Carmen ist Traviatas Schwester

Erfolgreiche Premiere

Die ruchlose Verführerin als verzweifelte, nachdenkliche Frau: Regisseur Georg Köhl wagt in Münsters Großem Haus eine neue Deutung von Georges Bizets Oper „Carmen“. Seine Personenführung und die musikalische Seite überzeugen. Optisch bleibt die Aufführung hingegen karg.

Münster

, 07.09.2014, 16:04 Uhr / Lesedauer: 2 min
Während in der Taverne von Lillas Pastia die Party steigt, denkt Carmen (Tara Venditti) nur an ihren Don José. Auch der Torero Escamillo (Gregor Dalal) kann sie nicht bezirzen.

Während in der Taverne von Lillas Pastia die Party steigt, denkt Carmen (Tara Venditti) nur an ihren Don José. Auch der Torero Escamillo (Gregor Dalal) kann sie nicht bezirzen.

Nächste Termine am 12., 17., 21., 25. September, 4., 14., 19. Oktober. Kartentelefon (0251) 5909-100.

Carmens Tragik in dieser Aufführung ist, dass sie zu viel will. Sie träumt von einem besseren Leben außerhalb der Schmugglerbande – aber sie verabscheut auch die feige Konformität dieses bürgerlichen Lebens, die der Don José von Adrian Xhema verkörpert. Den Macho-Nebenbuhler Escamillo will sie erst recht nicht. Nach der Pause durchleidet Carmen ein graues Martyrium. Am Ende trägt die Regie dick auf: Carmen drückt Don José das Messer in die Hand und stürzt sich dreimal selbst hinein. Das ist inhaltlich plausibel, erinnert schauspielerisch aber an B-Horror-Filme, in denen sich das Opfer selbst mit dem Gummikraken erwürgt. Vielleicht kostete diese Szene Tara Venditti am Samstag einen Teil des verdienten Applauses. Gesanglich ist sie nämlich eine wunderbar disziplinierte Carmen, die größten Wert auf jede kleine Verzierung legt. So gespannt man der Geschichte in diesen drei Stunden folgt, so schwer ist es, mit der Ausstattung von Martin Warth und Ursina Zürcher warm zu werden. Die Bühne ist ein leeres Oval, das von Lamellen-Türen begrenzt wird. In den vielen fabelhaften Chorszenen (toll der Kinderchor des Paulinums) bietet diese Spielfläche viel Platz. Die großen Duette des ersten Aktes gehen jedoch in der Leere unter. Die Taverne von Lillas Pastia wird mit viel Pink und bunten Glühbirnen zum Schauplatz einer Orgie mit strikt geschlossenen Hosen.

Sara Rossi Daldoss hätte als Micaëla eine höhere Gage für ihr Kostüm verdient: Sie muss als trutschige Pfadfinderin mit Zöpfchen, Blüschen und Riesenrucksack herumlaufen. Aber die Sopranistin rächt sich musikalisch – sie singt Don Josés langweilige Freundin vom Land so dramatisch und ausdrucksvoll, dass sie zur umjubelten Königin des Abends wird. Tenor Adrian Xhema ist ein klangschöner, sicherer José mit hohem B im Piano am Ende der Blumenarie. Gregor Dalal verleiht dem Torero Escamillo viel Volumen und Autorität, zuweilen auch viel Vibrato. Dirigent Fabrizio Ventura bringt den Abend gut ausbalanciert und gefahrenfrei ins Ziel, obwohl er manchmal – zum Beispiel im schön choreografierten Schmuggler-Quintett – ein rasendes Tempo riskiert. Das Orchester ist in bestechender Form. Niemand klang am Samstag verführerischer als die Hörner in der Micaëla-Arie. Der Applaus war zwar nicht stehend, aber einhellig, auch für die Regie.  

Nächste Termine am 12., 17., 21., 25. September, 4., 14., 19. Oktober. Kartentelefon (0251) 5909-100.