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Chaos beim Corona-Schutz: Menschen in NRW haben völlig zurecht die Nase voll
Meinung
Seit zwei Jahren grassiert Corona in Deutschland. Ebenso lange grassiert Chaos bei den Schutzmaßnahmen. Jetzt gibt es exakte Daten dazu, wie die Menschen im Land das finden. Ein Kommentar.
Nach zwei Jahren Coronavirus sind die Menschen inzwischen maximal genervt. Klar, von diesem fürchterlich anhänglichen und einfach nicht weichen wollenden Virus sowieso. Mindestens genauso aber auch von diesem unfassbaren Regelchaos, in das uns Bund- und Länderfürsten inzwischen nahezu wöchentlich stürzen.
Bei der Umfrage der nordrhein-westfälischen Tageszeitungen vor der Landtagswahl, dem NRW-Check, wünschten sich zwei Drittel der Befragten bundeseinheitliche Regelungen bei den Corona-Schutzmaßnahmen. Dabei geht diese Forderung nahezu quer durch alle politischen Lager. Nur bei den AfD-Anhängern gibt es eine knappe Mehrheit gegen bundesweit einheitliche Regeln.
Und: Die Forderung nach Einheitlichkeit wird von Jungen, Mittelalten und Alten gleichermaßen geteilt – in jeder Altersgruppe wollen mehr als 60 Prozent einheitliche Regeln.
„Eine einzige saftige Ohrfeige“
Das Ergebnis dieser Umfrage lässt sich gar nicht anders interpretieren als eine einzige saftige Ohrfeige ins Gesicht der handelnden Politikerinnen und Politiker. Noch immer nutzen so manche Landesfürstinnen und -fürsten die Pandemie vor allem zur eigenen Profilierung. Als König in dieser Schmierenkomödie erweist sich in diesen Tagen mal wieder der „Ich-wär-so-gerne-Kanzler“ namens Markus Söder.
Seine Ankündigung, ein gerade erst auch von ihm und seinen Mit-Unionisten abgesegnetes Gesetz in Bayern unterm Strich einfach mal zu ignorieren, ist ungeheuerlich. Es ist die öffentliche Ankündigung eines Rechtsbruchs. Oder habe ich irgendwo ein Gesetz übersehen, wonach sich Bayern nicht an Bundesgesetze halten muss, wenn es dem König im Freistaat nicht passt?
Söders Begründung ist völlig absurd
Inhaltlich ist die Begründung von Markus Söder zudem völlig absurd. Dass die praktische Umsetzung der Impfpflicht mit Problemen behaftet sein würde, dass es Menschen geben würde, die sich dennoch nicht impfen lassen wollen und bei einem Arbeitsverbot Lücken in die Versorgung reißen könnten, all das ist doch nicht neu. Diese Argumente sind in der Debatte vor der Verabschiedung des Gesetzes ausführlich im Bundestag diskutiert worden. Und dann hat man dieses trotzdem, im Wissen um die Probleme, auch mit den Stimmen aus CDU und CSU verabschiedet.
Nebenbei bemerkt: Wenn keine Probleme zu erwarten gewesen wären, hätte man das Gesetz überhaupt nicht gebraucht. Dann wären alle Beschäftigten im Gesundheitswesen einsichtig und hätten sich schon lange geimpft.
Aber nicht nur Söder verbreitet Chaos. Das können auch andere. Das gilt etwa für die 2G-Regel im Einzelhandel. Wissen Sie, in welchem Land die gerade noch gilt und wo nicht? Und um auch nochmal was zu dem Thema zu sagen, hat NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gestern vorgeschlagen: 2G im Handel kippen, aber dafür Zugang nur mit FFP2-Maske. Macht es das einfacher? Vielleicht. Macht es das für einfache Bürger teurer? Mit Sicherheit.
Was nach Corona-Gipfeln von der Gemeinsamkeit bleibt
Noch immer ist es so, dass ich selbst dann, wenn ich in die Nachbarstadt fahre, nicht genau weiß, ob dort die selben Regeln gelten wie bei mir. Und wenn ich die Grenze zu einem anderen Bundesland überschreite, habe ich immer ein mulmiges Gefühl: Worauf muss ich denn hier achten?
Die Corona-Gipfel enden in schöner Regelmäßigkeit damit, dass Bund und Länder nach stundenlangen Beratungen bei einer Pressekonferenz erklären, dass man sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt habe. Zwei Stunden später geben die ersten Länder-Chefs dann ihre Pläne bekannt und die Gemeinsamkeit ist wieder dahin.
Diese fehlende Stringenz ist einfach unerträglich. Wer will, dass Regeln zum Schutz aller befolgt werden, der muss sie klar und eindeutig machen. Es kann nicht sein, dass ich jede Woche erst ein neues Handbuch lesen muss, um zu wissen, wie ich mich zu verhalten habe, und schon gar nicht, dass ich eine neue Betriebsanleitung brauche, wenn ich die Grenze zu einem anderen Bundesland überschreite.
Seit zwei Jahren warte ich auf die Debatte über die Frage: Wer ist bei uns im Land für welche Dinge zuständig? So sehr ich unseren Föderalismus schätze, so sehr bin ich davon überzeugt, dass künftig für etliche Aufgaben der Bund den Hut aufhaben sollte. Das gilt mit Sicherheit für die Pandemiebekämpfung, aber nicht nur dafür.
Miese Noten für Schulpolitik sind kein Wunder
Der Flickenteppich, den wir beispielsweise in Deutschland bei der Schulpolitik haben, hat vielleicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch gepasst. In einer zunehmend mobilen Gesellschaft, wo Umzüge in ein anderes Bundesland keine Rarität mehr sind, passt das einfach nicht. Kein Wunder, dass es beim NRW-Check gerade auch für die Schulpolitik ganz miese Noten gab.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
