Carmen als verliebte Verführerin
Opernpremiere
Wer ist Carmen? Ein Don Juan in Frauenkleidern, ein ruchloser Weibsteufel, eine Lulu aus der spanischen Zigarettenfabrik? Regisseur Georg Köhl glaubt das alles nicht. Er zeigt seine Sicht auf die Oper von Georges Bizet ab Samstag im Theater Münster.

Carmen (Tara Venditti) und Don José (Adrian Xhema) finden kein Glück.
So lautet die gängige Inhaltsangabe der Oper, aber Georg Köhl sieht noch mehr darin: die Geschichte einer großen Liebe, die tragisch scheitert. Für ihn ist Carmen nicht die Täterin, sondern eher das Opfer. Sie ist eine Außenseiterin, die sich mit ihren körperlichen Reizen als Animierdame etwas dazuverdienen muss – von den Männern begehrt, begrapscht und beiseite geschoben. In dem bürgerlichen Don José sehe sie die Chance „einer Liebe auf Augenhöhe“ und nehme diese Möglichkeit todernst: „Ich bin verliebt bis zum Wahnsinn“, singt sie. Auch José ist verliebt, aber er sendet die falschen Signale. In der großen Konfliktszene der beiden (beginnend mit Josés berüchtigt schwerer „Blumenarie“) erscheint er als duckmäuserischer Feigling und stößt die überspannte Carmen vor den Kopf. Dass er mit ihr fliehen muss, ist nur ein dummer Zufall und nicht sein Wunsch. Und dass er sie am Ende erdolcht, führe Carmen durch gezielte Provokation selbst herbei, so Köhl. „Es hätte in dieser Oper auch alles gut gehen können, wenn die Hauptpersonen sich mit dem Erreichbaren zufriedengeben würden“, sagt der Regisseur: „Aber so ist das nun einmal mit den Menschen und ihren Sehnsüchten.“
Köhl nimmt das Psychodrama ernst und das soll sich auch auf der Bühne spiegeln. Münster hat in puncto „Carmen“ eine ziemliche Kitsch-Vergangenheit: Sowohl Regisseur Attila Czikos 1999 als auch die vorletzte Inszenierung aus den 80ern setzten auf hübsches Spanienkolorit mit – hoho, Verfremdungseffekt – herumstreunenden Touristen. Diesmal soll es ein zeitlos-abstraktes Bühnenbild geben, das den gesellschaftlichen Käfig der Personen ebenso verdeutlicht wie die (Stier-)Kampfarena ihrer Liebeskonflikte. Generalmusikdirektor Fabrizio Ventura dirigiert die traditionelle Rezitativ-Fassung in französischer Sprache. Er liebt die Musik und „ihre besondere geheimnisvolle Atmosphäre, die man weder bei Verdi noch bei Wagner oder Gounod findet“. Bewundernswert auch, dass der Pariser Bizet mit dieser Oper für alle Zeit das musikalische Bild von Spanien („Heiß und hell“, so Ventura) prägte, obwohl er niemals dort war. Die Titelrolle übernimmt als Gast die Amerikanerin Tara Venditti, eine weltweit profilierte Carmen. Während der Proben verletzte sie sich an einer Handsehne, der Verband ist aber schon wieder abgenommen. Auch die Überflutungsschäden des Theaters beeinträchtigen die Premiere nicht. Ab Samstag herrschen nur noch Lust und Leidenschaft.
- Für die Premiere am Samstag (6. September) um 19.30 Uhr im Großen Haus an der Neubrückenstraße gibt es noch eine Handvoll Restkarten auf den Rängen.
- Weitere Termine am 12., 17., 21., 25. September, 4., 14., 19. Oktober.
- Die Aufführung ist in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln.
- Neue Lampen in den Rückenlehnen der Sitze ermöglichen das Lesen von Programmheften und Libretti.
- Kartentel. (0251) 59 09-100.