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Brief einer Corona-Impfskeptikerin: Wo sie ganz, teilweise und wo sie gar nicht recht hat
Coronavirus
Wir erhalten oft Post von Menschen, die starke Bedenken haben, sich gegen Corona impfen zu lassen. Einen dieser Briefe stellen wir hier vor und versuchen eine Antwort auf aufgeworfene Fragen.
Der Brief, den uns in den vergangenen Tagen eine Leserin geschickt hat, ist mehr als zwei dicht beschriebene Seiten lang. Darin berichtet sie von den „Ängsten, Sorgen und Nöten“ ungeimpfter Menschen und deren Skepsis gegenüber den Corona-Schutzimpfungen.
Man merkt dem Brief an, dass diese Frau keine Anhängerin kruder Verschwörungstheorien und durchaus aufgeschlossen für gute Argumente ist. Daher soll an dieser Stelle versucht werden, eine Antwort auf die von ihr in diesem Brief aufgeworfenen Fragen zu finden. In ihrem Brief nennt die Briefschreiberin zehn Punkte.
1. Im Brief heißt es: „Mittlerweile ist bekannt, dass es vermehrt zu Impfdurchbrüchen bei doppelt und auch dreifach geimpften Menschen mit schweren Verläufen und Todesfolge kommen kann.“
Unsere Einordnung: Es ist richtig, dass auch vollständig Geimpfte schwer an Corona erkranken und auch sterben. Nach dem Stand vom 16. Dezember 2021 starben seit dem 5. Februar 2021 – erst seit diesem Datum kann es in Deutschland vollständig geimpfte Menschen geben – 3.141 vollständig Geimpfte im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion. Von diesen 3.141 Menschen waren 2.096 (67 Prozent) 80 Jahre und älter und daher ohnehin stark gefährdet.
Es starben allerdings seit dem 5. Februar auch 43.464 nicht vollständig geimpfte Menschen an oder mit einer Coronainfektion. Das bedeutet: An allen Corona-Toten haben Geimpfte lediglich einen Anteil von 7,2 Prozent. Das gilt es zu beachten angesichts einer Quote von inzwischen 70 Prozent vollständig geimpften Menschen.
Insgesamt gibt es bisher 411.292 Impfdurchbrüche, also Menschen, die nach einer vollständigen Impfung an Covid19 erkrankten. Das sind aber lediglich 9,3 Prozent der 4.405.495 Neuinfektionen seit dem 5. Februar.
Nach Angaben des RKI vom 9. Dezember bieten Corona-Impfungen generell einen bisher bestätigten Schutz von rund 73 Prozent gegen eine Infektion mit dem Coronavirus, einen Schutz von – je nach Alter – 85 bis 89 Prozent vor Hospitalisierung, einen Schutz von 90 bis 94 Prozent vor der Notwendigkeit einer Intensiv-Behandlung und einen Schutz von 86 bis 92 Prozent vor einem Corona-Tod.
Bei der neu aufgetretenen Omikron-Variante ist zumindest der Schutz vor einer Neu-Infektion deutlich niedriger. Es gibt erste Hinweise, nach denen dagegen der Impf-Schutz vor einem schweren Verlauf auch bei Omikron sehr gut ist. Zu einer endgültigen Beurteilung fehlt allerdings noch eine breite Datenbasis.
2. Im Brief heißt es: „Krankenhäuser berichten öffentlich, dass etwa 50 Prozent der Menschen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, vollständig geimpft sind.“
Unsere Einordnung: Eine solche 50-Prozent-Quote mag es in einzelnen Kliniken geben, die Regel ist das allerdings nicht. Beim Blick beispielsweise auf die vier Wochen zwischen dem 15. November und 12. Dezember ergibt sich für Deutschland dieses Bild: In dieser Zeit erkrankten 340.755 Menschen mit Symptomen an Covid 19. Von ihnen waren 168.132 (49,3 Prozent) vollständig geimpft.
In eine Klinik eingewiesen wurden in dieser Zeit 11.663 Covid-Kranke. Von ihnen waren 4.844 (41,5 Prozent) vollständig geimpft. Bei der Bewertung muss man beachten, dass inzwischen 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Würden Impfungen nicht wirken, müssten demnach 70 und nicht nur 41,5 Prozent der Covid-Kranken in Kliniken geimpft sein.
Auf einer Intensivstation behandelt werden mussten im fraglichen Zeitraum 1.875 Covid-Kranke. 627 von ihnen (33.4 Prozent) waren vollständig geimpft. Anders ausgedrückt: Auf den Intensivstationen waren von allen Covid-Patienten 66,6 Prozent nicht vollständig geimpft.
3. Im Brief heißt es: „Nach Aussage von Herrn Lauterbach werden auch die Menschen als ungeimpft gezählt, wenn sie nur einmal geimpft sind oder wenn die Impfung mehr als sechs Monate zurückliegt.“
Unsere Einordnung: Man muss hier zwei Dinge auseinanderhalten. Richtig ist, dass als geimpft nur gilt, wer vollständig geimpft wurde. Das bedeutet: Zwei Wochen nach der zweiten Corona-Schutzimpfung gilt man als geimpft, weil erst dann der vollständige Immunschutz aufgebaut sein kann.
Bisher gibt es keine Regelung, nach der der Status eines vollständig Geimpften nach sechs Monaten aberkannt wird. Gleichwohl gibt es eine Sechs-Monats-Frist. Hierbei geht es allerdings um Genesene. Wenn der PCR-Test, der eine Coronainfektion nachweist, älter als sechs Monate ist, gilt man nicht mehr als „Genesener“. Dann muss man eine Auffrischungsimpfung erhalten und gehört dann wieder zur Gruppe der 2G.
4. Im Brief heißt es, dass in der Corona-Pandemie mehrere tausend – etwa 7.000 bis 9.000 – Intensivbetten und das entsprechende Personal abgebaut worden seien. Das führe zur Überlastung der Kliniken.
Unsere Einordnung: Es ist richtig, dass heute weniger Intensivbetten zur Verfügung stehen als vor einem Jahr. Am 15. Dezember 2020 gab es in Deutschland nach Angaben des Intensivregisters insgesamt 35.382 Intensivbetten: 20.659 waren belegt, 3.731 frei und 10.992 wurden als Notfall-Reserve freigehalten.
Ein Jahr später stehen am 15. Dezember 2021 genau 30.395 und damit 4.987 Intensivbetten weniger zur Verfügung: 19.904 von ihnen sind belegt, 2.297 sind frei und 8.194 stehen für den Notfall bereit.
Das sind die Zahlen. Nun ist es aber nicht so, dass tausende Betten aus den Krankenhäusern hinausgetragen wurden und Pflegekräfte entlassen wurden, sondern: Die Kliniken haben diese Betten, die weiter in den Häusern stehen, abgemeldet, weil sie schlicht und einfach nicht mehr das Personal haben, um Menschen in diesen Betten zu betreuen. Der seit Jahren grassierende Pflegemangel ist zu einem entscheidenden Begrenzungsfaktor für die Behandlungskapazitäten der Kliniken geworden.
Anders als Betten kann man Pflegekräfte nicht innerhalb kurzer Zeit irgendwo einkaufen, sondern man muss Interessierte finden und ausbilden. Dieses Problem hat sich in den vergangenen Monaten weiter verschärft, da sehr viele Pflegekräfte aufgrund der lang anhaltenden Corona-Überlastung ihren Beruf aufgegeben haben.
5. Im Brief heißt es, es gebe mittlerweile wissenschaftliche Daten über Impf-Nebenwirkungen wie Herzmuskelentzündungen und Blutgerinnungsstörungen. „Die WHO sieht ebenfalls einen Zusammenhang von mRNA-Impfstoffen und Herzmuskelentzündungen“, heißt es dort.
Unsere Einordnung: Bei Impfungen gibt es generell immer mögliche Nebenwirkungen, aber gleichzeitig auch einen sehr strengen Kontrollmechanismus. Sobald im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung Erkrankungen welcher Art auch immer auftreten, müssen diese in Deutschland dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldet werden. In anderen Ländern gibt es vergleichbare Kontroll-Mechanismen.
Inzwischen sind weltweit etwa 8,5 Milliarden Impfungen gegen Corona verabreicht worden. Sämtliche dabei aus der ganzen Welt gemeldeten Nebenwirkungen werden in Deutschland vom Paul-Ehrlich-Institut gesammelt und ausgewertet.
Findet man dabei auffällige Häufungen, wird die Impfempfehlung gegebenenfalls angepasst. Das geschah etwa, als nach Impfungen mit Astrazeneca im Frühjahr in einigen wenigen Fällen Thrombosen auftraten. So geschah das auch, als Anfang November für unter 30-Jährige nicht mehr der Impfstoff von Moderna, sondern der von Biontech empfohlen wurde.
Grund: In sehr, sehr seltenen Fällen waren Herzmuskelerkrankungen (die dann milde verliefen) nach einer Impfung aufgetreten. Das geschah auch bei Moderna sehr selten, aber eben öfter als bei Biontech. Deshalb hat man reagiert.
Im übrigen veröffentlicht das Paul-Ehrlich-Institut regelmäßig in Sicherheitsberichten neue Erkenntnisse zu Nebenwirkungen. Diese Sicherheitsberichte können von allen Interessierten jederzeit eingesehen werden.
Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht seinerseits an jedem Donnerstag einen Wochenbericht. In ihm werden auch detaillierte Angaben über Impfdurchbrüche gemacht. Dort ist auch nachzulesen, wie viele vollständig geimpfte Menschen hospitalisiert und gestorben sind.
6. Im Brief heißt es: Eine Vielzahl der Menschen, die derzeit den neuen Impfstoff nicht nehmen möchten, hätten nach wie vor Ängste vor Impf-Nebenwirkungen mit möglicherweise sogar tödlichen Folgen, weil es bisher noch keine Langzeitstudien zu den Corona-Impfstoffen gebe.
Unsere Einordnung: Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums liegt das Risiko einer unerwünschten, schweren Nebenwirkung einer Corona-Impfung bei 0,02 Prozent. Anders ausgedrückt: Es trifft einen von 5.000 Geimpften.
Alle bisherigen Erfahrungen mit Impfstoffen zeigen, dass Nebenwirkungen innerhalb kürzester Frist nach einer Impfung auftreten. In der Regel handelt es sich um Stunden oder Tage. Langzeitfolgen, die sich erst Jahre später zeigen, sind – da sind sich alle Forscher einig – von bisherigen Impfungen nicht bekannt und auch bei den Corona-Impfstoffen nicht zu erwarten.
Gerade bei den mRNA-Impfstoffen, so versichern die Experten, sei das rein wissenschaftlich praktisch auch ausgeschlossen. Viele andere Impfungen beruhen darauf, dass man Teile eines Virus oder abgestorbene Viren verimpft, gegen die dann der Körper Abwehrstoffe produziert. Das ist bei Biontech und Moderna anders. Mit diesem Impfstoff wird lediglich der Körper angeregt, Abwehrstoffe gegen das Virus zu bilden. Die mRNA baut sich dann sehr schnell wieder ab.
Da innerhalb eines Jahres rund 8,5 Milliarden Impfdosen verabreicht wurden, dürfte es in der Geschichte der Menschheit keinen Impfstoff geben, bei dem man so genaue Erkenntnisse über mögliche Nebenwirkungen hat wie bei diesen Stoffen.
7. In dem Brief heißt es mit Blick auf Artikel 2 des Grundgesetzes: „Es muss jedem Menschen selbst überlassen bleiben, ob er seinen Körper mit einem neuen, in nur kurzer Zeit entwickelten Impfstoff belasten möchte.“
Unsere Einordnung: Das grundgesetzlich verankerte Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein sehr hohes Gut, das der Staat zu schützen hat. Dieses Recht auf körperliche Unversehrtheit gilt allerdings nicht nur für Menschen, die eine Corona-Schutzimpfung ablehnen, sondern für alle Menschen und damit beispielsweise auch für jene, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen dürfen oder die trotz einer Impfung bei einer Infektion Gefahr laufen, schwer oder gar tödlich zu erkranken.
Hier muss der Staat eine gesamtgesellschaftliche Güterabwägung treffen: Was wiegt schwerer: eine Impfpflicht und die damit verbundene Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit oder die Gefährdung der Gesamtgesellschaft?
8. Im Brief heißt es in Bezug auf die Impfung gegen die Schweinegrippe 2009/ 2010: „Es ist bekannt, dass in der Vergangenheit schon mehrfach Arzneimittel und Impfstoffe wieder vernichtet werden mussten, weil es zu schweren Nebenwirkungen gekommen ist.“
Unsere Einordnung: In Folge der Impfung gegen die Schweinegrippe in den Jahren 2009/ 2010 gab es tatsächlich in sehr seltenen Fällen Nebenwirkungen wie schwere Schlafstörungen (Narkolepsie).
Die traten allerdings in einem sehr kurzen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung auf und wurden entsprechend gemeldet. Wenn man hier von Spätfolgen spricht, bedeutet das nicht, dass diese Nebenwirkungen erst Monate oder gar Jahre nach der Impfung auftraten, sondern bereits kurz nach der Impfung, allerdings sehr lange nachwirken können.
Die Nebenwirkung der Narkolepsie hatte man in den klinischen Studien nicht gefunden, auch weil sie nur sehr selten auftrat. Mit den Corona-Vakzinen sind allerdings mittlerweile so viele Milliarden Menschen geimpft, dass hier auch extrem seltene Nebenwirkungen aufgefallen wären.
Bei der Schweinegrippen-Impfung fand man übrigens heraus, dass sehr wahrscheinlich ein Impfverstärker für die Nebenwirkungen verantwortlich war. Dieser Stoff wird mittlerweile nicht mehr benutzt und kommt bei mRNA-Impfstoffen wie Biontech und Moderna ohnehin nicht zum Einsatz.
9. In dem Brief heißt es: „Von keiner Seite wurde bisher eine Unbedenklichkeitsgarantie zu den Impfnebenwirkungen beziehungsweise Spätfolgen abgegeben. Hinzu kommt, dass jegliche Haftung ausgeschlossen ist. Deshalb muss auch vor jeder Impfung eine Einverständniserklärung mit dem Ausschluss einer Haftung unterschrieben werden.“
Unsere Einordnung: Der erste Teil dieser Aussage ist korrekt. Niemand kann eine Garantie abgeben, dass eine Impfung im konkreten Einzelfall eines konkreten Menschen keinerlei unerwünschte Nebenwirkung haben wird. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit minimal ist, ausschließen lässt sich eine Nebenwirkung nicht.
Was den anderen Teil angeht, ist zu sagen: Eine Einverständniserklärung muss man unterschreiben, weil eine Impfung – völlig neutral und wertfrei betrachtet – erst einmal eine „Körperverletzung“ ist. Damit der Impfende nicht wegen eines solchen Delikts verklagt werden kann, muss man sein Einverständnis erteilen.
Die Haftungsfrage hat der Bund durch einen entsprechenden Passus im Infektionsschutzgesetz geklärt. Damit ist klar, dass „für alle gesundheitlichen Schäden, die im Zusammenhang mit Schutzimpfungen eingetreten sind, die auf Grundlage der Coronavirus-Impfverordnung seit 27. Dezember 2020 vorgenommen wurden, bundeseinheitlich ein Anspruch auf Entschädigung besteht. Dieser Anspruch besteht unabhängig von den öffentlichen Empfehlungen der Landesbehörden“, so die offizielle Information des Bundesgesundheitsministeriums.
10. Im Brief heißt es: „Niemand kann sagen, wie oft und in welchen Abständen nachgeboostert werden muss, was ebenfalls zu einem großen Vertrauensverlust führt.“
Unsere Einordnung: Ja, dieser Punkt trifft voll und ganz zu, wie man derzeit am Beispiel der neu aufgetretenen Omikron-Variante sieht. Bei ihr wirken die bisher bekannten Impfstoffe nicht in dem Maße wie bei anderen Varianten. Daher müssen die Vakzine angepasst werden und Auffrischungsimpfungen werden notwendig.
In welchen Abständen das auftreten wird, ist in der Tat noch nicht absehbar. Sicher ist allerdings: Je höher die Zahl an Neuinfektionen ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich weitere, gefährliche Virus-Mutationen bilden werden. Auch deshalb ist es überaus wichtig, dass sich möglichst viele Menschen gegen das Coronavirus impfen lassen.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
