Mal sind es ein paar Meter, mal nur ein paar Zentimeter, die Christina Kirketerp und Tom Temming, beide schlicht in Schwarz gekleidet, auf der Bühne von den Schauspielenden entfernt stehen. Konzentriert übersetzen sie die Dialoge in die Deutsche Gebärdensprache (DGS).
Mit ihrer Mimik und Gestik verleihen sie der Stimmung Ausdruck, formen Zeichen mit den Händen, öffnen den Mund weit oder ziehen die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, legen den Kopf schräg oder runzeln die Stirn, rümpfen die Nase oder grinsen breit. Nur selten ruhen ihre Hände und warten auf den nächsten Satz. Manchmal, wenn niemand spricht, verschwinden sie ganz von der Bühne.
20 Stunden Vorbereitung
Christina Kirketerp ist freie Gebärdensprachdolmetscherin – obwohl sie eigentlich Sängerin werden wollte, wie sie im Gespräch verrät: „Als in Hamburg der erste Studiengang ‚Gebärdensprachdolmetschen‘ startete, bin ich da aus Interesse reingerutscht. Ich finde die Sprache einfach so schön.“
Seitdem übersetzt sie mehrere Theaterstücke pro Jahr, zum Beispiel in Münster, Bochum oder Herne. Aber auch das Theater Oberhausen hat im vergangenen Jahr das Familienstück in die DGS übersetzen lassen.
Zum ersten Mal dolmetscht Christina Kirketerp dieses Jahr das Familienstück vom Kinder- und Jugendtheater (KJT) im Schauspielhaus Dortmund, „Dornröschen – Hundert Jahre im Land der Träume“.

Das Besondere beim Dolmetschen von Theaterstücken: „Das Künstlerische. Die Theatersprache ist eine Kunstform und deswegen übersetzen wir das Stück schon im Voraus, damit es hübsch wird. Das ist bei anderen Aufträgen ohne künstlerischen Aspekt normalerweise nicht nötig.“ Bis zu 20 Stunden dauere das Vorbereiten: Wie werden Wortwitze übersetzt? Wie die Lieder? Und wer übersetzt wann welche Rolle?
Schnelles Umschalten nötig
„Meistens stehen wir vor der Bühne. Und damit die Gehörlosen trotzdem schnell verstehen, wer spricht, wird häufig nach Geschlecht aufgeteilt.“ Bei „Dornröschen“ laufe aber alles anders, weil die Gebärdensprachdolmetschenden näher am Geschehen sind: Christina Kirketerp übersetzt immer Prinzessin Rosalinde, Tom Kirketerp den Erzähler. Je nachdem, wer von den beiden gerade spricht, übernimmt die andere Person alle anderen Rollen. Schnelles Umschalten ist nötig.

Aber nicht nur das: „Ich brauche beim Dolmetschen von Theaterstücken eine schnelle Auffassungsgabe und muss genau herausfiltern können, was ich übersetzen muss, auch wenn mehrere gleichzeitig reden.“
Außerdem erfordere das simultane Dolmetschen an sich schon sehr viel Konzentration: „Normalerweise sind wir immer zu zweit bei Aufträgen und wechseln uns viertelstündlich ab, weil es so anstrengend ist.“ Auch im Theater sei das herausfordernd: „Danach machen auch gerne mal Nacken und Schultern Probleme, weil wir immer in der gleichen Körperhaltung stehen.“ Dennoch sei es eine gute Abwechslung zum vielen Sitzen im Büro.
Grundsätzlich bräuchten Gebärdensprachdolmetschende aber keine Schauspielerfahrung, um ein Theaterstück zu übersetzen. „Ich fühle mich zum Glück sehr wohl auf der Bühne, da ich selbst Schauspielerin bin. Also macht mir auch das Dolmetschen auf der Bühne sehr viel Spaß.“
Feedback von Gehörlosen nötig
Nach einem Theaterstück freut sich Christina Kirketerp besonders über Feedback aus dem gehörlosen Publikum. „Uns interessiert natürlich, ob sie alles verstanden haben, ob klar war, wer spricht, ob wir die Atmosphäre gut herübergebracht haben.“
Ginge es nach Kirketerp, würden wohl viel mehr Theaterstücke schon in die DGS übersetzt. „Aber so weit sind wir leider noch nicht. Gehörlose Menschen werden immer noch diskriminiert und das Vertrauen in hörende Menschen ist mit Blick auf die Geschichte von Gehörlosen gering.“ Gebärdensprache sei lange Zeit verpönt gewesen: „Hörbehinderte Menschen in meinem Alter mussten sich in der Schule noch auf die Hände setzen und wurden gezwungen, das Sprechen zu lernen.“
Sie hoffe, dass das Übersetzen von Theaterstücken irgendwann selbstverständlich wird: „Diese Form der Kultur muss auch für Gehörlose zugänglich sein.“
Förderung vom Land nötig
Dass das passiert, ist unter anderem die Aufgabe von Chantal Priesack. Sie arbeitet im Inklusionsmanagement des KJT am Theater Dortmund und sorgt dafür, dass möglichst viel am, im und um das Theater barrierefrei wird: „Wir haben mit dem KJT Mittel aus der ‚Neue Wege-Förderung‘ für kommunale Theater und Orchester in NRW vom Landesministerium für Kultur und Wissenschaft beantragt, um Dolmetschende beauftragen zu können.“
So habe es erstmals beim Familienstück 2023 – „Don Quijote und Sancho Panza“ – Gebärdensprachdolmetschende gegeben. „Manche Menschen im Publikum saßen damals zum ersten Mal im Theater.“ Auch in diesem Jahr gebe es für jede der geplanten fünf Termine mit Verdolmetschung 25 bis 30 Tickets für gehörlose oder hörbehinderte Menschen: „Es muss sich aber noch mehr etablieren, dass wir das anbieten.“
Live-Audiodeskription
Bald soll es auch für blinde und sehbehinderte Menschen Live-Audiodeskriptionen geben. Den Anfang macht die Produktion „Der Zauber von Oz“ im Januar 2025. „Vorher gibt es dann Tastführungen auf der Bühne, bei der die Requisiten und Kostüme angefasst werden dürfen. Und dann können sich die Leute mithilfe einer App einwählen und der Live-Übersetzung zuhören“, erklärt Chantal Priesack.
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