Buchautor über moderne Väter: „Es ist meine Pflicht, da zu sein“
Gleichberechtigte Eltern
Bildungsjournalist Birk Grüling plädiert für eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und für eine Elternschaft als Team. Denn um ein aktiver Vater zu werden, sei es nie zu spät.

Väter, die sich um die Kindern kümmern, während die Frau arbeitet, sind heute keine Seltenheit mehr. © Caroline Hernandez/Unsplash
Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen ist heute nicht mehr etwas, was nur Frauen bewältigen müssen. Immer mehr Väter wollen aktiv am Familienleben teilnehmen, für ihre Kinder da sein und Verantwortung übernehmen. Leider scheitern viele gute Vorsätze an der Realität, hat RND-Autor Birk Grüling beobachtet. In seinem Buch „Eltern als Team – Ideen eines Vaters für gelebte Vereinbarkeit“ gibt er Tipps, wie eine wirklich gleichberechtigte Elternschaft gelingen kann.
In Ihrem Buch geht es um Vereinbarkeit. Bringen wir nicht schon mit dem Begriff etwas zusammen, was eigentlich gar nicht zusammengeht, nämlich Familie und Beruf?
Birk Grüling: Nach viel Recherche für mein Buch würde ich sagen: Es kann klappen. Man muss nur Prioritäten setzen. Es gibt das Zitat von Renate Schmitt, die sagt: „Eine Frau kann nicht 100 Prozent Frau sein, 100 Prozent Mutter, 100 Prozent Frau im Beruf. Sonst ist man schnell ein 300-prozentiges Wrack.“ Und das stimmt. Man muss also Abstriche machen, wenn man Vereinbarkeit will. Das kann man aber anders machen, als es bisher läuft.
Wie läuft es bisher?
Meistens ist es so: Männer machen keine Abstriche, sie verfolgen ihre Karriere und bleiben Randfigur in der Familie und der Erziehung. Die Frauen haben dagegen ganz viele Baustellen: Haushalt, Kinderbetreuung und heute eben auch noch ihren Beruf. Das funktioniert nicht.
Was ist es denn, was Paare wirklich brauchen, wenn sie Job und Kinder irgendwie miteinander vereinbaren wollen?
Dazu brauchen wir Eltern auch Unterstützung. Wir brauchen passende Rahmenbedingungen, die müssen stimmen. Eine wichtige Rahmenbedingung ist eine verlässliche Kinderbetreuung, damit das nicht nur Privatsache ist. Wir brauchen Arbeitgeber, die Familienfreundlichkeit leben und Eltern nicht diskriminieren. Neben diesen äußeren Faktoren müssen wir aber auch in der Familie über Gleichberechtigung und eine gerechte Aufgabenverteilung sprechen.
Wie es im Buchtitel schon heißt: Eltern als Team…
Genau. Ich glaube, Vereinbarkeit geht am besten gemeinsam, also wenn Paare sich fragen: Wie können wir uns beide unseren Beruf aufteilen, dass wir beide damit zufrieden sind? Oder wie können wir unsere Care-Arbeit zu Hause so aufteilen, dass wir beide präsent in der Familie sein können? Wie können wir die lästige Hausarbeit auf vier Schultern verteilen? Oder die Last des Familienernährers? Ich glaube, es tut gut, eine solche gemeinsame Vision von Vereinbarkeit zu haben. Denn auf ihrer Grundlage lassen sich Aufgaben verteilen und Entscheidungen treffen.
Das bedeutet, dass man mehr Gespräche führen muss. Dass der Mann mehr Verantwortung zu Hause übernimmt. Warum tun Sie sich den Stress überhaupt an?
Das werde ich ganz oft gefragt und ich finde, das ist die falsche Frage. Es ist ja nicht nur Egoismus. Natürlich verbringe ich sehr gern Zeit mit meinem Kind. Aber die Frage ist doch nicht, was ich davon habe, sondern es ist meine Pflicht als Vater. Mein Kind profitiert davon, dass ich ein präsenter Vater bin, das heißt, ich schulde es meinem Kind, da zu sein. Und ich habe mich auch für dieses Kind entschieden, das ist jetzt nicht einfach so passiert. Ich habe auch meiner Frau gegenüber eine Verantwortung. Gemeinsam sind wir gestartet, deshalb kann ich nicht verantworten, dass sich meine Frau in so einer Doppelbelastung aufreibt und dann völlig am Ende ist – gesundheitlich, psychisch. Also muss ich meinen Beitrag dazu leisten, gut aufzuteilen.
Sie sehen es als Pflicht, aber Sie schreiben auch, wie gut es sich anfühlt, kompetent zu sein.
Aktive Vaterschaft fühlt sich gut an. Niemand wird am Ende des Lebens sagen. „Mit 30 habe ich in einem Jahr 100.000 Euro verdient! Darauf bin ich sehr stolz.“ Höchstens bereuen wir auf dem Sterbebett, wenn wir nicht bei unserer Familie waren. Das möchte ich nicht bereuen. Mein Vater ist in der Schwangerschaft meiner Frau verstorben. Unser letztes Telefonat war kurz vor seiner OP.
Ich habe ihn gefragt, ob er Angst hat. Er hat zu mir gesagt: „Ich habe dich aufwachsen sehen, ich war präsent. Wovor soll ich jetzt Angst haben?“ Das war für mich ein unheimlich tolles letztes Wort. Das möchte ich ähnlich haben. Auf der anderen Seite finde ich es auch einfach toll, Vater zu sein. Ich gehe gern Kinderbücher shoppen, unterhalte mich gern mit Kindern, ich liebe Spielzeugläden und ich fand auch Wickeln oder Füttern schön. Ich gehe voll darin auf. Das ist aber auch eine Typsache.
Sind Väter, die weniger aktiv sind, gleich schlechte Väter?
Ich glaube, es sind andere Väter. Es ist für sie deutlich schwerer, aktive und präsente Väter zu sein. Aber je weniger Zeit ich mit meiner Familie verbringe, desto weniger Chancen habe ich, am Alltag teilzunehmen und auch in schwierigen Momenten da zu sein. Aber genau das ist sehr wichtig für die Bindung.
Viele Paare leben ja durchaus gleichberechtigt und wollen das auch beibehalten. Dann aber kommen die Kinder und sie machen eine Rolle rückwärts. Was können Paare tun, um aus dieser Falle wieder herauszukommen?
Ich glaube, dieser Schritt, dass sie das beibehalten wollen, passiert kaum. Viele Paare leben vorher gleichberechtigt und rutschen dann in eine Rollenverteilung, die von ihnen erwartet wird. Die Mutter geht lange in Elternzeit, der Vater nimmt die zwei „Vatermonate“. Ich glaube tatsächlich, dass das anders wäre, wenn man sich vor der Geburt einmal hinsetzt und nicht nur über den passenden Kinderwagen spricht, sondern sich fragt: Wie wollen wir als Eltern eigentlich sein?
Die Familienvision, von der Sie schreiben?
Ja, genau. Wenn man einen Grundkonsens hat, wie man Elternschaft leben möchte, und regelmäßig im Gespräch bleibt, kann man auf Veränderungen, etwa beim Wiedereinstieg in den Job, leichter reagieren und das eigene Lebensmodell in allen Facetten anpassen, und zwar gemeinsam.
Was genau beinhaltet diese Familienvision?
Es beginnt mit der Auseinandersetzung mit einer eigenen Vorstellung von Elternschaft. Habe ich davon eine Idee, spreche ich mit meinem Partner oder meiner Partnerin darüber und suche nach einem Familienmodell, das für beide Vorstellungen passt. Das ist der zweite Schritt. Der kann auch sehr konkret werden: Wer bleibt lange in Elternzeit, wie sieht es dann aus, wenn das Kind älter wird, von welchen Familienmitgliedern nehmen wir Hilfe an? Am Anfang ist das supertheoretisch, aber ich finde es gut, um einen Grundkonsens zu finden.
Viele Konflikte entstehen ja, weil man vorher gar nicht über die eigenen Vorstellungen und Erwartungen gesprochen hat. Hat man sich aber auf eine gemeinsame Basis verständigt, kann man sie immer wieder hervorholen, wenn die nächsten Schritte anstehen. Solche Entscheidungen sind ja auch nicht statisch, sondern lassen sich immer wieder anpassen und neu aushandeln. Wir können also ganz viel bewegen. Aber ich glaube auch, dass das Brechen mit Rollenbildern und mit dem, wie wir sozialisiert sind, viel schwieriger ist, als wir denken. Das ist auch eine wichtige Erkenntnis aus der Recherche für mein Buch.
War Ihnen von Anfang an klar, dass Sie es anders machen wollten? Hatten Sie so eine Familienvision, bevor Ihr Sohn zur Welt kam?
Nicht so detailliert, wie ich sie im Buch beschreibe. Ich hatte vor allem ein Bild vor Augen, und das waren die tragenden Väter. Ein Vater mit Kind vor der Brust, das fand ich cool. Trotzdem sind auch wir nach der Geburt erst mal in traditionelle Rollenbilder abgerutscht – obwohl wir beide gleich verdient haben. Ich war drei Monate in Elternzeit, auch nicht allein. Als mein Sohn vier Monate alt war, bin in Teilzeit gegangen, um präsenter zu sein. Trotzdem hat es sehr lange gedauert, bis wir Gleichberechtigung erreicht hatten. Von der Idee einer Familienvision hätte ich gern vorher gewusst.
Eltern verhandeln aber nicht allein darüber, wie sie sich aufteilen. Sie sagen es ja: Die Gesellschaft und ihre Rollenbilder tragen auch dazu bei.
Natürlich braucht es für Gleichberechtigung auch die Rahmenbedingungen, etwa die Überwindung des Gender-Pay-Gap. Aber auch durch kleine Schritte können wir viel bewegen. Der Mann geht dann vielleicht nicht genauso lang in Elternzeit, teilt sich aber seine Arbeitszeiten anders ein, damit er zu Hause präsenter ist und mehr Verantwortung übernimmt. Ein ganz großer Faktor ist einfach der Wille dazu.
In meinem Buch habe ich das Beispiel des Kfz-Mechanikers, der familienfreundlichere Arbeitszeiten haben wollte und statt im Schichtdienst nun im Wareneinkauf arbeitet. So kann er die Nachmittage mit der Familie verbringen. Der erste Schritt ist also zu erkennen, dass ich nicht mehr in den alten Rollenbildern leben möchte. Im zweiten Schritt muss ich mich proaktiv auf die Suche machen und schauen, an welchen Stellschrauben ich drehen kann, um in diese Richtung zu kommen.
Welche Stellschrauben können das sein?
Ein ganz klassisches Beispiel ist der Wiedereinstieg, den können wir viel aktiver gestalten. Im ersten Schritt muss ich mit mir und dann mit meinem Partner klären, wie ich mir die Rückkehr in den Job vorstelle und wie sich dadurch unsere Rollen verändern. Danach sollte man auch mit seinem Arbeitgeber über die eigenen Ansprüche und die Möglichkeiten sprechen.
Das ist durchaus ein Aushandeln: Was kann ich dir anbieten, was kannst du mir anbieten? Dieser Punkt wird oft unterschätzt! Meistens hat nämlich der Arbeitgeber ein großes Interesse daran, all seine Mitarbeiter zurückzubekommen. Auch Frauen – selbst, wenn sie oft nur in Teilzeit zurückkommen, sind sie ja sehr hoch qualifiziert. Dieses Wissen zu verlieren, das kann sich eigentlich keiner mehr erlauben. Da brauchen wir Eltern mehr Selbstbewusstsein.
Und wo haben Eltern noch Gestaltungsmöglichkeiten?
In meinem Buch habe ich dafür viele kleine Ideen gesammelt. Oft geht es um Hilfe im Familienalltag. Gibt es den einen Nachmittag, an dem Oma, die Tante oder auch die Nachbarin mein Kind aus der Kita abholen kann? Aber auch in der Familie mal zu schauen, welche Routinen helfen können oder worauf wir auch mal verzichten können.
Vielleicht muss es nicht jeden Tag frisches Bioessen geben und nicht jeden Tag eine Fun-Aktivität. Man kann auch mal einen Nachmittag mit den Kindern zu Hause sitzen und sich ein bisschen Langeweile gönnen. Auch das sorgt für Entspannung und Entschleunigung im Familienalltag. Und alles andere, was sich nicht weglassen lässt, sollte eben möglichst gerecht und eigenverantwortlich aufgeteilt werden.
Ist es nicht auch der Blick auf Karriere, der sich vor allem bei den Männern ändern muss?
Ja, das muss er – und vielleicht ändern sie das auch schon. Es gibt ja Studien, die sagen, dass Männer mehr Zeit mit den Kindern verbringen wollen.
Aber am Ende tun sie es nicht…
Genau. Am Ende tun sie es nicht. Und ich glaube, dass dieses Wollen noch stärker von beiden Seiten eingefordert werden sollte. Es muss in den Unternehmen erleichtert werden. Es muss möglich sein, nicht nur mit 60 Stunden pro Woche eine Führungsposition zu übernehmen. Väter dürfen es also nicht nur bei Lippenbekenntnissen belassen. Wenn sie Vereinbarkeit leben wollen, können sie keine 60 Stunden pro Woche arbeiten.
Und wenn, dann bleibt einfach keine Zeit für Beziehung, für die Kinder. Die Kapazitäten sind nun einmal begrenzt. Sie müssen also ehrlich gucken, wo ihre Prioritäten liegen, und Abstriche machen. Wollen sie aktive Väter sein und vielleicht noch einem Hobby nachgehen, dann sind diese Abstriche logischerweise im Beruf zu machen. Viele haben sicher auch Angst vor Karriereeinbußen. Und dieses Gejammer darum ist Quatsch! Was sollen denn da die Frauen sagen?
Ich glaube tatsächlich, dass die Väter da ein großer Faktor sind, um diese Elterndiskriminierung auch abzubauen. Wenn auch die Väter in Elternzeit oder Teilzeit gehen, ist es ja egal, ob Frauen oder Männer den Job bekommen. Darauf müssten sich dann einfach alle Unternehmen einstellen. Im Moment ist es aber so, dass Vereinbarkeit für die eine Hälfte der Berufstätigen kein Thema ist, weil ihnen die andere Hälfte den Rücken frei hält.
Kann man noch mal nachjustieren und zum aktiven Vater werden, auch wenn man die ersten Jahre verpennt hat?
Für aktive Vaterschaft ist es eigentlich nie zu spät. Allerdings wird die Umstellung mit der Zeit schwieriger. Wenn ich von Tag eins an konsequent Gleichberechtigung lebe und den Mental Load verteile, habe ich natürlich mehr Routinen. Steigt der Vater erst später ein, muss er natürlich erst mal herausfinden, wie der Kinderarzt heißt und wo er die Matschhosen herbekommt. Das ist dann vielleicht mehr Arbeit, aber sicher nichts, was das Ganze unmöglich macht. Das hat auch die Corona-Pandemie gezeigt, in der plötzlich viele Väter mehr Care-Arbeit leisten mussten, weil sie nun mehr zu Hause sind und die Partnerin vielleicht noch in einem systemrelevanten Beruf arbeitet.
Es gibt viele, viele Bücher zum Thema Mutterschaft. Sie haben jetzt ein Buch aus Väterperspektive geschrieben. Kommt jetzt die Zeit der aktiven Väter?
Ich glaube, es gibt da einen Kulturwandel und die aktiven Väter bekommen mehr Aufmerksamkeit. Das hilft natürlich, weil manche junge Väter genau diese öffentlichen Identifikationsfiguren und Vorbilder brauchen. Gleichzeitig darf die öffentliche Präsenz nicht zu einer Egoshow werden. Also ich hoffe, die Zeit der Väter hält nicht zu lange an und wird zur Zeit der Eltern. Schließlich geht es um Eltern als Team.