Claudia Pechstein will Sportgerichte reformieren

Ihre Fans freuen sich auf ihren WM-Auftritt in Berlin, doch Claudia Pechstein ist in Gedanken schon ganz woanders. Der Prozess am 8. März vor dem Bundesgerichtshof hat ihr schlaflose Nächte bereitet. Die Tragweite des Urteils könnte riesig sein.

Berlin (dpa)

von Von Frank Thomas, dpa

, 03.03.2016, 11:20 Uhr / Lesedauer: 2 min

Claudia Pechstein ist mit dem Kopf abseits der Eisbahn. Foto: Karl-Josef Hildenbrand

Claudia Pechstein ist mit dem Kopf abseits der Eisbahn. Foto: Karl-Josef Hildenbrand

Claudia Pechstein will die internationale Sportgerichtsbarkeit auf den Kopf stellen. Das bekräftigte die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Zwar steht die 44 Jahre alte Ausnahmeläuferin am Wochenende bei der Mehrkampf-Weltmeisterschaft auf heimischem Eis vor einem weiteren Highlight der Saison, doch der Prozess vor dem Bundesgerichtshof (BGH) nur zwei Tage nach WM-Ende überlagert schon jetzt die Gedanken der Berlinerin.

«Alle in meinem Umfeld sind angespannt. Auf den Tag der BGH-Verhandlung haben wir jahrelang hingearbeitet, da gerät sogar eine Heim-WM in den Hintergrund», erklärte Pechstein, die in Berlin zum 21. Mal in ihrer Karriere bei einer Vierkampf-WM startet.

Vom Bundesgerichtshof erhofft sich Pechstein nach der Verhandlung am 8. März in Karlsruhe ein historisches Urteil, den «entscheidenden Schritt in Richtung Gerechtigkeit». Seit 2009 unterlag Pechstein vor der Sportgerichtsbarkeit und dem Schweizer Bundesgericht, nun geht es vor der höchsten Zivilgerichts-Instanz Deutschlands um die Neuaufnahme des Verfahrens um ihre Zweijahressperre vor dem Oberlandesgericht (OLG) München. Gegen das OLG-Urteil zugunsten Pechsteins war die ISU vor dem BGH in Berufung gegangen.

«Die ISU tritt den Fairplay-Gedanken mit Füßen. Wer einen Fehler macht, sollte auch die Größe haben, ihn einzugestehen. Vor allem, wenn es einer mit solcher Tragweite ist», sagte Pechstein, die Doping stets bestritten hat.

Schon vor drei Jahren hatten international anerkannte Hämatologen nachgewiesen, dass Pechsteins überhöhte Retikulozytenwerte durch eine geerbte Blutanomalie bedingt sind. DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat Pechstein daher als Opfer bezeichnet und unterstützt sie in ihrem Kampf. Die ISU hatte Pechstein per indirekten Beweis gesperrt, weil sie ihre Blutwerte als Indiz für Doping einschätzte. Daran hält die ISU fest, denn es geht um viel Geld. Pechstein verlangt vom Verband schließlich mehr als fünf Millionen Euro Schadenersatz.

Sollte der BGH die Revision der ISU gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München ablehnen, würde der Pechstein-Fall dort neu aufgerollt. «Jeder, der den Prozessmarathon verfolgt, weiß: Die ISU müsste im Rahmen der Schadenersatzklage beweisen, dass ich gedopt habe. Und bei dem Gedanken lache ich mich jetzt schon in den Schlaf. Denn niemand kann etwas beweisen, was nicht stattgefunden hat», sagte Pechstein der dpa. «Hinter vorgehaltener Hand wurde mir schon direkt von der ISU-Spitze bestätigt, dass man sich geirrt hat. Doch niemand hat den Mut, diesen kapitalen Fehler offiziell einzugestehen. Das macht das ganze besonders schäbig», beklagte sie.

Rund 750 000 Euro hat sie bisher für medizinische Gutachten, Anwälte und Prozess-Kosten ausgegeben. Die Deckung ihrer Ausgaben für den BGH-Anwalt von 75 000 Euro überstieg aber Pechsteins Möglichkeiten. Da alle Rücklagen aufgebraucht sind, wandte sie sich mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit und erhielt mehr als 1000 Spenden zwischen fünf und über 1000 Euro. «Dadurch ist es mir erst möglich geworden, den Kampf gegen die ISU fortzusetzen. Solch eine Erfahrung macht sehr demütig. Deshalb bekommt jeder sein Geld zurück, für den Fall, dass der BGH für mich entscheidet», kündigte sie an.

Pechstein sieht sich in ihrem Kampf auch als Vorreiterin für andere. «Wenn der BGH entscheidet, dass ich vor ein Zivilgericht ziehen darf, würde dies für alle Sportler gelten, die ihr Schicksal nicht den Schiedsgerichten anvertrauen wollen. Dann hätten wir wirklich etwas bewegt», sagte sie.

Auf den Kopf stellen würde dies die Sportschiedsgerichtsbarkeit, abschaffen aber sollte man sie jedoch nicht. «Schiedsgerichte wie das Gremium der ISU, bei dem Ankläger und Richter allesamt vom Verband gestellt werden, verdienen es nicht einmal, das Wort Gericht im Namen zu tragen. Und auch beim CAS werden Richter mehrheitlich von den Verbänden bestimmt.»

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