Brief an Jupp Heynckes

Jupp Heynckes steht als Trainer von Bayern München regelmäßig im Flutlicht. Für Hermann Beckfeld ist Heynckes Leben jedoch mehr als nur Fußball – was zählen alle Tore und Titel, wenn das Herz ins Abseits läuft...

Dortmund

, 25.11.2017, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min
Münchens Trainer Jupp Heynckes.

Münchens Trainer Jupp Heynckes. © picture alliance / Jan Woitas/dp

Lieber Jupp Heynckes,

am Anfang möchte ich Ihnen die Geschichte von einem Mann erzählen, der Sie zwei Mal sehr enttäuschte und heute Ihr bester Freund ist. Ich hatte Susanne Hoeneß einen Brief geschrieben, weil mir imponierte, dass sie immer zu ihrem Uli gehalten hat, auch wenn er großen Mist gebaut hatte. Zwei Tage nach der Veröffentlichung rief mich Uli Hoeneß an, den ich nie zuvor getroffen, nie gesprochen hatte. Er bedankte sich für meine Worte; sie hätten seiner Susanne so gutgetan.

Unser Telefonat dauerte höchstens eine Minute, aber ich werde es nie vergessen. War es Zufall? Als mich Uli am Telefon erreichte, fuhr ich auf der A42 von Bottrop Richtung Dortmund, schaute gerade zur Rechten auf die Glückauf-Kampfbahn, wo die Schalker die Gegner kreiseln ließen. Nie war der Fußball ehrlicher als damals, gespielt von Malochern, Genies, echten Schalkern.

„Die Bayern brauchen einen wie Sie“

So beginne ich meinen Brief, in dem ich Ihnen schreiben möchte, dass für mich Ihr Leben mehr als nur Fußball ist. Was zählen alle Tore und Titel als Spieler und Trainer; wie vergänglich sind alle Erfolge auf dem Rasen, wenn das Herz ins Abseits läuft. Ich bin überzeugt, Sie spielen in einer Seelen-Liga wie Uli, wie Ihr Chef und Freund, der Sie jetzt brauchte, weil die Bayern einen wie Sie brauchten. Einen, zu dem die Spieler aufschauen und Vertrauen haben, der ihren Respekt genießt, der sie nicht verletzen will, wenn er sie kritisiert. Einen Trainer, mehr einen Menschen, der es ehrlich mit ihnen meint, sie stark macht, der sich selbst nicht mehr in die vorderste Reihe dribbelt. Es sind Ihre heutige Gelassenheit und Souveränität, die mich faszinieren.

Ihr Weg, den Sie gehen mussten, war kein einfacher; er war häufig eine Stolperstrecke voller Entbehrungen, Rückschläge und Enttäuschungen, die Sie geformt haben.

„Bei zehn Kindern waren die Ellenbogen gefragt“

Ein Schnelldurchgang durch Ihr Leben. Ihr Vater war Schmied, Ihre Mutter führte einen Krämerladen. Sie waren das neunte von zehn Kindern; da gab es nicht viel zu verteilen; da waren auch Ellenbogen gefragt. Die ungestüme Zeit als Gladbacher Fohlen mit Meisterschaften und dem berauschenden 7:1-Sieg gegen Inter Mailand. Ich saß fassungslos im Kinderzimmer, weil das Fernsehen das beste Europacupspiel Ihres Vereins nicht übertrug. Und heulte, nachdem ein Büchsenwurf und ein italienischer Schauspieler uns betrogen hatten. Der Europameistertitel von 1972, erzaubert von der besten deutschen Nationalmannschaft aller Zeiten mit dem alles überragenden Sieg in Wembley; 90 Minuten lang stand ich vor dem Fernseher.

Trainer-Epochen. Zugegeben, wir alle lachten über „Osram“, den verbissenen Fußballlehrer mit dem roten Kopf, der zu viel wollte und nicht nur in Frankfurt manchmal übers Ziel hinausschoss; ein Pedant, ein Feldherr, den sie bei Real Madrid Don Jupp nannten, dem sie aber die Anerkennung versagten. Direkt nach dem Champions-League-Sieg mussten Sie gehen, weggejagt wie auf Schalke von Rudi Assauer, der Sie als Auslaufmodell abservierte: „Der Jupp ist ein Fußballer der alten Schule, aber wir haben 2004.“ Oder wie in München.

Hoeneß nannte Freistellung von Heynckes „größte Fehlentscheidung“

Manager Uli Hoeneß stellte Sie im Oktober 1991 frei, was er heute die „größte Fehlentscheidung meines Lebens“ bezeichnet. Doch Sie kamen zurück, holten das Triple und mussten doch Pep Guardiola weichen. Der 72-jährige Fußball-Rentner, mit seinem Anstand, seiner Verlässlichkeit und Loyalität der Gentleman und Antistar der Bundesliga, schien seine Pflicht getan zu haben, aber eilt nun mit den Bayern von Sieg zu Sieg.

Dabei hatten Sie sich für immer auf Ihren Bauernhof im beschaulichen Fischeln am Niederrhein zurückgezogen. Was eigentlich nur noch zählen sollte, das waren Frau Iris, Hund Cando und die beiden Katzen; die Ruhe, Einsamkeit und Freiheit, sich nicht mehr verplanen zu lassen.

Lieber Jupp Heynckes,

egal, ob Sie im Sommer 2018 den Königstitel gewinnen oder heute im Borussia-Park die Siegesserie fortsetzen. Wir beide wissen, dass es Wertvolleres gibt. Ich erinnere mich an Ihren letzten Arbeitstag in Leverkusen; da stellten Sie Ihren Dienstwagen gewaschen und vollgetankt auf den Hof und überreichten jedem Mitarbeiter einen Umschlag. „Da waren mehr als 100 Euro drin“, sagte ein Empfänger. Ich vergesse nicht die Laudatio von Uli Hoeneß bei Ihrer Ehrung in Mönchengladbach; da sprach nicht der Manager, da sprach Ihr Freund. Ich denke an die Pressekonferenz in der Saison 2012/2013 im Stadion der Gladbacher. Als Sie Ihrem Heimatclub dankten, konnten Sie die Tränen nicht zurückhalten.

Mit besten Grüßen

Hermann Beckfeld