensprengung vermutlich nicht, es wird sie so lange geben, wie es Geldautomaten gibt“, so Herbold.
Welche Banken waren von den Sprengungen in NRW in den vergangenen drei Jahren betroffen?
Das zeigt folgende Auswertung der LKA-Daten: