Chinesische Küche light in Deutschland
Der vermeintliche Kenner nimmt Nummer 64. Süß-sauer. Die minimale Wartezeit vertreibt sich der Gast mit kleinen Fingerübungen - wie soll man mit den Stäbchen nur das klein geschnittene Hühnchen zu fassen kriegen?

Köche an einer traditionellen Garküche auf einem Markt im chinesischen Guilin.
Schon ist der Kellner wieder da mit dampfendem Reis und exotischen Köstlichkeiten. So oder ähnlich speisen die Deutschen mit Vorliebe bei ihrem «Chinamann» an der Ecke - doch wirklich Chinesisch ist es nur selten, was hier aufgetischt wird. «Es ist eine gutbürgerliche Küche in bestenfalls chinesischem Gewand», befindet der Bonner Historiker Gunther Hirschfelder, der seit vielen Jahren kulturwissenschaftliche Nahrungsforschung betreibt. «Der asiatische Geschmack ist schlichtweg europäisiert.»
So sucht man auch fast immer vergeblich nach typisch chinesischen Spezialitäten wie Tausendjährigen Eiern, Jiaozi, Stink-Tofu oder einer klassischen Pekingente, wie sie im Reich der Mitte kross gebraten zu genießen ist. «In den meisten Chinarestaurants wird eine chinesische Einheitsküche angeboten, die vor allem aus finanziellen Gründen, aber auch auf Grund der Ignoranz der Kundschaft kaum noch den Gaumenfreuden der chinesischen Originalküche entspricht», konstatiert Andreas Guder, Leiter des Studienbereichs Chinesische Sprache an der Freien Universität Berlin.
Auch Restaurant-Manager Michael Ng räumt ein: «In weniger als fünf Prozent der Chinarestaurants in Deutschland gibt es den originalen Geschmack, auch, weil es die Kunden so wollen.» Die Malerin Wang Tian Tian beklagt indes: «Chinesisches Essen in Restaurants ist in Deutschland zum Fast Food verkommen.» Die unbändige Freude der Chinesen selbst am Essen kann dort der deutsche Gast beim Blick zum Nebentisch erleben, wo eine Gruppe Touristen aus Peking die Suppe schlürft oder kunstvoll den wabbeligen Tofu mit den Stäbchen greift.
«Das Volk betrachtet das Essen als den Himmel», lautet ein etwa 2000 Jahre altes Zitat aus dem «Hanshu». «Gemeint ist letztlich nur, dass es wichtig ist, sein Volk ernähren zu können, und dass das Volk zufrieden ist, so lange es genug zu essen hat», erläutert Guder. Essen ist der Dreh- und Angelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in China. Nicht von ungefähr lautet eine noch immer weit verbreitete Begrüßungsfloskel: «Hast Du schon gegessen?» (Ni chi fan le ma?)
Bei offiziellen Banketts in China werden Spezialitäten wie frittierte Skorpione aufgefahren, immer wieder stehen neue Platten mit anderen exotischen Gerüchen auf dem runden Tisch und jeder probiert von allem. Reis wird erst hinterher quasi als «Sättigungs- Nachschub» serviert - für die Gäste, die immer noch Hunger haben, obwohl ihnen doch die besten Sachen aufgetischt wurden. Schon deshalb sollte man tunlichst beim Reis nicht so zulangen. Auch bei jeder privaten Einladung wird wahrlich kaiserlich aufgefahren von diversen Gemüsesorten bis hin zum ganzen gebratenen Fisch. Die Gewürze sind je nach regionaler Küche verschieden - Ingwer, Knoblauch, Chili und vieles mehr.
«In China hat Essen einen sozialisierenden Effekt, alle greifen zu, bei uns gibt es das Essen à la Card, man teilt nicht so gerne», meint Volkskundler Hirschfelder. Während eines Bummels über den Markt im südchinesischen Kanton dreht sich möglicherweise bei dem einen oder anderen Touristen angesichts lebender Katzen - zum Verzehr gedacht - der Magen um. Aber schließlich ist es ebenso für viele Chinesen schwer vorstellbar, wie man gegorene Milch (Gorgonzola) essen kann. Ob Hahnenfüße oder Heuschrecke, so betont Hirschfelder: «In der chinesischen Küche gibt es einen besondere Hang zu Tieren, die für die Chinesen Klugheit, Kraft oder Potenz symbolisieren.»