Cargobike im Test: der Brummi des Radwegs
Fahrrad
Mit einem Cargobike unterwegs sein und das Gefühl haben, im Kleinlaster zu sitzen. Bei modernen Lastenrädern geht es aber nicht nur um Brummigefühle, sondern um praktischen Nutzen.

Cargobikes sind vielseitig einsetzbar – im Verkehr tun sich allerdings einige Hürden auf. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild
Welch ein erhabenes Gefühl: Auf dem Packster 70 des Herstellers Riese & Müller thront der Radler wie auf dem Fahrersitz eines Kleinlasters. 2,50 Meter ist das Cargobike lang, an der breitesten Stelle misst es 60 Zentimeter. Gut 40 Kilogramm beträgt allein das Eigengewicht. Bis zu 160 Kilogramm können zugeladen werden, davon 100 in der Ladefläche. Mit diesem „Brummi“ wird der Fahrer zum Kapitän des Radwegs.
Das ist allerdings mitunter auch sein Problem: Denn dort, wo die Fahrspur schmal wird, muss das Rad fein ausgesteuert werden, um nicht zum Beispiel parkende Autos zu streifen. An manchen Ampelkreuzungen ist die Aufstellfläche zu knapp, dann ragt das Rad auf die Straße oder über Straßenbahngleise. Ein weiteres Problem: Die meisten Fahrradabstellplätze sind nicht für Räder dieser Länge ausgelegt. Und manche Hindernisse auf Radwegen sind so eng gebaut, dass an ihnen aufwändig vorbeimanövriert werden muss – wenn sie überhaupt zu überwinden sind.
Enorme Reichweite bei den Akkus
Auch Überholvorgänge sind aus Platzmangel auf vielen Radwegen nicht möglich – und das, obwohl mit dem E-Motor zügig beschleunigt werden kann. Dafür sorgt die stufenlose Nabenschaltung Enviolo 380. Bei 25 km/h ist allerdings Schluss, dann muss verstärkt selbst getreten werden. Der Bosch-Motor Cargo Linie Cruise treibt einen Riemen an und kann in verschiedenen Modi gefahren werden: von der sparsamen Eco-Einstellung bis zum Turbogang. Damit lassen sich auch große Steigungen mühelos erklimmen, allerdings wird auch viel Strom verbraucht. Im Tourmodus hingegen ist die Reichweite enorm: Die beiden Akkus unterstützen bis zu 170 Kilometer weit. Nach einer Fahrt von Göttingen nach Hannover waren sie immer noch zu einem Viertel gefüllt.
Sitz und Vorderrad sind gefedert und sorgen auch auf langen Strecken für Fahrkomfort. Der Wendekreis des neuen Packster ist angenehm klein – auch auf schmalen Wegen sind 180-Grad-Kurven möglich. Wer noch nie mit einem Lastenrad gefahren ist, muss sich allerdings zunächst an den Umgang damit gewöhnen. Anfänger fahren oft in Schlangenlinien. Tipp: Nicht vorne auf die Ladefläche schauen, sondern den Blick in Fahrtrichtung schweifen lassen – so wie normalerweise beim Radfahren.
Kinder- oder Lastenvariante
Mit voller Ladung ist das Handling noch etwas gewöhnungsbedürftiger. Beim Fahren spielt das Gewicht zwar kaum eine Rolle, aber im Stehen macht es sich bemerkbar: Dann muss der Fahrer kräftig gegenhalten. Das Packster gibt es als Kindertransporter und Lastentransporter. In der Familienkutsche haben zwei kleine Kinder ausreichend Platz und können die freie Aussicht genießen. Vor Regen sind sie unter dem Verdeck gut geschützt. Das ist allerdings etwas umständlich zu montieren und hat einen großen Nachteil: Der Fahrer stößt mit der Hand dagegen, sobald der Lenker stärker eingeschlagen wird. Das Material gibt zwar nach, trotzdem sorgt der Widerstand für Irritationen.
Auch mit dem Kindertransporter können größere Lasten befördert werden: Die Ladefläche fasst vier Getränkekisten und mehrere Einkaufstaschen. Dank des Elektroantriebs kann das Cargobike auch voll beladen ohne große Anstrengung gefahren werden. Allerdings fühlt es sich dann etwas weniger stabil an. Ungern nimmt man die Hand vom Lenker, um das Abbiegen anzuzeigen. Ein Blinker wäre eine sinnvolle Ergänzung zur übrigen technischen Ausstattung mit Bremslicht, Fernlicht, Schiebehilfe und GPS-Ortung, die bei einem Diebstahl wertvolle Dienste leisten kann.
Das Packster 70 kann durchaus Begehrlichkeiten wecken: Mit rund 7000 Euro kostet es in dieser Version fast so viel wie ein Kleinwagen. Wer regelmäßig mit Kindern unterwegs ist oder häufig Lasten transportieren möchte, für den ist das Packster aber durchaus eine Alternative zum Auto. Und dazu noch die deutlich umweltfreundlichere – vor allem dann, wenn es mit Ökostrom betankt wird. Anders als für Pkw gibt es in den meisten Städten allerdings kein öffentliches Ladenetz. Geladen werden muss also in der Regel an der heimischen Steckdose – und das kann mehrere Stunden dauern.
Gut 100.000 Cargobikes wurden im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft, rund Dreiviertel davon mit E-Antrieb. Die Palette an Angeboten ist groß: Sie reicht von Rikschas („Chike“) über aerodynamische Rennmaschinen mit Kindersitzen („Libelle“) bis modular aufbaubare Kleintransporter („XYZ Cargo“). Eine gute Übersicht findet sich auf der Website cargobike.jetzt. Wer einen E-Motor wünscht, zahlt ab rund 2.500 Euro, etwa für das Babboe Dog-E. Ohne Motor fallen für das Modell etwa 500 Euro weniger an. Unmotorisiert und mit Preisen zwischen 2000 und 3000 Euro vergleichsweise günstig sind zudem das Christiania +30, das Backfiets Cargotrike Classic und das Douze V2 400 White Pack.
RND
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